Ein Ehrentor für die Türkei
salto.bz: Herr Cobanli. Man kennt sie als "Adelsexperte" im Radio von Rai Südtirol oder als Reisefilm-Autor im Fernsehen. Die wenigsten wissen allerdings, dass in Ihnen eine geteilte Seele lebt, eine türkisch-deutsche Seele. Wie lebt es sich damit?
Hasan Cobanli: Moment (lacht) die Bezeichnung „Adelsexperte“ passt nicht. Erst recht nicht, wo ich gerade eben im Fernsehen sogenannten „Adelsexperten“ zuhören musste, wie sie ihren schlecht informierten, zum Teil rassistischen und frauenfeindlichen Schmuß im Zusammenhang mit der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle zum besten gaben.
...Aber Sie stammen mütterlicherseits von einer alten aristokratischen deutschen Familie und väterlicherseits aus dem stolzen osmanisch-türkischen Militäradel ab...
...was mich indes noch nicht zum „Adelsexperten“ macht. Ich bin Journalist und interessiere mich für Luftfahrt, Oldtimer, Jagd... alles, was ich kenne - und eben auch für die Geschichte europäischer Dynastien. Deshalb war ich dann wohl in den besagten Sendungen gefragt. Aber in letzter Zeit habe ich auch andere Themen, wie Sie andeuten...
...womit wir wieder bei Ihrer geteilte Seele sind. Und die ist deutsch-türkisch...
...und mit der lebte es sich bisher eigentlich sehr interessant, gemütlich und aufregend zugleich. Nun ist allerdings durch die Politik und die Vorkommnisse in dem einen meiner beiden Heimatländer, der Türkei, spätestens seit dem Zivil-Aufstand rund um den Gezi Park, an dem ich heute vor exakt fünf Jahren aktiv teilnahm, noch eine neue Dimension hinzugekommen...
... und die haben Sie in ihrem letzten Buch, zahlreichen Fernsehtalkshows und Kommentaren als zuletzt eher ungemütlich und besorgt bezeichnet, und, ja, die weckt in Ihnen offenbar neben der nostalgischen auch die kämpferische Seele.
So ist es wohl. Ich weiß genau, wo ich hingehöre. Und das ist nicht Deutschland, Europa etc oder die Türkei, sondern das ist Rechtsstaat, Freiheit des Denkens und Abscheu vor Despotie und Korruption. Ich bin also nicht gegen die Türkei, obwohl ich nach dem Erscheinen meines zweiten Buchs auch bisweilen aus der AKP-Ecke in Ankara als „Feind der Türkei“ beschimpft werde, sondern gegen den Schurkenstaat, den ein korruptes Regime gerade aus meinem Land macht.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das Bild Erdogans mit zwei Fußballern der Deutschen Nationalelf sahen?
Uups - eine Menge Gedanken. Da weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll.
Nichts desto trotz sollte man den Ball flach spielen, so flach wie die Hirnleistung der beiden Loyalisten ist. Es war und ist eine Lappalie.
Könnte es sein, dass die türkische Politik die beiden Fußballer „eingekauft“ hat, um den türkischen Staat zu preisen und medial für Stunk zu sorgen?
Vielleicht ist sogar Geld geflossen oder andere Vergünstigungen. Vielleicht reichte aber auch die Doofheit der beiden und eine gewisse (anerzogene?) Faszination für Macht. Der Despot Erdogan und sein Clan lachen sich jedenfalls über die Huldigung der beiden deutschen Fußballer ins Fäustchen...
Verstehen Sie die Aufregung der Fans?
Ja und Nein. Integration bedeutet nicht, dass man zu einem hundertprozentigen Einheimischen mutieren muss. Davon können wir hier in Südtirol auf andere Weise ein Lied singen. Integration bedeutet: ich lerne eine Sprache, baue mir etwas auf, respektiere die Sitten der Einheimischen und halte mich an die Regeln. Mehr nicht.
Die deutschen (!) Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die Erdogan „mein Präsident“ nannten, haben Regeln des guten Geschmacks gebrochen und ihrem Geburtsland geschadet, dem sie alles verdanken. Haltung Fehlanzeige. Nichts desto trotz sollte man den Ball flach spielen, so flach wie die Hirnleistung der beiden Loyalisten ist. Es war und ist eine Lappalie.
Waren die beiden Fußballer also nur etwas doof, als Sie sich auf die Sache eingelassen haben? Ein Foto mit Erdogan ist ja nicht unbedingt etwas, was man den Enkeln zeigen will…
Ich glaube da muss man ein bisschen über den Tellerrand hinaus denken. Durch Flüchtlinge und andere Migranten wächst das Land in dem diese beiden Fußballer geboren sind, dessen Staatsangehörigkeit sie habe und das sie zu Multimillionären gemacht hat, jährlich um die Bevölkerungszahl einer mittleren Großstadt.
Und diese neue Bevölkerung besteht zum allergrößten Teil aus Menschen, denen weit weniger Voraussetzungen für eine gewisse Loyalitär vergönnt ist als Özil und Gündogan.
... Sie meinen, deren kulturelle Prägung steckt tiefer?
Ja, und deren Chancen auf eine Karriere oder jene vielbesungene Pursuit of happiness sind nahe Null. Das ist das Problem - und leider sehe ich weder bei der deutschen noch bei der österreichischen oder italienischen Regierung Ideen zu einer Lösung.
Die einen heißt man willkommen, auf andere verzichtet man lieber?
Indem etwa manche CSU, AfD oder FPÖ Politiker pauschal über „Kopftuchmädchen“ bramarbasieren, nehmen Sie jeglicher Integration die Chance und arbeiten aktiv gegen die Leitkulturen ihrer eigenen Länder.
Erdogan zu treffen war skurril, teilweise unfreiwillig komisch wegen seiner ultra reaktionären Ansichten und alternative facts alla turca, und auch intellektuell nicht besonders inspirierend.
Was denken Sie wenn Sie Frauen und Mädchen in Kopftüchern sehen?
Weder in Deutschland noch in Österreich oder Italien herrscht Despotie, frau darf hier rumlaufen, wie sie will. Ich kenne Kopftücher aus meiner Jugend im urbanen, metropolen Istanbul nicht. Nur von den kleinen Dörfern. Bisher. Jetzt sehe ich sie in Europa überall auftauchen. Ich bin gegen Kopftücher im öffentlichen Dienst und bei Kindern. Der Rest ist persönliche Freiheit. Und die ist in der Türkei perdu.
Was raten Sie dem deutschen Bundestrainer Jogi Löw, der beim Trainingscamp kommende Woche den beiden Spielern zur Rede stellen möchte?
Ich glaube nicht dass er diese beiden - pardon - Trottel wirklich „zur Rede stellen“ wird. Jogi Löw ist ein kluger Mann. Er wird sich wohl auch Gedanken gemacht haben. Er muss eine Mannschaft aufstellen aus Muskeln und Beinen. Sehr viel Haltung und Hirn ist ja nicht gefragt - sonst würde er ja integrierte Deutsch-Türken wie Cem Özdemir und Fatih Akin aufstellen statt Özil und Gündogan (lacht). Der Bundestrainer weiß: Seine Spieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan sind auf andere Weise bestens integriert - in eine lange Liste von Trotteln unter deutschen Nationalspielern.
In einem Kapitel ihres jüngsten Buchs „Erdoğanistan“ beschrieben Sie sehr eindrucksvoll eine Szene, wie Sie dem heutigen Präsidenten in früheren Jahren einmal begegnet sind, als er noch Oberbürgermeister von Istanbul war. Damals war er der Hoffnungsträger einer gewissen Liberalisierung...
... Einer wirtschaftlichen! Aber mitnichten einer zivilgesellschaftlichen Liberalisierung. Erdogan zu treffen war skurril, teilweise unfreiwillig komisch wegen seiner ultra reaktionären Ansichten und alternative facts alla turca, und auch intellektuell nicht besonders inspirierend. Es umwehte ihn schon an jenem Abend auf der Party, die ich beschreibe, ein Hauch von Macht, Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomplexen. Es endete damit, dass er mir mit umwölkter Miene zuraunte er würde mich „vielleicht eines Tages mal brauchen“ können - ich kam mir vor wie in einer Szene beim „Paten“.
...ich liebe das Land und vor allem meinen Bosporus, an dessen Ufern ich aufgewachsen bin.
Haben Sie ihn je wieder getroffen?
Nein und auch an jenem Abend als er sich mit minutenlangen Händeschütteln von mir verabschiedete, nicht ahnen können dass seine Leute einige Jahre später auf mich und andere Partygäste einmal mit Pfefferspray und Wasserwerfern losgehen würden.
Wer mein Close encounter with power miterleben oder nachempfinden möchte, dem empfehle ich die Lektüre des Kapitels. Darin beschreibe ich sowohl das Gespräch als auch unser beider Gefühle und die Folgen minutiös.
Ihr Erlebnis Gezi-Park ist jetzt genau fünf Jahre her. Auch das beschreiben Sie in einem eigenen Kapitel. Ihr Buch trägt den Untertitel: „Der Absturz der Türkei und die Folgen für Deutschland“. Was sind die Folgen für einen Autor eines solchen Buches. Dürfen Sie noch in ihre geliebte Heimat einreisen?
Eher nein. Nicht mal auf Einladung des Präsidenten mit „Ich-möchte-Ihren-Rat“-Garantie durch die Machthaber. Ich habe einige mysteriöse Einladungen erhalten, etwa in die Botschaft. Immer unter dem Motto „80 Jahre Tod des Großvaters Cevat Pascha und Atatürks, 100 Jahre Erster Weltkrieg“ etc. Und auch eine Einladung zum Jahrestag der Schlacht um Gallipoli...
...bei der Ihr Großvater 1915 gemeinsam mit dem späteren Kemal Atatürk Churchills Kriegsflotte besiegte. Und das unter deutschem Oberkommando...
...und die beiden ihre Freundschaft bis zum Tod begründeten. Und beiden war Deutschland damals sehr suspekt. Aber für derartige Auftritte bevorzuge ich heute neutralen Boden. Schade, denn ich liebe das Land und vor allem meinen Bosporus, an dessen Ufern ich aufgewachsen bin.
Das beschreiben Sie ja auch eindrücklich in Ihrem Roman „Der halbe Mond“ und zeichnen ein ebenso informiertes wie inniges Bild der Türkei...
...von der zur Zeit nur noch ein Rudiment übrig ist. Ich nenne es Erdoganistan.
Bereits im Prolog ihres gleichnamigen Buchs beschreiben Sie die derzeitigen politischen Verhältnisse zwischen Europa und der Türkei. Die FAZ schrieb darüber eine halbe Seite und zitiert Sie unter anderem mit den Worten „aus Partnern sind Gegner geworden.“ Was ist Erdoganistan?
Ich ärgere mich wenn etwa in den Nachrichten von „die Türkei“ gesprochen wird, wenn in Wirklichkeit nur eine auf Krawall gebürstete, dilettantische Regierung gemeint ist, die ausländische Bürger als Geiseln nimmt und ihre Notstandsherrschaft auf andere Länder ausdehnt. Das ist nicht „die Türkei“, nicht das Volk...
... Erdoganistan ist also ein Zustand?
Ja, ein düsteres Gebilde, in dem sich diese Notstandsherrschaft in massenhaften Entlassungen und Verhaftungen und der Aufhebung der Gewaltenteilung äußert. Erdoganistan ist, wo Polizisten nicht mehr dein Freund und Helfer sind sondern Handlanger und Schergen, die im Morgengrauen in ein Krankenhaus eindringen, Ärzte verhaften, Schwestern hinaus prügeln und kranke Patienten aus ihren Betten kippen, nur weil der Betreiber der Klinik in Verdacht steht mit einer Gülen-Bewegung zu sympathisieren. Erdoganistan ist das Regime eines korrupten, einsamen Herrschers in den endlosen Hallen seines grotesken Palastes.
Wer weiß, wie lange der Spuk noch anhält. Die Wahlen jetzt im Juni könnten allerdings Überraschungen mit sich bringen...
...weshalb Erdogan auch solche Auftritte mit deutschen Fußballern sucht...
... in der Hoffnung, die Türken in Europa fühlten sich weiterhin „nicht angenommen weil Europa sich jahrelang schlecht behandelt hat“.
... genau so klingt auch der Beitrag mancher Türken, die sich damit brüsten nicht das „zu tun was Europa passt und von Demütigung Stolz und Ehre“ reden. Also ein Opfermythos?
... an dem Erdogan spätestens seit 2012 in der Türkei strickt. Er propagiert, Europa wolle keine starke Türkei und tue alles um die Türkei klein zu halten. Gleichzeitig bedrohen beleidigen und denunzieren Erdogan-Fans in Europa massiv Andersdenkende Mitbürger.
Erdogan ächtet nicht seine Gegner sondern nur sich selbst.
Eine Inanspruchnahme türkischer Fußballer als fünfte Mini-Kolonne in Europa?
Ja und wie man sieht auch deutscher Staatsbürger und das ist durch nichts zu entschuldigen. Europa oder Deutschland sind heute nicht mehr an allem schuld. Der Türkei ging es gut auch dank Europas und Deutschlands Unterstützung und Vertrauen. Erdogan ächtet nicht seine Gegner sondern nur sich selbst.
Bei einem Fußballspiel Deutschland – Türkei, für welche Mannschaft halten Sie die Daumen?
(lacht) Vielleicht haben ja dann ein paar türkische Spieler die Chuzpe, auf ihr Trikot „meinem verehrten Präsidenten Steinmeier, hochachtungsvoll“ zu kritzeln. Das wäre mal eine Geste im Geist des Geziparks. Humorvoll, frech, augenzwinkernd. Dann, nur dann, wünsche ich mir ein Ehrentor für die Türken.
Interssantes Interview.
Interssantes Interview.
Das Treffen mit Erdogan ist meiner Meinung nach keine Lappalie. Fussballer wollen ja angeblich "Vorbilder" sein, sich mit einem Despoten zu Treffen und ihn somit, bei dem Publikum der Fussballer, Hoffähig zu machen ist absolut nicht akzeptabel.
Die nächste Fußball-Weltmeisterschaft der Männer (gleichberechtigung!) findet in Katar statt, ein land was rechtsaatliche Prinzipe kaum kennt. Und es gibt noch ein paar andere Dinge welche ich bedenklich finde.