Kultur | Salto Afternoon

Dekolonialisierung der Hörkanäle

Im Meraner Kulturzentrum kann man der italienischen Kolonialgeschichte auf einem interessanten Umweg begegnen, mit Expert:innen-Interviews und Liedern aus den 30er Jahren
Listening to Italian Colonialism
Foto: Privat
„Listening to Italian Colonialism“ ist der Titel der bis 7. Juni im Meraner Kulturzentrum verfügbaren Audio-Installation, die technisch und visuell nicht besonders eindrucksvoll ist, es aber auch nicht sein muss. Auf zwei Fernsehern mit Kopfhörern (jene unbequemen aus Plastik und Schaumstoff, um die es nicht schade wäre) und einem dritten Gerät mit Lautsprechern wechseln sich Expert:innen im Dialog mit dem italienischen Musik- und Kulturwissenschaftler Dr. Gianpaolo Chiriacò ab, das Projekt ist eine Kollaboration zwischen der Universität Innsbruck und „CRATere - piccola rassegna di teatro, arti e umanità“, einer kleinen, aber aufgeschlossen experimentellen kulturellen Realität auf unserem Territorium. Chiriacò hat die Installation gemeinsam mit Alessandra Ferlito und Emilio Tamburini realisiert. Außer zwei - inhaltsgleichen - Aufstellern in englischer und italienischer Sprache sind es lediglich die Aufzeichnungen diverser Video-Telefonate, welche im Raum zu finden sind und drei QR-Codes (zwei davon ziellos, da sie auf leider inaktive Sparten der Projektseite afrovocality.com verlinken), wobei der dritte auf eine Online-Dimension akademischeren Zuschnitts verweist.
Zu sagen, dass die Ausstellung wenig zu bieten hätte, wäre allerdings falsch, da ausgesprochen heterogene Zugänge an ausgewählte Beispiele des mehr als 100 Lieder fassenden Corpus von Liedern mit kolonialen Themen aus dieser Zeit heranführt. Dabei werden nicht nur die Werke im Schlüssel der Zeit und aus heutiger Sicht (mit klarer Trennung) behandelt, sondern auch die äußeren Umstände, die zur Entstehung von unschuldig daherkommenden Liedern, die, wie es eine interviewte Musikerin zum Ausdruck brachte „erschreckend 'catchy' sind“, also erschreckend eingängig und die, wenngleich uns deren Texte uns in ihrer Form heute so gar nicht mehr eingehen wollen, doch Ohrwurmpotential auf einer melodisch-theatralischen Ebene mitbringen.
In halb akademischer, halb alltäglicher Sprache werden implizite Textabsichten dabei offengelegt, gerade was die Darstellung äthiopischer und eritreischer Frauen, wie auch des Time-Magazine Mann des Jahre des letzten äthiopischen Kaisers (historisch „Negus“), Haile Selassie, zu welcher der italienische Reggae-Musiker (und Akademiker) Ras Tewelde Stellung bezieht. Gerade solche Interviews, die uns einen Text etwa aus der Sicht der Rastafari annähern sind mit bei den lohnendsten, doch auch die Offenlegung von - aus damaliger Sicht - Subtilitäten in den Liebesliedern zeigen uns, dass koloniale Gewalt von damals oft gar nicht als solche empfunden wurde. Lieder wie „Africanella“ laden das Objekt (da man durchaus von Objektivierung der Frauen sprechen kann) des Gesangs dazu ein, Kultur und bisherige Identität hinter sich zu lassen, die Lieder versprechen einen Schutz durch die  neue „Patria“ (etwa bei Randolfo de Angelis), der in klarem Widerspruch zur historischen Realität steht und so gar nicht zum Territorium passen will, auf welchem die monopolistische EIAR diese Botschaften in die Häuser schickte. Gleichzeitig werden die Frauen, von welchen hier in sorglos sonnigem Klanggewand „erobert“ und „wie Kriegsbeute“ behandelt, wo der Kolonialismus der faschistischen Kulturproduktion jener Jahre transparent ist.
Der wirkmächtige Mythos der „Italianità“ jener Zeit wird dabei sowohl durch das Othering und die Ausgrenzung dieser Menschen, wie auch durch deren - durchwegs positiv dargestellte - Assimilierung verstärkt. In beiden Fällen - in der Verweigerung, wie auch im „großzügigen“ Schenken der Kultur - kommt die vermeintliche Überlegenheit der kolonisierenden Kultur zu Tage. „Listening to Italian Colonialism“ ist ein recht selektiver, dabei aber emblematischer Zugang zum Thema italienische Kolonialgeschichte. Einige Beispiele der Interviews finden sich auch online, am Videokanal des Projekts. Es lässt sich jedoch ein Ausstellungsbesuch weit mehr als das Klicken eines Links empfehlen, besonders da der museale Kontext noch mehr dafür tut, sich auf eine kritische Reflexion zu Rassismus und Kolonialismus einzulassen.