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Laurie Andersons zyklische Zukunft

Am vergangenen Freitag hat Laurie Anderson auf ihrer Tour in Trient haltgemacht. Wir waren auf dem Konzert der Musikerin, Erzählerin und Tausendsassa Anderson.
Laurie Anderson, Let x = x Trento
Foto: Virgilio Forelli
  • Wer Laurie Anderson aus dem Radio kennt, der tut dies vermutlich wegen eines Songs, der ab 1981 im Radio lief: „Oh Superman“. Dabei sind andere Berührungspunkte mit Anderson, die - als es zu ihrem einzigen Charts-Erfolg kam - bereits ein Jahrzehnt als Performancekünstlerin in New York verlebt hatte, durchaus möglich. Neben ihrem bis heute aktiven Schaffen als Künstlerin und auch als Regisseurin dürfte der eine oder andere die 76-jährige auch als „Frau von Lou Reed“ kennen.

    Die gegenwärtige Konzertreihe setzt allerdings früher an, bei ihrem Debütalbum „Big Science“ von 1982, auf dem neben „Oh Superman“ auch der für die Tour titelgebende Track „Let x = x“ zu finden ist. 2022 wurde die Platte auf rotem Vinyl neu aufgelegt und klingt heute noch ebenso futuristisch, wie es das Avantgarde-Album schon vor 40 Jahren getan hat. Auf die Bühne begleitete die Künstlerin die New Yorker Jazzformation Sexmob (bestehend aus Steven Berstein, Briggan Krauss, Tony Scherr, Kenny Wollensen und Doug Wieselman), auf der Setlist fand sich ein Mix alter, klassisch vorgetragener Stücke, experimenteller Neuinterpretationen und frischem Material, sowie einer Zugabe an Publikumsinteraktion, für welche sich Anderson die Mühe machte, auf Moderationskarten in Italienischer Sprache mitzubringen. Die Interaktion mit dem Publikum war dabei alles andere als akzentfrei, aber auch hochgradig charmant und am Ende kann man Laurie Anderson ihren Wunsch ohnehin nicht abschlagen.

  • Laurie Anderson: Kam vorbereitet nach Trient. Wenngleich ihr Italienisch keineswegs für eine Unterhaltung über den Bühnenrand gereicht hätte, so schätzte das Publikum das fast fehlerfreie Italienisch mit Akzent. Foto: Virgilio Forelli

    Die immer wieder mal nachbearbeiteten Texte von Andersons Songs, die sich dank des Sprechgesangs auch ohne große Widerstände ein Stück weit Richtung Gegenwart führen lassen, machten naturgemäß auch nicht vor „From the Air“ halt. In dem Song können die Bandmitglieder Sprechpausen für Jazzimprovisationen nutzen. Die Metapher vom Flugzeug, das im Absturz begriffen ist und in Wahrheit keine(n) Pilot:in hat, ist schnell genug auf die Politik umgemünzt. Anderson bekennt, dass auch sie Amerika gerne wieder großartig machen würde, die Frage die man sich allerdings dabei stellen müsse sei, für wen.

  • Gleich anschließend wird mit „Let x = x“ ein Spannungsfeld aufgemacht, zwischen unserem Wunsch, dass die Dinge einfach seien und der Realität, die uns - 2023 noch mehr als 1982 - mit komplexen Problemen und Fragestellungen konfrontiert. Laurie Anderson setzt hier auf Leichtigkeit, auch um einen größeren Kontrast mit dem darauffolgenden Track zu generieren. Darin bemüht Anderson die von ihr bereits bekannte, in dunklere Tonlagen herabgezogene Autoritätsstimme, durch die auch die Übertitel am Bühnenrand zum Einsatz kommen können. Ist Laurie Andersons Stimme zu stark verfremdet, so kann man dort Songtexte und Übersetzungen mitlesen. Aber auch durch die Visuals an der Bühnenrückwand, an welchen Laurie Anderson selbst mitgearbeitet beziehungsweise ausgestaltet hat, wird die Bedeutung von Wort und Schrift unterstrichen. Mal sind es Krakeleien, mal einzelne Parolen, fast immer sind da Worte oder zumindest Buchstaben im Hintergrund. Einmal schneit es auch die vier Buchstaben A, G, T und C - Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin - die Bestandteile menschlicher DNA. Eine Grundbasis aus Wissenschaft und Recherche wird poetisch verfremdet.

    Laurie Anderson nutzt eine Pause zwischen Songs um ihrem Idol Yoko Ono zu danken, für etwas Ungewöhnliches: Ihre - nicht transkribierbare - Reaktion auf den Wahlsieg Donald Trumps bei den US-Wahlen 2016. Für Anderson kein „metaphorischer, selbstreflektierter Kunstschrei“, sondern ein „Bloody-Murder-Deathscream“. Analog zu diesem animiert sie das Publikum, einen eigenen Schrei zu produzieren - angesichts Klimakrise, Kriegen und Genoziden, oder aber auch möglichen Durcheinanders im eigenen Leben - und sich so Frust von der Seele zu brüllen. Das Publikum in den einzelnen Städten befindet sich dabei, unwissend, im Dezibel-Wettstreit. Wenig überraschend beherrschten nach den Sommerterminen der Tour die Konzertbesucher im schwedischen Göteborg den „Bloody-Murder-Deathscream“ am besten und kamen gemeinsam auf 112 Dezibel. 

    „Oh Superman“ kommt samt Lichtkegel im Hintergrund, der an das originale Musikvideo der 80er erinnert, auf die Bühne. Es ist einer der Momente, in welchen gezeigt wird, dass auch wenn die Künstlerin Freude an der Veränderung hat, es diese nicht unbedingt braucht. Mit etwas leiserem Keyboard und Jazzmusikern, die sich in Zurückhaltung üben müssen, gelingt eine Version des Songs nach dem Lehrbuch, die mindestens die gleiche atmosphärische Dichte wie die Studioaufnahme hat. Anschließend fragt sie sich, was es bedeute, vom Ende der Welt zu sprechen. Wer eine Geschichte erzählt, auch jene von der Apokalypse. Als Menschen, die das 6. Massenaussterben der Geschichte miterleben und die als Vertreter unserer Spezies eine gewisse Mitschuld trifft, müssen wir uns damit befassen. 

  • Laurie Anderson: Zwischendurch waren auch schräge Töne für den eklektischen Musikgeschmack mit dabei, mehrheitlich war die Setlist von Laurie Anderson aber eingängig. Foto: Virgilio Forelli

    Nicht alles das, was die Künstlerin auf der Bühne macht, kommt dabei automatisch gut an: Unter den Vocoder-Verzerrugen der eigenen Stimme ist neben düster-atmosphärischen Autoritätsstimmen für den Song „Walk the Dog“ auch eine Quietsche-Stimme dabei. Anderson greift sich die elektrische Geige wie eine Ukulele und schrammt drauf los. Kurz zuvor sprach sie von der Möglichkeit, Künstliche Intelligenz in das Songschreiben miteinzubinden - wenn das Ergebnis diese Neuinterpretation von „Walk the Dog“ ist, so sind wir nicht beeindruckt. 

  • Das Resultat ist quitschig-schräg und geht, ein bisschen wie es später „It's not the bullet that kills you - it's the hole“ dann mit mehr Konsequenz tut, in Richtung Reggae. Letzteren Song hat die Künstlerin, noch vor ihrem Vorstoß in die kommerzielle Musik, dem Performancekünstler Chris Burden gewidmet, der sich, als Wegbereiter der Bodyart, am Start seine Künstlerkarriere unter anderem von einem Freund in dem Arm schießen hatte lassen. Hier klappte der Genremix schließlich auch bedeutend besser.

    Ein besonderer Höhepunkt des Konzerts stammte nicht aus Andersons eigener Feder: Die Stimme Lou Reeds aus dem Song „Junior Dad“ begleitete Anderson gemeinsam mit dem Cellisten in einem Moment der Schwerelosigkeit und Emotion. Auch durch das Ausklammern von Metallica E-Gitarrenspiel, mit welchem Reed den Track des mittelmäßig beliebten Kollaborationsalbum „Lulu“ aufgenommen hatte, entsteht ein Gefühl der Nähe, das beim Zusammenspiel mit einer Stimme vom Band Seltenheitswert genießt. Es sollte der emotionalste Song des Abends sein. Emotional war das nicht mehr zu übertreffen. Nach weiteren persönlichen Einblicken, etwa zu Nahtoderfahrungen auf dem Eis eines Kindheitssees, beendete Laurie Anderson das Konzert mit dem 2010er Track „Only an Expert“, eine weitere Variation zu unserem Bedürfnis - in diesem Fall von Expert:innen - gerettet zu werden. Der Song in Crescendostruktur bot abschließend noch einmal der Band Möglichkeiten, solistisch zu glänzen. Nach gut eineinhalb Stunden verließ die Künstlerin die Bühne.

    Klar, dass das Publikum bei der seltenen Gelegenheit, Laurie Anderson auf der Bühne erleben zu können, mit Nachdruck und Applaus auch noch eine Zugabe forderte. Was tat Anderson? Sie greift wieder nach ihren Moderationskärtchen und lädt das Publikum in den engen Theaterreihen dazu ein mit ihr Tai Chi zu machen, die Band spielt derweil Stimmungsmusik. Klar, dass man auch noch Fernöstliche Klänge bei der Hand hat. Die Übungen sehen auf dem begrenzten Raum des Stadttheaters, der nicht für raumgreifende Gesten gedacht war, recht albern aus, das Publikum teilte sich platzsuchend auch auf die Gänge zwischen den Stühlen aus. Wer macht mit? Fast alle, was für das Charisma der Künstlerin sprechen sollte.

  • Info:

    Laurie Anderson Homepage:  https://laurieanderson.com/