Kultur | Salto Weekend

Wenn der Hut brennt

Das Nationaltheater Mannheim zeigte in Bozen, was geschieht, wenn Naturkatastrophen die Welt in Arm und Reich, in Gewinner und Verlierer teilen...
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Foto: Nationaltheater Mannheim

...und wir uns die Seiten nicht aussuchen können.

Das Südtiroler Kulturinstitut holte am 21. und 22. Februar Das große Feuer unter der Regie des Schauspielintendanten des Nationaltheaters Mannheim, Burkhard C. Kosminski, nach Bozen. Das Buch zum Stück stammt vom Nestroy-Theaterpreisträger Roland Schimmelpfennig, der hier wie auch schon in vorigen Werken ein soziales Thema zu einer märchenhaft anmutenden Parabel ausgearbeitet hat. Das Schauspielensemble des Nationaltheaters Mannheim setzt diese eindrücklich und präzise um.

Warum wir? Was ist anders an uns als an ihnen? Und was wäre, wenn es andersherum wäre?

Im Mittelpunkt von Das große Feuer stehen zwei Dörfer, getrennt durch einen Bach. Auf der einen Seite leben die Bewohner vom Weinbau, auf der anderen Seite von der Viehzucht. Während der Frühling noch Gutes verspricht („die Schmetterlinge stolpern auf zu hohen Schuhen durch die Luft“), sorgt schon bald die gleißende Sommersonne für Dürre, jedoch nur am Ochsenufer. Der langersehnte Regen bringt eine Überschwemmung und diese wiederum Krankheit und Tod. Im verschont gebliebenen Winzerdorf eröffnet unterdessen ein Ausflugslokal – der Wohlstand wächst. Es ist, „als trennte sich in der Mitte des Tals die Welt“. Gegen die hilfesuchenden Hungernden errichten sie einen Schutzzaun. Im Frühjahr schließlich verwüstet ein großes Feuer das Ochsendorf und den Überlebenden bleibt nur eine Hoffnung: Sie steigen in ein Boot und versuchen, den Fluss, der nun zum Meer angeschwollen ist, zu überqueren.

Das Stück kommt ohne klassische Figuren aus, die Schauspieler werden vielmehr zu Erzählkörpern, die mit nonchalanter Leichtigkeit verschiedene Rollen interpretieren und diese auch überschreiten, indem sie über sich selbst sprechen, wodurch bei den Zuschauern eine Distanz zum Erzählten entsteht. Dennoch wachsen, auch dank dem starken Text, im Kopf der Zuschauer Bilder von einer ungeheuren Intensität. Kosminski braucht nicht viel mehr als ein paar Papierbahnen, um die Leichtigkeit eines duftenden Kornfelds, das heitere Treiben im Wirtshaus oder die zerstörerische Immensität des Feuers entstehen zu lassen, immer nur angedeutet, aber er erzielt damit – wiederum im Zusammenspiel mit den präzisen, bildgewaltigen Worten des Stücks – eine starke Wirkung.

Ein Höhepunkt ist der Herbst mit seinem „Nebelwolkenhimmelreich“ über alle Abgründe dieser Welt, märchenhaft untermalt vom großartigen Mannheimer Opernorchester mit Vivaldis Vier Jahreszeiten, deren Klänge durch das ganze Stück führen. In präzisen Bildern zeigt Das große Feuer, wie schnell die Waage zwischen Wohlstand und Armut kippen kann und unser christlich-humanistisches Weltbild ins Wanken gerät, wenn plötzlich der Hut brennt. Und während der Fluss zwischen den Dörfern immer breiter wird, schlagen auch die beiden Kirchturmuhren in immer größerem Abstand voneinander, „als ob es gleichzeitig zwei Zeiten geben könnte“. Was bleibt, ist die Gewissensfrage an uns selber: Würden wir auf der Gewinnerseite einfach das Leben weiterleben wie bisher?