Politik | Albanese-Report II

Die Komplizen des Völkermords

Nachdem F. Albanese in ihrem ersten Bericht die Verbrechen Israels in Gaza analysiert hatte, legt sie im jüngsten Bericht dar, welche Komplizen dieser Völkermord hatte.
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Niemand weiß, wann Netanjahus Killerkommandos wieder zuschlagen werden. Graffiti in Bozen. Foto: T. Benedikter
Foto: Thomas Benedikter
  • Der neueste Bericht von Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtslage in den von Israel besetzten Gebieten, hat es in sich. Nachdem Albanese in ihrem ersten Bericht die Kriegsverbrechen an der palästinensischen Zivilbevölkerung analysiert hatte – der Großteil der 67.000 Opfer in Gaza sind Zivilisten -, legt sie nun dar, dass dieser Völkermord viele Komplizen hatte. Mit umfangreichen Daten belegt sie, wie und in welchem Umfang Drittstaaten während des zweijährigen Kriegs gegen die Palästinenser in Gaza politische, militärische und wirtschaftliche Unterstützung geleistet haben.

    Die westliche Komplizenschaft beginnt schon damit, dass die Regierungen meist das israelische Narrativ übernommen haben, die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärten und es hinnahmen, dass die Palästinenser in Gaza kollektiv zu Terroristen gestempelt und damit hingenommen wurde, dass zwei Jahre lang systematischer militärischer Terror gegen ein ganzes Volk ausgeübt wurde. Immer wieder wurden im UN-Sicherheitsrat Waffenstillstandsresolutionen durch die USA mithilfe der europäischen Verbündeten verhindert. Immer wieder wurden in der EU Versuche blockiert, zumindest einige Formen der direkten Unterstützung Israels auszusetzen. Neben den USA waren die EU-Staaten bemüht, den Internationalen Strafgerichtshof daran zu hindern, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, so Albanese.

    Der politischen Unterstützung entspricht die militärische Aufrüstung Israels. Trotz jahrzehntelanger UN-Resolutionen für ein Waffenembargo gegen Israel lieferten 2023-2025 viele westliche Staaten weiter Rüstungsgüter, vor allem die USA, aber auch Italien und Deutschland. Letzteres genehmigte zwischen 2023 und 2025 Waffenexporte im Wert von 489 Mio. Euro. Italien blieb drittgrößter Waffenlieferant Israels. Zu diesem Zweck wurden oft Angriffswaffen zu defensiven Waffen umgedeutet, so Albanese in ihrem Bericht.

    Im Abschnitt „Wirtschafts- und Handelsbeziehungen: der Treibstoff und die  Gewinne des Völkermords“ betont Albanese, dass die EU insgesamt der wichtigste Handelspartner Israels mit einem Handelsvolumen von fast 474 Mrd. US-Dollar (2022-2024) ist. Da Israel stark vom Außenhandel abhängt (54% des BIP 2024), wären Sanktionen ein wirksamer Hebel gewesen, um Israel zum Verzicht auf fortgesetzte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung drängen, die auch zur mehrfachen Vertreibung fast der gesamten Bevölkerung geführt haben. Allein, es geschah nichts. Nicht einmal die Technologie- und Forschungsprogramme Horizon Europe mit über 2 Mrd. Euro an EU-Fördermitteln für israelische Unternehmen wurden ausgesetzt. Trotz des Kriegs gegen Gaza weiteten verschiedene Staaten ihre Handelsbeziehungen sogar noch aus, wie Deutschland, Italien, Ägypten, die VAE und Griechenland. Ägypten schloss im August 2025 sogar einen neuen Gasvertrag mit Israel im Umfang von 35 Mrd. US-Dollar.

    Die massive Unterstützung Israels auch während dieses jüngsten Völkermords ist – so Albanese – der bisherige Höhepunkt einer langen Geschichte der Komplizenschaft. Die Passivität gegenüber dem systematischen Bruch des Völkerrechts in Gaza, aber auch im Westjordanland untergräbt die Grundlagen des humanitären Völkerrechte. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gipfelten in der systematischen Zerstörung des humanitären System der Palästinenser von Gaza, indem Lagerhäuser, Flüchtlingslager, Schulen und Kliniken bombardiert und 370 Mitarbeiter getötet wurden, die Hilfsorganisation UNRWA verbannt und ganz Gaza mit einer Blockade der Hilfslieferungen in einen Hungernotstand getrieben wurde. Nicht nur Hunderte von Menschen starben an Unterernährung, über 1000 Zivilisten wurden während der Essensausgabe von israelischen Soldaten abgeknallt. Auch zu diesen extremen Verbrechen gab es seitens des Westens keine echte politische Reaktion, wird es keine Art von Strafverfolgung geben.

    Francesca Albanese bezeichnet in ihrem zweiten Bericht die Gewalt in Gaza als Völkermord, der nicht isoliert durch Israel, sondern durch die systematische Mitverantwortung westlicher und arabischer Staaten ermöglicht worden ist. Er dokumentiert, dass politische Rückendeckung, Waffenlieferungen, selektive Hilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Kultur der Straflosigkeit geschaffen haben. Albanese fordert eine internationale juristische und politische Rechenschaftspflicht, um das Völkerrecht wiederzubeleben.

    Voraussichtlich werden all diese Verbrechen straflos bleiben, werden die Verantwortlichen nie zur Rechenschaft gezogen, wird es nie ein „Israel-Tribunal“ geben, um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg zu ahnden. Schon heute ist man wieder zum „business as usual“ übergegangen und wird in verschiedenen europäischen Hauptstädten bereitwillig Netanjahu als Staatsgast begrüßen: Schwamm drüber. Genau 80 Jahre nach den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen (Beginn: 20.11.1945) und 77 Jahre nach der Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord (9.12.1948) hätte die geschichtliche Lehre eigentlich anders ausfallen müssen: überall dort, wo Kriegsverbrechen folgenlos und straffrei bleiben, droht die Gefahr, dass sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkerrechte wiederholen.