Kultur | Kommentar

Die Bilder von käuflichen Körpern

Welche Fragen die Anzeigen von Prostituierten in einem Südtiroler Medium aufwerfen.

Ich sitze am Frühstückstisch und schlage die Neue Südtiroler Tageszeitung auf. Auf Seite 3 im Politik-Ressort fällt eine Ansammlung von Anzeigen von Prostituierten auf: sie sind mit Farbfotos und pastellig oder schwarz hinterlegten Textfeldern ausgestattet, ungefähr ein Fünftel der Seite einnehmend. Die Anzeigen sind um den Comic-Kommentar „Die Laubensassa“ angeordnet, worauf die Zeichnung einer älteren Hure mit Stummel im Mund, zwischen leeren Flaschen und Müll an eine Hauswand gelehnt, zu sehen ist.

Ich sehe auf den vier Fotos: stereotype Frauenbilder, die Körper sind fast identisch, weiße Hautfarbe und enthaart, große Brüste, schlank, lange Haare (mittelblond, dunkelrot, hellblond und schwarz). Die Frauen tragen weiße oder schwarze Spitzenunterwäsche, der Busen hochgeschnürt, Stilettos, eine Frau trägt einen knappen Badeanzug und kniet am Strand. Die Haltung ist in Fotopose, den Körper anbietend, im Stehen, Sitzen oder kniend auf allen Vieren, der Blick in Richtung FotografIn, schüchtern lächelnd, oder das Gesicht mit Photoshop unscharf gemacht. Die Bilder sind keine „Originalfotos“ (außer eines), sie bilden wie die „Serviervorschläge“ auf Pasta- oder Suppenpackungen etwas anderes ab als den Inhalt.

Ich lese Texte, in denen Frauen anbieten, die Bedürfnisse von Männern zu befriedigen: „Bin für dich da, Tag und Nacht täglich“ oder „Wunderschöne deutsche [SIC] verwöhnt jede Stelle deines Körpers mit heissen Erotik-Massagen.“ Auffallend ist der Werbejargon: viele Adjektive (anregend pikant, wunderschön, blond, süß, kuschelig, wunderbar, leidenschaftlich, diskret, heiß, naturgeil, schlank), und in jeder Anzeige ein „Neu“ oder „New“. Meran, Bruneck, Brixen und Bozen sind durch die Inserate abgedeckt.

Ich weiß nicht, wer die Anzeigen in Auftrag gibt und gestaltet. Meine Vermutung: nicht die Prostituierten selber (die Zeitung behauptet das Gegenteil). Ich weiß auch nicht, woher die Frauen kommen und unter welchen Voraussetzungen sie in Südtirol arbeiten.

Und überhaupt:
Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir über Prostitution sprechen?
Käuflichen Sex?
Kapitalismus?
Frauen?
Männer?
Das Verhältnis zwischen den beiden?
Feminismus?
Zwangsprostitution?
Gewalt?
Fehlende rechtliche Absicherung?
Gesellschaftliches Abseits?
Immigration?
Freier Wille?
Moral?

Hat ein Medium wie eine Tageszeitung keine Verantwortung darüber zu tragen, welches Bild- und Textmaterial unkommentiert in welche Hände gerät (von Kindern und Jugendlichen, Bildungsfernen usw.), und damit welche Gedanken/Meinungen/Taten produziert werden?

Warum kann es sich der Herausgeber der genannten Zeitung leisten, Prostitution gutzuheißen mit dem schlechtesten aller Argumente,  nämlich dass „sie zum Teil Gewalt an Frauen verhindern würde“?

Sind die Dienstleistungen von Prostituierten Dienstleistungen wie alle anderen, wie Hildegard Frötscher von der Werbeabteilung der Tageszeitung behauptet („Kunden wie alle anderen“)?

Warum gibt es bei vielen Menschen die Tendenz, Prostitution und käuflichen Sex zu romantisieren?

Würden „Prostituierte“ weiterhin Sex anbieten und „Kunden“ weiterhin zu ihnen gehen, wenn kein Geldtransfer stattfinden würde? Wie sähe die Welt dann aus?

Zeichnet sich eine offene, fortschrittliche Gesellschaft dadurch aus, wenn sie die Prostitution, so wie sie derzeit gang und gäbe ist, akzeptiert?

Wo findet überhaupt eine vernünftige Diskussion statt, mit allen Beteiligten? (Hoffentlich wird hier bei den Kommentaren ein Anfang gemacht)

Wo sind die wirklichen Gesichter der Prostituierten zu sehen, ihre Stimmen, Meinungen, Anliegen und Forderungen zu hören?