Gesellschaft | Fluchtursachen

Bad governance

Diktaturen und Korruption sind die Fluchtursachen Nummer eins in Afrika, sagte der Journalist und Comboni-Priester Sebhat Ayele während seines Aufenthalts in Südtirol.

„Natürlich empfinden viele Afrikaner es als positiv, dass Deutschland nun seine Grenzen so weit aufgemacht hat,“ antwortet Sebhat Ayele auf die Frage, wie derzeit die Flüchtlingsbewegungen von Afrika aus gesehen werden. „Ein junger Mann, den ich in Uganda betreue, meinte, er sehe das als Zeichen, dass die Europäer doch am Schicksal Afrikas interessiert sind.“ Sebhat Ayele, ein katholischer Comboni-Priester ist gebürtiger Eritreer und seit über 50 Jahren selbst ein Refugee, auf der Flucht vor der Diktatur in seinem Heimatland. Als Priesteranwärter konnte er in Italien studieren, er war danach in Äthiopien, Uganda und den USA als Seelsorger tätig. Seit 2012 lebt er wieder in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, betreut dort die Gemeinschaft von Flüchtlingen aus Eritrea und leitet als Journalist das Magazin „Leadership“. Mit einer Reihe von beeindruckenden Fakten und Informationen kam Ayele für eine Woche nach Südtirol, um in Gesprächen und Vorträgen von den Fluchtursachen und von den Verhältnissen nicht nur in Eritrea, sondern in den afrikanischen Nachbarländern zu erzählen.

„Sie müssen verstehen, dass in Afrika ganz andere politische Nomenklaturen, dass in den meisten Ländern Diktatoren am Werk sind, die viele Jahrzehnte lang Gelegenheit hatten, die politischen Systeme komplett umzuwälzen, durch Korruption, durch Gewalt, durch Terror.“ In Eritrea, seinem Heimatland, seien die Gefängnisse voll mit politischen Häftlingen, jeder Verstoß gegen die Willkürherrschaft Isayas Afewerkis, eines ehemaligen Guerillachefs, der seit 20 Jahren das kleine Land am Horn von Afrika regiert, werde hart geahndet. „Jedes Jahr verlassen 5000 Menschen das Land und fliehen in die Nachbarländer, nach Äthiopien oder in den Sudan. Mittlerweile sind von den 6,7 Millionen Einwohnern an die 708.000 Menschen geflohen. In Uganda leben derzeit etwa 15.000 Personen aus meiner Heimat, aber sie können dort nicht bleiben, Uganda gibt ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung.“

Von 6,7 Millionen Einwohnern in Eritrea sind 708.000 auf der Flucht, von 23 Millionen Syrern 2,4 Millionen 

Kein afrikanisches Land kann es sich leisten, Flüchtlinge aus anderen Staaten aufzunehmen, sie in die Gesellschaft zu integrieren, Arbeitsplätze zu schaffen. Höchstens Südafrika habe die nötigen Ressourcen, doch auch dort gibt es genügend Konflikte zwischen den sozialen Gruppen, meint Ayele. „Dabei ist Südafrika und allen voran Johannesburg so etwas wie die „City of Gold“ Afrikas, dort leben laut einer Studie von „New World Wealth“ 23.400 Dollarmillionäre, dahinter folgt Kairo mit 10.200 und die nigerianische Hauptstadt Lagos mit 9100 reichsten Menschen. Doch natürlich sage das nichts aus für die breite Masse, für die Armen und Flüchtenden, meint Ayele.

„Dieses Reich-Arm-Gefälle ist eine Sache, aber noch wirksamer für die Beibehaltung der aktuellen miserablen Zustände in der Bevölkerung sind die schwachen und korrupten politischen Systeme, die von den zahlreichen Diktatoren geschaffen wurden.“ Sebhat Ayele zählt sie auf: Angola wird seit 35 Jahren diktatorisch regiert, Kamerun seit 32 Jahren, Äquatorialguinea seit 35 Jahren, Uganda seit 28 Jahren, der Sudan seit 25 Jahren, Tschad 23 Jahre, Eritrea 23 Jahre, Gambia 20 Jahre, Kongo 17 Jahre….

In dieser Zeit der Präsidialherrschaften hatten die jeweiligen Regierenden jede Zeit der Welt, die Verfassung nach ihrem Gutdünken zu reformieren und so ihre Stellung zu festigen, erläutert Ayele. Der Einparteienstaat Eritrea unter der Führung von Isayas Afewerki hat 2001 die freie Presse abgeschafft, 2006 die Universität Asmara aufgelöst und 2011 wurden die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit massiv eingeschränkt. „Es gibt auch keine Privatwirtschaft, jeglicher Handel und Dienstleistungen werden vom Staat angeboten, die Bauern sind gezwungen ihre Produkte zu Niedrigstpreisen an staatliche Stellen abzugeben.“ Die Hauptfluchtursache aus Eritrea ist der Militärdienst, zu dem alle Jungen und Mädchen nach Abschluss der Pflichtschule und spätestens ab 18 Jahren einberufen werden. Es werden sogar Jugendliche ab 15 Jahren in Razzien zusammengetrieben und ins Militärlager nach Sawa gebracht, erzählt Ayele. „Zehn oder fünfzehn Jahre können vergehen, bis du wieder aus diesen Lagern bzw. aus dem Militärdienst hervorkommst!“ Sogar die Fußballnationalmannschaft Eritreas hat bereits viermal um politisches Asyl angesucht, in Kenia, Tanzania, Uganda und 2015 in Botswana, bisher vergeblich.

Ein wenig Hoffnung schöpft Sebhat Ayele aus der Tatsache, dass vor einem Jahr ein Komitee gegründet wurde, das den eritreischen Diktator an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen will. „Unsere Regierung in Asmara weiß, dass es dieses Komitee gibt, wir beobachten wie es nun weitergeht und hoffen dass es wirklich dazu kommt.“ Er ist überzeugt, dass dies ein erster Schritt wäre, um  Eritrea wieder zu einem Land zu machen, in dem die Menschen arbeiten und leben können, und sich nicht auf die Flucht begeben müssen.  

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Frank Blumtritt So., 25.10.2015 - 11:32

... man sollte diese Fakten aber nicht einfach so stehen lassen, ohne Ross und Reiter zu nennen. Fast könnte man den falschen Schluss ziehen, die Afrikaner seien an ihrem Schicksal selbst schuld. Alle zitierten Diktaturen bestehen einzig und allein deshalb, weil der Kolonialismus erst die Basis dafür geschaffen hat und danach die Supermächte und Europa das aus Eigeninteresse so aufrecht erhalten haben, um strategischen und wirtschaftlichen Nutzen daraus zu ziehen.

So., 25.10.2015 - 11:32 Permalink