Kunst | Artstore

Kreativität und Wirtschaft vereint

Die kreative Plattform ABOUT A WORKER revolutioniert Mode: Arbeiter:innen werden Designer:innen. Für Ethik, Inklusion und neue Kreativprozesse.
The Giant Upcycled Dolls (Thibault & Jess)
Foto: ABOUT A WORKER
  • Gegründet im Jahr 2017 von Kim Hou und Paul Boulenger, ist About A Worker eine kreative Plattform, die die Modeindustrie neu denkt: Sie stellt Arbeiterinnen in den Mittelpunkt des Designprozesses, hinterfragt traditionelle Hierarchien und fördert eine ethischere und inklusivere Branche. Ihre Zusammenarbeit schlägt eine Brücke zwischen Kreativität und wirtschaftlichem Denken – mit dem Ziel, Design zu demokratisieren und Arbeiterinnen durch inklusive, transparente Produktionsmethoden zu stärken.

    About A Worker hat mit namhaften Marken und Institutionen wie Lacoste, Adidas, La Redoute und dem Palais de Tokyo zusammengearbeitet. In Workshops laden sie Menschen aus allen Bereichen – ob Konsumentinnen oder Produzentinnen – dazu ein, selbst zu Designerinnen zu werden und Kollektionen zu entwerfen, die auf persönlichen Erfahrungen und Bedürfnissen basieren.

     

    Artstore: Ihr habt euch an der Kingston University in London kennengelernt – Kim im Produktdesign, Paul in Betriebswirtschaftslehre. Auch eure familiären Hintergründe spiegeln diese beiden Welten wider: Kreativität auf der einen, wirtschaftliches Denken auf der anderen Seite. About A Worker bringt genau diese Pole zusammen – kreativen Ausdruck und wirtschaftliche Realität. Wie prägt dieser Dialog eure Zusammenarbeit?

    Kim Hou: Designerinnen und Unternehmerinnen teilen denselben Antrieb: das Unbekannte in die Realität zu überführen. Wenn sie zusammenkommen, wird diese Realität zu einem lebendigen Dialog – genährt von Experimentierfreude, Anpassung und Wachstum, geprägt von den sich entwickelnden Ideen, die sie gemeinsam zum Leben erwecken.

    ABOUT A WORKER entstand aus einer utopischen, sozial engagierten Vision: Fabrikarbeiterinnen sollten zu Designerinnen werden – mit einer Plattform, auf der sie ihre Sicht auf die Branche teilen und aktiv an ihrer Veränderung mitwirken können. In kreativer Zusammenarbeit entstehen dabei aussagekräftige Stücke, die nicht nur ihr handwerkliches Können, sondern auch ihre bislang ungehörten Geschichten sichtbar machen.

    Damit diese Vision in der Textil-, Mode- und Kulturbranche Anklang finden konnte, musste sie klar und überzeugend vermittelt werden. An dieser Stelle spielt die Zusammenarbeit mit Paul (Betriebswirtschaftler) eine zentrale Rolle: Er bringt die strategische Perspektive ein, die notwendig ist, um das Konzept wirtschaftlich zu verankern und seine nachhaltige Entwicklung zu sichern.

    In den letzten acht Jahren hat sich ABOUT A WORKER von einem Modelabel zu einer kreativen Plattform entwickelt – und heute noch weiter: zu einer Produktionsstätte, einem öffentlichen, mobilen Workshopraum und einem Designlabel, das Gemeinschaften die Werkzeuge gibt, sich selbst auszudrücken und ihre Geschichten zurückzuerobern.

    Paul Boulenger: In kreativen Branchen – insbesondere im Handwerk und in der Mode – stehen kreative Visionen und wirtschaftliche Realitäten oft im Widerspruch. Ich würde sagen, wir nutzen diesen Widerspruch als Antrieb. Die besten Ideen und Lösungen finden wir immer in einem gemeinsamen Feld zwischen der kreativen und der wirtschaftlichen Seite.

  • Foto: About a Worker
  • „Arbeit“ ist ein komplexes Wort – Pflicht, Identität, Überleben, Leidenschaft. Was bedeutet Arbeit für euch persönlich?

    KH: Heute nimmt Arbeit fast 80 % unseres Alltags ein. Wenn ich ein Wellbeing-Coach wäre, würde ich fragen: Wie willst du diese Zeit verbringen? Mit etwas, das du liebst und das dir erlaubt, du selbst zu sein? Oder mit immer gleichen Handgriffen, wie eine Maschine?

    Mit Leidenschaft zu arbeiten ist ein Privileg, kein Recht. Während meines Studiums an der Design Academy Eindhoven wurde mir klar, dass viele meiner Kommilitoninnen aus wohlhabenden und sicheren Verhältnissen kamen. Es ist viel einfacher, in der Arbeit experimentierfreudig und freudvoll zu sein, wenn man keine Angst vor dem Scheitern hat und über finanzielle Mittel verfügt. Unter solchen Bedingungen wird Arbeit zu einer Erweiterung des Selbst, einem Werkzeug für Selbstausdruck und Erfüllung. Aber dieses Privileg ist nur wenigen vorbehalten.

    Für die meisten Menschen ist Arbeit ein Mittel zum Zweck: Geld verdienen, um sich ein komfortables Leben außerhalb der Arbeit leisten zu können. Viele haben keine Wahl, als wie Maschinen zu arbeiten, für Unternehmen, mit denen sie sich nicht identifizieren, und Ergebnisse zu produzieren, die nicht ihren Werten entsprechen – alles im Namen der finanziellen Sicherheit.

    Die Gefahr, nur für Geld zu arbeiten, besteht darin, dass wir verstummen. Wenn es keinen Raum gibt, um persönliche Werte oder Bedürfnisse auszudrücken, werden wir leicht zu Komplizen von Systemen, die uns allen schaden – wie denen, die die Klimakrise vorantreiben.

    PB: Für mich ist die eigentliche Frage nicht, womit man seinen Lebensunterhalt verdient, sondern welchen Sinn und welche Bedeutung man darin findet. Natürlich, wie Kim schon sagte, ist es leichter, experimentierfreudig und fröhlich im Berufsleben zu sein, wenn man aus einem gesunden Umfeld kommt. In den vielen Kontexten, in denen wir Projekte starten, haben wir festgestellt, dass Frustration oft aus einem Mangel an Kommunikation und einer fehlenden gemeinsamen Vision zwischen Führungskräften und Teammitgliedern entsteht. Arbeit muss eine gemeinsame Vision sein, die von allen im Team getragen wird – unabhängig von Bildungsstand oder sozialem Hintergrund.

     

    Ihr habt mit Unternehmen wie Lacoste, Adidas und La Redoute zusammengearbeitet. In solchen Fällen – wer holt euch eigentlich an Bord, und was erwarten sich diese Unternehmen von eurer Arbeit?

    KH: Oft werden wir von den Abteilungen für Kreativität, CSR, Marketing oder Kommunikation angesprochen. Sie suchen nach neuen kreativen Prozessen, die nachhaltig, ethisch und gemeinschaftsorientiert sind. Besonders schön ist es zu sehen, wie unsere Projekte dann in der gesamten Organisation Anklang finden.

    PB: Diese Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen: Nachhaltigkeit, Konsumentinnenbindung, Besucherfrequenz in ihren Stores usw. Sie sind bereit für Veränderung, aber ihnen fehlt oft die Flexibilität, Ideen zu testen und umzusetzen. Mit uns erhoffen sie sich kreative Lösungen, die kurzfristig umsetzbar und anpassungsfähig sind – je nach Zielgruppe und Zeitplan.

     

    In eurer künstlerischen Praxis stellt ihr die Arbeiterinnen ins Zentrum. Doch von welcher Position holt ihr sie ab – und wohin stellt ihr sie mit eurer Arbeit?

    KH: Wann immer wir mit Arbeiterinnen zusammenarbeiten, stehen sie ganz natürlich im Zentrum des Prozesses. In Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen sowie Mode- und Textilunternehmen laden wir Gemeinschaften von Arbeiterinnen dazu ein, aktiv an kreativen Projekten mitzuwirken.

    KH: Unsere Kooperationen reichten bisher von ehemaligen Sweatshop-Arbeiterinnen in China, über die letzten Hausschuhmacherinnen in Frankreich, bis hin zu Couture-Arbeiterinnen im Frauengefängnis Giudecca in Italien.

    PB: Die Idee ist weniger, die Arbeiterinnen zu einem Wandel zu drängen, sondern vielmehr, Licht auf ihren Alltag, ihre Rolle und ihre Sicht auf die Textilindustrie zu werfen. Ich habe erkannt, dass wir viel mehr von den Arbeiterinnen lernen können als sie von uns.

     

    Gibt es etwas, das ihr den zukünftigen Besitzerinnen der „Giant Dolls“ mitgeben wollt? 

    KH: Die riesigen, upgecycelten Puppen wurden von unserem Team in Paris entworfen und gefertigt. In jeder einzelnen steckt viel Zeit, Kreativität und handwerkliches Geschick. Ausgangspunkt waren alte Kleidungsstücke, aussortierte Stoffe und vergessene Materialien aus unserem Atelier – verwandelt in neue Gestalten.

    PB: Dieses übergroße Paar sind echte Fashion Creatures – einzigartige, handgefertigte Wesen, entstanden aus Restmaterialien vergangener Projekte. Ihre Formen und Designs richten sich ganz nach den Gegebenheiten der vorhandenen Stoffe. Sie verkörpern die Erinnerung an unsere bisherigen Arbeiten und tragen deren Geist in die Zukunft.

     

    In freier Übersetzung von Sarah Oberrauch

  • The Giant Upcycled Dolls: Thibault & Jess Foto: ABOUT A WORKER
  • Werkangaben

    Künstler: ABOUT A WORKER
    Titel: The Giant Upcycled Dolls (Thibault & Jess)
    Material: Alte Kleidung, weggeworfene Stoffe
    Maße: jeweils 3 Meter hoch
    Jahr: 2025
    Edition: Unikate
    Preis: je Giant Doll 1.000€ zzgl. MwSt. und Transportkosten
    Bildnachweis: ABOUT A WORKER

  • SALTO hat mit dieser digitalen Galerie einen speziellen Raum für Künstler aus dem Euregio-Tirolo-Gebiet geschaffen.
    Die Kunstwerke werden exklusiv im Artstore von SALTO präsentiert.

    Artstore ist ein Projekt, das von der Kulturvereinigung BAU entwickelt wurde. Heuer liegt die Kuratorenschaft in den Händen von Eau&Gaz, ein Residenzprogramm für KünstlerInnen, KuratorInnenund andere im Kulturbereich tätige Personen. Seit 2022 organisiert es auch das Kultur- und Bildungsprogramm auf Schloss Gandegg in Eppan. Für den Artstore hat sich das Team von Eau&Gaz entschieden, künstlerische Positionen vorzustellen, die sie dieses Jahr in Südtiroler Ausstellungen anzutreffen sind. Eau&Gaz wird von Kathrin und Sarah Oberrauch sowie Johannes Nowak kuratiert.

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