Gesellschaft | Sexualerziehung

Endlich gibt ihnen jemand Antworten

Kinder haben viele Fragen zum Thema Sexualität. Hubert Fischer beantwortet sie ihnen und Eltern sind froh darüber.
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Foto: Hubert Fischer

Der Jugendarbeiter und ausgebildeter Sexualpädagoge ist seit Mai neuer Vorsitzender der Plattform für Sexualpädagogik Südtirol. Die Hauptaufgabe der Mitarbeiter*innen besteht im Moment darin, mit ihren Projekten die Sexualerziehung an den Schulen zu übernehmen.

 

Salto.bz.: Herr Fischer, ab wann ist es wichtig Kinder aufzuklären?

Hubert Fischer: Wir haben immer sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn man das Projekt in der fünften Klasse Grundschule, also so mit neun-zehn Jahren, macht.

 

Da fangen ja die Fragen zu diesem Thema an…

Es ist ein ideales Alter, auch wenn die Kinder oft noch ganz unterschiedlich sind. Ängste der Eltern spielen da zwar mit rein, aber die kann man ausräumen. Es gibt Elternabende, bei denen das Projekt und die Personen, die es machen, vorgestellt werden. Es ist wichtig die Ängste ernst zu nehmen. Die Eltern wissen auch nicht immer wo ihre Kinder unterwegs sind. Und wenn man sich die Fragen der Kinder anschaut, dann ist es sehr wichtig, dass da jemand ist, der ihnen ehrliche und richtige Antworten gibt. Mittlerweile ist der Zugang zum Thema durch das Internet leicht, das darf man nicht unterschätzen. Da haben wir oft schon bei den Fragen das Gefühl, dass die Kinder unbegleitet sind.

 

Sie müssen also unbedingt abgeholt werden und es muss drüber gesprochen werden?

Ja genau, das Sprechen ist ein wichtiger Zugang. Wenn ich denke, als ich in der Pubertät war, was war da für ein Zugang. Da musste man irgendwo eine Zeitschrift kaufen, die Hürde war viel größer. Heutzutage bist du mit einem Klick drin im Thema. Zu verstehen, dass das nicht die richtige Sexualität ist, ist für Kinder mit zehn Jahren schwierig. Umso wichtiger ist es, in dem Moment einzusteigen und sie da zu begleiten.

 

Weil die Eltern damit auch überfordert sind?

Auf jeden Fall. Ich denke, sie sind froh, dass wir einen Teil machen. Sie haben zwar oft auch Bedenken…

 

Was sind das für Bedenken?

Sie wollen genau wissen, was wird gemacht, wer sind die Menschen, die das machen. Meistens sind die Bedenken nach den Elternabenden aber ausgeräumt.

 

Weil sie Angst haben, den Kindern wird einfach nur erklärt wie Sex funktioniert?

Ja genau, es geht nicht darum den Kindern einfach zu erklären wie Sex geht. Sexualität sollte nicht losgelöst von einer Gesamterziehung gesehen werden. Es ist ein Teil davon und wenn man das so versteht, dann braucht man auch nicht eine so große Angst davor zu haben…Es fängt im Bauch der Mama an, geht weiter mit Gefühlen, mit Lustempfinden, damit sich abzugrenzen, mit Aufmerksamkeit. Das hat alles mit Sexualität zu tun. Wie gehe ich mit dem anderen um? Die Selbstwahrnehmung, die Fremdwahrnehmung. Das ist, was wir versuchen zu fördern. Sie da zu begleiten und zu stärken. Sexualität sollte nicht auf Sex reduziert werden, also nur auf zwei nackte Menschen die Geschlechtsverkehr haben. Und es ist ja nicht so, dass die Kinder und Jugendlichen danach nur mehr Lust haben irgendwelche sexuellen Handlungen auszuüben. Ganz im Gegenteil, sie sind eher beruhigter. Sie haben endlich mal Antworten gekriegt.

 

Was sind die Fragen und Ungewissheiten der Kinder und Jugendlichen?

Erstmal sind sie meistens sehr überrascht, dass wir ganz langsam einsteigen. Wir reden erstmal über Gefühle, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Oft sind sie auch enttäuscht und wollen mehr wissen. Es geht darum sie langsam abzuholen. Sie fragen zum Beispiel was Porno bedeutet oder schwul zu sein. Das sind Fragen aus der fünften Klasse. Was ist ein Blowjob ist, wird auch gefragt. Das macht einem dann schon zu denken, in dem Alter. Da frage ich mich, wo sind diese Kinder unterwegs. Sie wissen diese Dinge nicht einzuordnen. Was ist Sex, und wie lange dauert Sex, sind auch Fragen, die ja auch ok sind. Es ist einfach wichtig, dass man ihnen die richtigen Antworten gibt und sie nicht leichttfertig dem Internet überlässt. Auch die Eltern sollten bestärkt werden, zu schauen und aufmerksam zu verfolgen was ihre Kinder tun.

"Neunzig Prozent der Eltern, die zu den Elternabenden kommen sind froh und zufrieden, dass das die Schule übernimmt. Der Zugang, über das Thema zu reden oder es anzugehen, ist immer noch nicht leicht."

Ein wichtiges Thema für Heranwachsende ist die Selbstbefriedigung?

Selbstbefriedigung ist auch ein Thema. Da kommen immer wieder Fragen auf. Was ist das, wenn ich mich selber angreife? Darf ich das, darf ich das nicht? Wenn ich was spüre, was ist dann? Das ist für die Prävention sehr wichtig, sich selber anzunehmen, sich zu schätzen. Zugang zum eigenen Körper zu finden. Zu spüren was tut mir gut, was tut mir nicht gut. Das ist was ganz natürliches und darf Thema sein. Seinen eigenen Körper kennenlernen schützt auch vor dem was mir vielleicht passieren kann. Wenn ich weiß, was mir gut tut und was nicht. Seinen Körper zu scannen und begreifen zu können. Es gibt Zonen, da dürfen mich vielleicht alle anfassen, es gibt aber auch Zonen, da dürfen mich nur gewisse Leute anfassen und Zonen, da darf mich keiner anfassen oder nur ich selbst. Sich selber wahrzunehmen und zu schätzen, so wie man ist. Sich aber auch abgrenzen zu können, von Dingen wie Pornos, die nicht die Realität darstellen.

 

Diese Fragen waren ja auch schon in der Jugendzeit der jetzigen Elterngeneration präsent, nur durfte man damals nicht drüber reden. Wenn jetzt immer noch so wenig mit den Kindern gesprochen wird, fehlt es den Erwachsenen vielleicht auch noch an Aufklärung?

Das ist immer wieder interessant, weil wir reden ja auch mit den Eltern beim Elternabend. Man meint, man lebt in einer aufgeklärten Gesellschaft, aber im Grunde genommen sind immer wieder die gleichen Fragen da. Das heißt, wie habe ich es erlebt, in der Schule, mit meinen Eltern. Und da war damals in der Schule oft gar nichts, oder nur eine rein biologisch Aufklärung. Nicht ein reflektiertes Nachdenken über die Themen, die ich oben erwähnt habe in Bezug auf Sexualität. Oder die Seiten im Schulbuch wurden zugeklebt, das ist noch nicht so lange her. Das sind genau die Eltern, die ihre Kinder jetzt in der fünften Klasse haben und uns das erzählen. Es gibt aber auch aufgeklärte Eltern, die sehr wohl mit den Kindern reden.

 

Gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern?

Ja man merkt  einen Unterschied wie mit Jungs und wie mit Mädchen umgegangen wird. Mit den Mädchen wird eher drüber gesprochen. Sicher weil in der Zeit die erste Regel kommt. Da sind die Eltern ja fast ein bisschen gezwungen drüber zu reden und die Mädchen darauf vorzubereiten. Bei den Jungs ist das immer noch ein Tabu, zum Beispiel der erste Samenerguss. Darüber redet keiner mit ihnen, es ist sicher nicht mit der ersten Regel zu vergleichen, aber auch ein wichtiges Ereignis. Neunzig Prozent der Eltern, die zu den Elternabenden kommen sind froh und zufrieden, dass das die Schule übernimmt. Der Zugang, über das Thema zu reden oder es anzugehen, ist immer noch nicht leicht. Wenn man die Eltern hinterher fragt, dann haben auch sie einen neuen Zugang gefunden. Sie berichten, dass das Kind sich gestärkt und angekommen fühlt und beide Seiten können leichter drüber reden. Wir schauen bei unserem Projekt, was wissen die Kinder und was möchten sie noch wissen. Und so kann man gut in den Dialog treten. Es geht nicht darum sie zu überfordern, sondern im Austausch zu sein. Wir sind auch immer zu zweit, eine Frau und ein Mann. Es wird auch geschlechtsspezifisch gearbeitet. Frauen mit Mädchen und Männer mit Jungs und dann wird gewechselt, damit die anderer Seite auch kennenlernt wird.

 

Zurück zur Plattform. Wie sieht die Zukunft aus?

Die Plattform sorgt dafür, die Mitglieder, also die Sexualpädagogen*innen, zu informieren und für sie da zu sein. Unser großes Ziel wäre eine Fachstelle einzurichten. Das heißt, eine Stelle zu haben mit einer fixen Person, die als zentrale/r Angestellte/r versucht alles zu bündeln. Ganz viel spielt sich zurzeit in der Schule ab, was sexuelle Aufklärung und Bildung angeht. Aber ich glaube es gibt noch mehr zu tun. Ich denke an die Altersheime, also Sexualität im Alter. Dann Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen auf der Flucht. Menschen mit Beeinträchtigung. In diesen Bereichen könnte man viel mehr sexualpädagogisch wirksam werden. Ein Ort, wo alle Bereiche abgedeckt werden, wäre gut. Die wichtige Arbeit in den Schulen wird über das Schulamt organisiert, das funktioniert schon. Aber die anderen Bereiche wären noch mehr zu öffnen und abzudecken. Eine Fachstelle könnte vieles tun, über Informationsaustausch, Literatur, Verbindungen ins Ausland. Ehrenamtlich schafft man das alles nicht. Im Moment sind wir als Berufsgruppe Sozialpädagogen über die Plattform zusammengeschlossen und tauschen uns aus, was wichtig ist. Aber man kommt eben nur zu einem gewissen Punkt.

 

Vielleicht auch, weil es Menschen gibt die immer noch glauben, das braucht es alles nicht…

Es werden viele Projekte mit Kindern und Jugendlichen in diesen Bereichen gemacht. Aber oft wäre es schon auch gut irgendwas mit den Erwachsenen zu machen. Sie sind die Entscheidungsträger. Grad im Bereich sexuelle Aufklärung, Erziehung und Sexualpädagogik gibt es noch viel zu tun. Es ist immer noch ein Tabu und angstbehaftet. Es gibt noch viele Hürden über diese Dinge zu reden, zum Beispiel über sexuelle Orientierung.

 

Warum? Die sexuelle Revolution war in den Siebzigern. Vierzig Jahre später ist „schwul“ immer noch ein Schimpfwort...

Es hat sich schon einiges getan, aber ich denke, dass es immer noch unter den Teppich gekehrt wird. Ich glaube das ist einfach schwierig. Wichtig wäre einen natürlichen Zugang zu finden. Das heiß,t den Mensch als Mensch zu sehen. Mit Gefühlen und Wahrnehmungen. Wenn wir den Menschen so sehen wie er ist und wie er fühlt, wäre das kein Problem. Das ist aber eben noch stark mit Werten behaftet. Wie bin ich aufgewachsen, was habe ich erlebt. Es ist wichtig, dass man sich immer auch hinterfragt, auch die eigene Erziehung. Oder was hat die Kirche für einen Einfluss auf mich gehabt. Das spielt auch alles eine Rolle. Das muss dann aber jeder für sich schaffen, diese Hürde zu „knacken“. Es gibt die Leute, die sich öffnen und es versuchen zu verstehen und die, die es ewig nicht verstehen wollen. Natürlich kann die Politik einwirken. Man kann auch einen Schritt voraussetzen, vorausdenken und progressiv sein. Aber da besteht immer die Angst „ja nicht zu viel“. Und besonders in unserem „heiligen Land“. Wenn man aber mit den Kindern und Jugendlichen redet, egal in welcher Schulstufe, die sehen darin nicht das Problem. Das ist bei jungen Menschen nicht angstbehaftet. Über die Themen Homosexualität oder Transsexualität wird gesprochen, ohne dass abgeblockt wird. Sie verstehen, dass das auch Menschen sind, die Gefühle haben. Wenn man aber mit Erwachsenen darüber redet, dann ist diese Empathie irgednwie fast wie verschwunden.