Wer will Europas Gelder?

Besteht kein Bedarf mehr an diesen Geldern? Schrecken die Erfahrungen der Vergangenheit die Unternehmen ab? Oder ist es eine immer noch zu bürokratischen Handhabe? Diese Fragen stellt sich Claudio Corrarati nach den jüngsten Zahlen, die die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore veröffentlicht hat. Demnach ist Südtirol italienweit Schlusslicht was den Zugriff auf Gelder aus den europäischen Fonds ESF und EFRE anbelangt. “Wir sind besorgt – nun ist das Land gefragt”, fordert Corrarati, Präsident von CNA-SHV, “andernfalls besteht das Risiko, dass uns Europa die Finanzierungen kürzt”.
ESF und EFRE sind zwei Säulen der europäischen Regionalpolitik. Über den Europäischen Sozialfonds ESF soll Beschäftigung und Bildung gefördert, sozialen Inklusion verbessert werden. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung EFRE ist auf Investitionen in Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet. Das übergeordnete Ziel: Unterschiede im Entwicklungsstand der EU-Mitgliedsstaaten und damit die wirtschaftlich-sozialen Ungleichheiten überwinden.
Noch lange nicht ausgeschöpft
Bis zum 31. Dezember 2018 “müssen” die Regionen und Ministerien Italiens 3,6 Milliarden Euro aus den beiden Strukturfonds ausgeben. Andernfalls kann es passieren, dass die EU die Mittel streicht.
In Südtirol wurde bis dato auf 61,82 Prozent der für heuer verfügbaren Mittel noch nicht zugegriffen. “Das sind jeweils 10,8 Millionen Euro im ESF als auch im EFRE”, gibt Claudio Corrarati zu bedenken.
Erst vergangene Woche präsentierte die Landesabteilung Europa eine Zwischenbilanz. So wurden etwa bis 22. Februar 77 ESF-Projekte für insgesamt etwas mehr als sechs Millionen Euro Investitionssumme eingereicht. Zugleich sind derzeit aber noch 178 Projekte aus der Programmperiode 2007 bis 2013 abzuschließen. Wie hinlänglich bekannt, hatte die EU-Kommission 2014 die Südtiroler Kontrollmechanismen der ESF-Förderperiode 2007-2013 beanstandet und entsprechend die Fördergelder gekürzt. Von zahlreichen Projektträgern mussten schon ausbezahlte Vorschüsse zurückgefordert werden – die Aufarbeitung lief nur schleppend voran. “Die frühere unzureichend präzise Handhabung der erforderlichen Dokumentation wird längst nicht mehr akzeptiert”, betonte die neue Direktorin der Abteilung Europa, Martha Gärber. Sie führt seit April 2017 die Abteilung.
Dass die Nachfrage nach ESF-geförderten Weiter- und Ausbildungskursen inzwischen abgenommen habe, erklärt sich Gärber mit “der Vollbeschäftigung und der ausgezeichneten Auftragslage in den Unternehmen”.
Noch viel zu tun
Claudio Corrarati sieht das etwas anders – und einen direkten Zusammenhang mit den Problemen der Vergangenheit. “Die bescheidene Verwendung der europäischen Ressourcen in Südtirol könnte eine weitere Folge der Probleme sein, die es zwischen 2007 und 2013 beim ESF gegeben hat. Immerhin sind noch 178 Projekte aus diesem Zeitraum abzuschließen, ohne dass die Antragsteller die Gelder überwiesen bekommen hätten.”
Während Gärber an die Unternehmen im Land appelliert – “gerade in Wachstumszeiten ist die Weiterbildung der Mitarbeiter wichtig, damit sie den sich wandelnden Herausforderungen begegnen” –, spielt Corrarati den Ball an das Land zurück. “Die Provinz Bozen muss umgehend eine Sensibilisierungskampagne starten!”, fordert der CNA-SHV-Präsident. “Man kann sich nicht darauf beschränken, eine Pressemitteilung zu verschicken, um an die Fälligkeit für die Einreichung der Gesuche zu erinnern, sondern muss eine breite Informationskampagne starten, die Interessenverbände wie Betriebe erreicht.”
Das Verwaltungssystem für die Fonds sei nach wie vor “sehr bürokratisch”, bemängelt Corrarati, der vor einem “großen Risiko” warnt: “In Zukunft werden immer mehr Gelder für Investitionen der Unternehmen von Europa kommen und immer weniger aus den Haushalten der Staaten, Regionen, Provinzen und Gemeinden. Im Falle von ESF zum Beispiel sprechen wir von Investitionen in Bildung und Umschulung der Angestellten, die der Wettbewerbsfähigkeit zugute kommen. Welche Gründe auch immer es für die spärliche Inanspruchnahme der ESF- und EFRE-Fonds geben mag – wir müssen uns auf die Hinterfüße stellen. Ansonsten wird die EU die Mittel für Südtirol kürzen, was bedeutet, dass dem Land wichtige Finanzierungsquellen für die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe vorenthalten würden.”