Kultur | Salto Afternoon

Elephant Man

Am heutigen 22. Oktober zeigt der Filmclub Bozen David Lynchs „Elefantenmensch“. Ein melancholischer Ausflug in die Zeit des viktorianischen Londons.
Elephant Man
Foto: Lynch

1980 hatte David Lynch gerademal einen Spielfilm gedreht, dessen Namen ist „Eraserhead“ (1977) und gilt heutzutage als absoluter Kultfilm. Und schon damals geisterte Lynchs Namen und sein Debütwerk durch die Mitternachtsvorstellungen. Sein nächster Film, der auf der historischen Figur des Elefantenmenschen John Merrick beruhte, stand zunächst unter keinem guten Stern. Die traurige Geschichte dieses entstellten Menschen wurde reihenweise von den großen Studios Hollywoods abgelehnt. Erst als der eigentlich auf Komödien spezialisierte Mel Brooks auf das Drehbuch aufmerksam wurde, Lynchs Fähigkeiten anhand von „Eraserhead“ überprüfte und davon begeistert war, wurde die Vision Wirklichkeit. In kontrastreichen Schwarz-Weiß gedreht zeigt Lynch London im ausgehenden 19. Jahrhundert, ein Ort der Jahrmärkte und Attraktionen, und mittendrin ist der schrecklich deformierte John Merrick, der von einem Chirurgen namens Frederick Treves entdeckt wird. Er nimmt sich Merrick an, bringt ihn in ein Hospital und kümmert sich um ihn. Auch das Lesen bringt er dem Mann bei, und bald schon findet Merrick Gefallen an der Hochkultur. Doch die Öffentlichkeit lässt nicht lange auf sich warten. Die Londoner Gesellschaft erfährt von dem Elefantenmensch und gibt sich in ihrer Schaulustigkeit keine Blöße. Der deformierte Mensch, sprich der „andere Mensch“, wird zur Attraktion, zum Objekt, und zu Ziel von Spott und Belustigung. „I am not an animal. I am human being“ (“Ich bin kein Tier. Ich bin ein Mensch“) lautet ein berühmter Ausspruch des Protagonisten gegen Ende der Erzählung. Wie John Hurt in der Rolle des Elefantenmensch diese Worte spricht, ja gar aus sich heraus brüllt, ist herzzerreißend. Generell ist der „Elefantenmensch“ wohl einer von Lynchs melancholischsten Filme, einer, der ruhig inszeniert ist, dem die später zum Markenzeichen avancierte Traumlogik Lynch fehlt, der aber dennoch nicht mit Momenten der Absurdität spart. Lynch ist wie bereits in „Eraserhead“ an der menschlichen Deformierung interessiert, und daran, was es mit den Menschen macht, einerseits mit jenem, der unter der Andersartigkeit zu leiden hat, und andererseits mit jenen, die dies wissen und sich unmenschlicher verhalten, als das vermeintliche Monster. Lynch bedient sich bei diesem Film an einem gewissen Grad an Sentimentalität, ein Element, welches später kaum mehr in seinen Werken zu finden ist. Vielleicht ist es der Blick eines US-Amerikaners auf diese britische Geschichte, und das, was anhand der historischen Fakten über den großen Teich gelangt ist. Der Regisseur selbst wusste zu Beginn der Dreharbeiten kaum über das Viktorianische Zeitalter Bescheid, die Art und Weise, wie er es letztendlich recht düster inszeniert, ist als Interpretation und weniger als akkurates Abbild der Realität zu verstehen. So betrachtet reiht sich der Film dann doch wieder nahtlos in das Schaffen Lynchs ein. Oft zeigt er Karikaturen und traumartig verzerrte Welten, die von Charakteren bevölkert werden, die ebenso einem Traum entsprungen zu sein scheinen. An der Seite des durch das aufwändige Make Up kaum erkennbaren John Hurt spielt übrigens Anthony Hopkins den Chirurgen Treves auf grandiose Art und Weise.

Der „Elefantenmensch“ ist ein unaufgeregter Ausflug nach Lynchville. Präzise inszeniert, mit viel Gefühl die Timing und Raum für die Menschlichkeit Merricks Wesen. Die wunderschöne Kameraarbeit und die originellen Design der Sets machen den Film auch technisch gesehen zu einem Augenschmaus und rufen nicht selten Erinnerungen an Robert Wienes Caligari wach.

Heute Abend wird der Film im Filmclub in Bozen gezeigt. Wer David Lynchs „Elephant Man“ noch nicht gesehen hat, sollte das bei dieser Gelegenheit schnellstens nachholen. Ein Kleinod und ein vielleicht sogar unterschätzter Diamant im Œuvre Lynchs.

 

THE ELEPHANT MAN - Official Trailer - Directed by David Lynch