Wirtschaft | Pluralismus

Der globale Rechtsruck und die Medien

Die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit und die Qualität der Medien hängen entscheidend von den politischen Kräfteverhältnissen, der demokratischen Verfasstheit der Länder und Gesellschaften ab. Ein Essay in zwei Teilen über Einschränkung der Pressefreiheit
Medien
Foto: Upi
  • Die Demokratie ist weltweit im Rückzug begriffen. Diese Feststellung stammt nicht von einer linken Weltverbesserungs-NGO, sondern vom renommierten britischen „The Economist“. Das Wirtschaftsmagazin publiziert seit Jahren ein Ranking, das 167 Länder nach einem 4-Punkte-System bewertet: vollständige Demokratie, unvollständige Demokratie, Hybridregime und autoritäres Regime.
    Lediglich 8 Prozent der Weltbevölkerung leben in einem der 24 Länder, die laut Economist als vollständige Demokratie eingestuft werden können.  In 50 Ländern herrsche eine unvollständige Demokratie (etwa Länder wie Ungarn, Polen, die Slowakei, aber auch die USA, Italien, Israel oder Brasilien…) Die übrigen 93 Länder werden als Hybridregime oder autoritäre Regime klassifiziert. (Quelle: Democracy Index 2024, The Economist)
    Als wesentliche Grundpfeiler jeder liberalen Demokratie bilden die Presse-freiheit und die Unabhängigkeit der Medien natürlich auch ein zentrales Kriterium bei den Urteilen des Demokratie-Indexes. 

  • Pressefreiheit als Kampf um Demokratie

    Erkämpft wurde die Pressefreiheit in der Zeit der Aufklärung im 17. Jahrhundert und durch die politischen Revolutionen und Umwälzungen im 18. Jahrhundert – und zwar als Teil der allgemeinen Bürger- und MenschenrechteAber wie die Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit etcmusste eben auch die Pressefreiheit gegen die damals meist adelig-feudalen Herrscher und die Kirche errungen und in den Verfassungen verankert werden. Ursprünglich bedeutete Pressefreiheit in erster Linie die Erlaubnis – also eine Lizenz – zu drucken und zu veröffentlichenErst dann entstand durch Konflikte über kritische, gedruckte und veröffentlichte Inhalte der Kampf gegen die Zensur. Ausmaß und Einhaltung der Pressefreiheit blieben letztlich bis heute immer eine Frage der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse. 

  • Medium Zeitung: Lange Zeit das wichtigste Mittel zur Verbreitung von Nachrichten, aber auch von weltanschaulichen, politischen und religiösen Meinungen. Foto: Upi
  • Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Zeitungen zum wichtigsten Mittel zur Verbreitung von Nachrichten, aber auch von weltanschaulichen, politischen und religiösen Meinungen. Anfangs waren die Auflagen noch gering und die Leserschaft auf die gebildeten Schichten begrenzt. Erst die Industrialisierung, die Entwicklung der seriellen Drucktechnik, die Einführung von Bildern und Fotos sowie die Urbanisierung und breite Alphabetisierung im 19. Jahrhundert machten die Zeitungen zum allgegenwärtigen Informations- und Unterhaltungsmedium.

  • 100 Jahre Radio – vom Staatsfunk zum Massenmedium

    „Hallo, hallo! Hier Radio Wien! Auf Welle 530!“ so ertönte in Österreich am 1.Oktober 1924 die erste Botschaft an die wenigen Bürger, die ein noch rudimentales Empfangsgerät besaßen. Von da an sendete die Radio-Verkehrs-AG RAVAG täglich drei Stunden Musik, Kultur und Unterhaltung. 
    In Italien hielt Benito Mussolini am 5. Oktober 1924 seine erste Radio-Rede und am 6. startete die Unione Radiofonica Italiana URI ihren Sendebetrieb mit dem Hayden Quartett Opus 7. In vielen Ländern wird diese Pionierzeit derzeit gefeiert. 
    Die Geburtsstunde des Rundfunks stellte eine bahnbrechende neue Dimension des Medienkonsums dar. Im Unterschied zur Zeitungslektüre, konnten Information, Kultur und Unterhaltung plötzlich sinnlich wahrgenommen werden. Das Wissen, dass man die Sendungen zeitgleich mit hunderttausenden anderen Menschen hörte, schuf ein neuartiges Gefühl des Kollektivs und stärkte die Herausbildung der nationalen Kulturen. Es brach die eigentliche Zeit der Massenmedien an. 

  • Medium Radio: „Hallo, hallo! Hier Radio Wien! Auf Welle 530!“ Foto: upi
  • Die technologische Revolution hatte sehr unterschiedliche Auswirkungen. Während in den USA von Beginn an der kommerzielle Charakter die Radiophonie (und später auch das Fernsehen) prägte, bestimmten in den europäischen Ländern der Staat und die Regierungen - wer senden durfte und was gesendet werden durfte. 
    Für die autoritären und faschistischen Regime in den 1920er und 1930er Jahren und dann im 2. Weltkrieg war vor allem das Radio das neue und mächtige Instrument der Propaganda. Dem hielten ab Kriegsbeginn die Sender der Alliierten mit ihren Programmen in mehreren Fremdsprachen Information und Gegenpropaganda entgegen. Am bedeutendsten waren dabei die britische BBC und das Schweizerische Radio Beromünster – aber auch die Auslandsprogramme von Radio Moskau.

  • Der Text

    Zum 100. Geburtsjahr von Claus Gatterer (1924-1984) veranstaltete die Michael-Gaismair-Gesellschaft Ende September in Bozen eine Tagung zum Thema „Medienfreiheit und Medienpluralismus“. Einer der Referenten war dabei Lorenz Gallmetzer. Dieser Essay beruht auf das Referat „Europäische Medien unter Druck“, das Gallmetzer auf dieser Tagung gehalten hat. Der Autor hat den Text für SALTO noch einmal überarbeitet.

  • Langer Weg zum Pluralismus bei Radio und TV

    Nach Kriegsende 1945 betrieben etwa in Deutschland und Österreich die alliierten Besatzer eigene Radioprogramme und vergaben die Genehmigung und die Lizenzen für die neuen Rundfunkanstalten. In Italien und Frankreich entschieden die Regierungen, die ja anfangs noch stark von der Resistenzaund der Resistance geprägt waren. Also unabhängig war da noch lange gar nichts.    In Frankreich musste z.B. noch Mitte der Sechziger Jahre täglich bis 17 Uhr dem Büro des Präsidenten Charles de Gaulle das „Menü“ – also die Themenliste – der abendlichen TV-Nachrichten vorgelegt werden. 
    Ähnliches galt fast überall bis in die 1970er Jahre, weshalb auch heute viele noch fälschlicherweise von „Staatssendern“ sprechen, wenn sie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten meinen. Dabei haben ja zumindest in den demokratischen Ländern die „Öffentlich-Rechtlichen“ zwar einen gesetzlich definierten Sendeauftrag, aber zumindest theoretisch und formal sind sie unabhängig. Also sind die Rahmenbedingungen für objektive und ausgewogene Information, sowie für Bildung und Unterhaltung vorgegeben und es gibt entsprechende Aufsichtsbehörden, die das zu überwachen haben. Was natürlich überhaupt nicht bedeutet, dass nicht auch heute die Politik, die Regierungen und die Parteien andauernd versuchen würden, Einfluss und Kontrolle über diese Sendeanstalten auszuüben. 

  • Medium Fernsehen: Heute sprechen viele noch fälschlicherweise von „Staatssendern“. Foto: Glenn Carstens-Peters on Unsplash
  • Während Großbritannien schon 1955 neben der BBC den ersten privaten       TV-Sender genehmigte, wurde am europäischen Kontinent diesseits des eisernen Vorhangs erst Anfang der 1980er Jahre Privatfernsehen in großem Ausmaß zugelassen. Ob durch Privatisierung oder Neugründung, bei den Betreibern der landesweiten Sender handelte es sich durchwegs um finanzkräftige Unternehmer. 

  • Das „Global Village“ und die Total-Vernetzung

    Schon in den 1960er Jahren prägte der kanadische Philosoph und Medientheoretiker Marshall McLuhan den Begriff des „globalen Dorfes“. Nach der Erfindung des Buchdrucks, der Zeitungen sowie des Rundfunks mit Ton und Bild werde die Computertechnik und die elektronische Vernetzung die Wahrnehmungsmechanismen der Menschen tiefgreifend beeinflussen. 
    Die Individualität werde einer kollektiven Identität weichen und das berge bei Missbrauch Gefahren bis hin zum Totalitarismus. Das schrieb McLuhan als es erst mit Röhren und Transistoren betriebene Großcomputer an Universitäten und in Forschungszentren gab – der erste serienmäßig produzierte Personal  Computer kam 1977 auf den Markt, 1992 das erste Smartphone und 2007 das erste iPhone. Heute sind wir 24/7 aktiv und passiv instant-weltvernetzt, mit allen bekannten positiven wie negativen Folgen. Mehr dazu später.

  • Computer: Heute sind wir 24/7 aktiv und passiv instant-weltvernetzt. Foto: upi
  • Wie schon betont, hängen die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit und die Qualität der Medien ganz entscheidend von den politischen Kräfteverhältnissen, der demokratischen Verfasstheit der Länder und Gesellschaften ab. Bevor wir die derzeitige Lage der Medien in Europa genauer betrachten, ist es hilfreich, die politischen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte kurz in Erinnerung zu rufen.

  • Der vermeintliche Siegeszug der Demokratie

    Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel und anderthalb Jahre später der Warschauer Pakt sich selbst auflöste, herrschten Erleichterung und Jubel in Ost und West – von den Tausenden Partei,- Polizei- und Militärapparatschiks im Osten einmal abgesehen. Der kalte Krieg war unblutig beendet worden, die Atomraketen konnten entschärft werden, Europa konnte wieder zusammenwachsen. 

     

    „Der kalte Krieg war unblutig beendet worden, die Atomraketen konnten entschärft werden, Europa konnte wieder zusammenwachsen. 

     

    Im siegreichen Westen steigerte sich die Freude schon bald zur Euphorie: die Demokratie hatte gewonnen. Sie würde sich nach Osten ausbreiten, die Grenzen öffnen, den westlichen Unternehmen, Investoren und Spekulanten ein neues Eldorado darbieten und den Menschen in den ehemals „eingesperrten“ Ländern Freiheit und Wohlstand bringen. Der amerikanische Politologe Fancis Fukuyama prophezeite gar „das Ende der Geschichte“, Rivalität und Kampf zwischen demokratischen und autoritären Systemen seien passé, weil die totalitären Gesellschaften historisch versagt hätten. Welch eine Täuschung.

  • Der große Backlash

    Die Zerfallserscheinungen des sowjetischen Reichs trieben Russland zu kriegerischen Interventionen in Georgien, Ossetien, Moldawien, Tadschikistan, Dagestan und vor allem in Tschetschenien, Kosovo, dem Osten der Ukraine bis zur Annexion der Krim.

  • Wladimir Putin: In Russland hat ein bescheidener KGB-Agent das Land in eine eiserne Diktatur verwandelt Foto: Kreiszeitung
  • Der Westen führte unterdessen noch wesentlich katastrophalere Feldzüge: Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen usw. Und nun, nach nur 35 Jahren? In Russland hat ein bescheidener KGB-Agent das Land in eine eiserne Diktatur verwandelt, sich selbst zum neuen Zaren gemausert, Stalin schleichend rehabilitiert, mit Hilfe der orthodoxen Popen den Kampf gegen die „westliche Dekadenz“ und die Wiederauferstehung des immerwährenden „Mütterchen Russland“ als Zentrum eines „euroasiatischen Großreiches“ auf die Fahnen geschrieben. Die Rückeroberung der Ukraine durch grausamen Krieg, die Destabilisierung der Europäischen Union sowie die Bildung einer politisch-militärischen Achse mit China, dem Iran und Nordkorea haben de facto einen neuen kalten Krieg eingeläutet.

  • Der krisengeschüttelte Westen

    Nach der Implosion der Sowjetunion avancierten die USA von der westlichen Führungsmacht seit 1945 zur unumstrittenen Hegemonialmacht und zum allmächtigen Weltpolizisten. Die Gefahr eines Atomkrieges war gebannt, amerikanische und russische Generäle luden sich gegenseitig als Gäste zu ihren jeweiligen Militärmanövern ein und China befand sich erst am Beginn seines rasanten Wirtschaftsaufschwungs. Deutschland wuchs wieder zusammen, die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion machten sich auf den Weg der Demokratisierung. 

     

    „Allerdings wollte der amerikanische Traum nach dem Motto „Alle Macht den Märkten“ nicht in Erfüllung gehen.“

     

    Takt, Richtung und Spielregeln des Aufbaus und der Modernisierung diktierte der Westen. Für die multinationalen Konzerne und die Finanzplätze in London und an der Wall Street schlug die Stunde des großen Goldrausches. Die rasende Globalisierung – auch dank der digitalen Revolution – trieb alle Motoren des Turbo-Finanzkapitalismus auf Hochtouren. Fast schien es, als sollte Francis Fukuyama Recht behalten. 
    Allerdings wollte der amerikanische Traum nach dem Motto „Alle Macht den Märkten“ nicht in Erfüllung gehen. Nachdem in Russland der gemäßigte Reformer Michail Gorbatschow weggeputscht war, herrschte unter dem trinkfreudigen Boris Jelzin das gewalttätig-mafiöse Oligarchen-Chaos bis Jelzin seinen Getreuen Wladimir Putin in den Sessel hob.     

  • Trauma 9/11: Boomerang der eigenen imperialen Politik mitten ins Herz der Globalisierungs-Revolution. Foto: Upi
  • Aber auch im Kernland der ausgerufenen neuen Weltordnung, traf 2001 ein Boomerang der eigenen imperialen Politik mitten ins Herz der Globalisierungs-Revolution – die 9/11-Flugzeuge in die Wall-Street-Türme. Die von der CIA im Kampf gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans ausgebildeten und finanzierten Al-Kaida-Truppen Bin Ladens richteten ein schreckliches Blutbad mit 3.000 Toten an. Erstmals in ihrer Geschichte erlitten die USA einen massiven bewaffneten Angriff auf eigenem Territorium. Die Erschütterung war enorm. Der „Krieg gegen den Terror“ (Bush jr.) in Afghanistan und Irak und dann weltweit beschädigte die Demokratie. 
    Und die anhaltende Terrorwelle der verschiedensten Djihadisten rund um den Erdball befeuert bis heute Verunsicherung, Ängste, Fremdenfeindlichkeit und nationalistischen Populismus. Nach dem misslungenen arabischen Frühling und den Flüchtlings- und Migrationsströmen sorgen jetzt das grauenhafte Hamas-Massaker vom 7. Oktober und der ungebremste Vielfrontenkrieg Israels für besorgniserregenden Antisemitismus und Islamophobie – mit hetzerischer Propaganda in beiden Richtungen. 

  • „It`s the economy, stupid!“

    Die unkontrollierte Globalisierung schien unterdessen nicht mehr zu bremsen. Von Algorithmen im Nanosekunden-Takt gesteuerte Transaktionen an den Börsen, siebenfach zu Aktienpaketen geschnürte Schuldscheine wechselten dreimal täglich Besitzer und Heuschrecken-Hedgefonds verscherbelten selbst das Familiensilber. All das bescherte den Big Playern Milliardengewinne und jungen Risiko-Brokern Traumprämien, doch 2007/2008 kam plötzlich Sand in das Casinogetriebe. Das Platzen einer Kredit- und Immobilienblase erschütterte die Finanz- und Bankenwelt. Von den USA ausgehend, griff eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise um sich, deren Folgen Experten heute als tiefgreifender als jene der 1920er/30er Jahre bezeichnen.

  • Donald Trump: „Make America Great Again! Jetzt könnte er zum zweiten Mal ins Weiße Haus einziehen.“ Foto: upi
  • Für Millionen Menschen wandelte sich der amerikanische Traum in einen Alptraum: Verarmung, sozialer Abstieg, Zukunftsangst. Das ideale Terrain für eine pathologisch narzisstische Fernsehberühmtheit, sich als starker Mann und Retter der Nation anzubieten. 

     

    „Für Millionen Menschen wandelte sich der amerikanische Traum in einen Alptraum: Verarmung, sozialer Abstieg, Zukunftsangst.“

     

    Als Außenseiter gegen die vorgeblich korrupte Politiker-Kaste in Washington, als Milliardär mit selbsterklärtem Geschick in Sachen Wirtschaft und als Weißer nach dem ersten schwarzen Präsidenten Obama…Make America Great Again! Jetzt könnte Donald Trump zum zweiten Mal ins Weiße Haus einziehen.

  • Politik und Medien in Europa

    Nach Faschismus, Nationalsozialismus, Weltkrieg und Holocaust konnte Europa mehr als ein halbes Jahrhundert lang ungeahnte Erfolge erzielen. Trotz der Kalten Kriegs-Bedrohung herrschte bis zum Zerfall Jugoslawiens Frieden. Wiederaufbau, Stärkung der Demokratie, gemäßigte soziale Marktwirtschaft und der stete Einigungsprozess ermöglichten Wohlstand, Modernisierung und kulturelle Liberalisierung.  Doch die Schubumkehr im Sog des Turbo-Finanzkapitalismus und die internationalen Krisen haben auch Europa längst eingeholt. Ebenso der globale Rechtsruck. 
    Seit der jüngsten EU-Wahl stellen nationalpopulistische, antieuropäische und rechtsextreme Kräfte ein Drittel aller Abgeordneten zum EU-Parlament. Die „Patrioten“ mit den Parteien von Marine Le Pen, Geert Wilders, Matteo Salvini, Herbert Kickl, Spaniens Vox, der tschechischen ANO von Andrej Babis u.a. - angeführt von Ungarns Victor Orban, stellen die drittstärkste Fraktion. In einem halben Dutzend EU-Länder von Skandinavien bis zum Mittelmeer sind nationalistisch-autoritäre oder extreme Rechte an der Macht (Ungarn, Slowakei, Niederlande, Italien) oder an der Regierung beteiligt (Schweden, Kroatien). Und selbst in Deutschland, wo die Vergangenheitsbewältigung und die Ablehnung jeder Form von Autoritarismus am konsequentesten verordnet und betrieben wurde, feiert die AfD einen Wahlerfolg nach dem anderen – und nicht nur in den ehemaligen DDR-Bundesländern. 

  • Extreme Rechte: Überall in Europa im Vormasch. Foto: Presseservice Wien
  • Vor 20 Jahren - am 1. Mai 2004 – wurden im Zuge der Osterweiterung der Europäischen Union 10 Länder in die Union aufgenommen: die baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen plus Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien und Ungarn sowie die Kleinstaaten Malta und Zypern.  2007 folgten Bulgarien und Rumänien, 2013 Kroatien. Die gesellschaftliche, politische und demokratische Entwicklung dieser Länder verlief seither recht unterschiedlich – und dementsprechend auch jene der Medien und der Pressefreiheit.  

  • Ungarn

    Besonders dramatisch ist die Lage in Ungarn. Seit der ehemals als sozialdemokratisch geltende Viktor Orbán mit seiner Partei Fidesz 2010 an die Regierung gekommen ist, hat er ein autoritär-mafiöses Regime geschaffen. Er selbst bezeichnet es stolz als „illiberale Demokratie“ und wurde damit zum Vorbild und Helden für sämtliche Rechtsradikalen bis hin zu Donald Trump. 
    Zur Lage der Medien in Ungarn schreibt die Organisation Reporter ohne Grenzen:

    „Die Medien wurden Schritt für Schritt unter Kontrolle gebracht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Ungarns einzige Nachrichtenagentur MTI wurden in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert. Die regionale Presse ist seit  Sommer 2017 vollständig im Besitz Orbán-freundlicher Unternehmer. 2018 wurden fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding mit zentral koordinierter Berichterstattung zusammengefasst. Wichtige kritische Medien wurden eingestellt, große Nachrichtenportale in den Besitz Orbán-naher Unternehmer und redaktionell auf Linie gebracht.“ 

  • Viktor Orban: Die wenigen unabhängigen Medien werden drangsaliert. Foto: Ouest-France
  • Die wenigen unabhängigen Medien, die vor allem im Internet für Gegeninformation sorgen, werden ebenso drangsaliert. Anfang Oktober dieses Jahres haben tausende  Oppositionelle gegen die Propaganda-Politik des Regimes protestiert. So hatte das Staatsfernsehen anlässlich der EU-Wahl eine 30-Minuten-Rede Orbans neunmal wiederholt, die Oppositionskandidaten hatten 5 Minuten Redezeit.

  • Polen

    In Polen betrieb die nationalistisch-konservative Partei der Gerechtigkeit PIS der Zwillingsbrüder Kaczinski zwischen 2015 und 2023 die Umwandlung des Landes in ein Regime des archaisch-katholischen Fundamentalismus und Nationalismus mit der Unterordnung der Richter unter die Politik und der Einschränkung der Freiheitsrechte
    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde zum Propaganda-Organ und die zahlreichen privaten Medien und Journalisten in ihrer Arbeit behindert und gegängelt. Selbst jetzt, nach dem Sieg der demokratischen Opposition mit Donald Tusk, ist die Behörde zur Medienaufsicht noch immer von PIS-Leuten besetzt. 

  • Slowakei

    In der Slowakei findet ebenso gerade eine autoritäre Gegenreform im Bereich Medien, Kultur und Justiz statt. Am 1. Juli hat der nationalpopulistische, putinfreundliche Regierungschef Robert Fico, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgelöst und durch eine von der Regierung kontrollierte Sendeanstalt ersetzt. Freie Medien sieht Fico seit jeher als Gefahr, hatten ihn journalistische Enthüllungen doch schon vor Jahren als Regierungschef zu Fall gebracht. Zur Erinnerung: im Februar 2018 wurden in einem kleinen slowakischen Dorf der Investigativ-Journalist Jàn Kuciak und seine Verlobte erschossen. Es war ein Auftragsmord. Der Grund dafür: Kuciak hatte Recherchen über die Beziehungen mehrerer slowakischer Geschäftsleute und Politiker zur Mafia – und zwar zur italienischen N´drangheta – angestellt. Umfassend veröffentlicht wurden die Ergebnisse dieser Recherchen erst nach dem Tod Kuciaks. Der Täter, also der Auftragsmörder, wurde gefasst und verurteilt, sitzt im Gefängnis und kooperiert mit den Behörden. 

  • Investigativ-Journalist Jàn Kuciak und Partnerin Martina Kušnírová: Der Doppelmord führte zu den größten Massendemonstrationen seit den Erhebungen von 1989. Foto: Reporter ohne Grenzen
  • Im Prozess gegen den als Auftraggeber angeklagten mafiösen Millionär Mariàn Kocner reichten dem Spezialgericht die Beweise für eine Verurteilung nicht aus – er sitzt aber schon wegen anderer schwerer Delikte im Gefängnis. Zu 25 Jahren Haft wurde hingegen eine Mitarbeiterin des Geschäftsmannes verurteilt, weil sie die konkrete Ausführung des Mordes organisiert hat und weitere Morde - z.B. gegen Staatsanwälte, geplant haben soll. Beide Prozesse sind noch nicht endgültig abgeschlossen. 
    Der Doppelmord und die zutage gebrachten Enthüllungen Jàn Kuciaks führten zu den größten Massendemonstrationen seit den Erhebungen von 1989 – der jetzt schon wieder regierende – Robert Fico musste zurücktreten. Und ein Jahr später wurde die sozialliberale Juristin und Umweltaktivistin Zuzana Caputova zur Präsidentin gewählt. Weil sie keine Wiederwahl anstrebte – für eine zweite Amtszeit fehle ihr die Kraft, sagte sie sehr offen – hat die Slowakei mit Peter Pellegrini seit Juni einen sozial-nationalistischen Präsidenten, im besten Einklang mit Robert Fico, der jetzt zum vierten Mal (!) Regierungschef ist und im Mai ein Schussattentat knapp überlebt hat.

  • Kroatien

    In Kroatien ist die extrem rechte Heimatpartei erstmals mit drei von 18 Ministern Teil der konservativen Regierung. Was die Pressefreiheit betrifft, befindet sich Kroatien auf Platz 48 von 180 der Rangliste der Reporter ohne Grenzen (2 Plätze hinter Italien!). Die Begründung dafür:

    „In Kroatien leidet die öffentliche Rundfunkanstalt HRT seit Jahren unter massiver politischer Einmischung in Personalpolitik und redaktionelle Entscheidungen. Bei den Privatsendern verschleiern schwer durchschaubare Besitzverhältnisse oft Verbindungen zu Wirtschaft und Politik. Einschüchterungskampagnen gegen Journalist*innen, die zu Themen wie organisierter Kriminalität oder Kriegsverbrechen recherchieren, sind keine Seltenheit. Auch tätliche Angriffe und Drohungen kommen immer wieder vor. Politiker*innen und andere Personen des öffentlichen Lebens gehen hundertfach mit Klagen gegen Medienschaffende vor.(…).“


    Lesen Sie morgen auf SALTO Teil 2

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Robert Zagler So., 27.10.2024 - 08:17

In dieser Analyse wird nur mit einem Auge die Realität betrachtet!
...wie steht es mit der Demokratie und Pressefreiheit in den islamischen Ländern?
...wie schaut unsere Zukunft dann aus, wenn der Islam auch Teil Europas ist?

So., 27.10.2024 - 08:17 Permalink
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Manfred Klotz Mo., 28.10.2024 - 06:59

Antwort auf von Robert Zagler

Der Islam lehnt nicht per se die Trennung von Staat und Religion ab. Die richtige Frage ist vielmehr, wie gehen wir mit Islamisten um, die in demokratischen Ländern Parallelgesellschaften etablieren. Das ist die große Herausforderung für westliche Länder. Meines Erachtens ist es ein Bildungsproblem, das sich zum Teil - das ist allerdings nur eine Hoffnung und keine Prognose - mit dem Fortschreiten der Generationen, vielleicht von selbst löst.

Mo., 28.10.2024 - 06:59 Permalink
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Peter Gasser So., 27.10.2024 - 08:45

gut lesenswerter Überblick, danke.

Notiz: “Wladimir Putin: In Russland hat ein bescheidener KGB-Agent das Land in eine eiserne Diktatur verwandelt”: “bescheiden” würde ich nicht sagen, eher wenig gebildet - und sehr (bis krankhaft) narzisstisch.

So., 27.10.2024 - 08:45 Permalink
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Hartmuth Staffler So., 27.10.2024 - 17:40

Antwort auf von Peter Gasser

Bescheiden war Wladimir Wladimirowitsch Putin nie, wenig gebildet auch nicht. Immerhin hat er ein Jus-Studium absolviert und mehrere Sprachen gelernt, darunter unter anderem Deutsch, das er nach nur fünf Jahren in Dresden perfekt beherrschte. Ob er wegen seiner Deutschkenntnisse auch für die Tätigkeit der KGB-Informanten in Südtirol tätig war, ist bis heute ungeklärt, doch deutet manches darauf hin. Die KGB-Akten sind natürlich nicht zugänglich, und in den zugänglichen Stasi-Akten ist nur von den "Freunden" die Rede, die Aufklärung zu bestimmten Personen in Südtirol übernommen haben. Mit den "Freunden" waren nach gängiger Stasi-Praxis die Kollegen vom KGB gemeint.

So., 27.10.2024 - 17:40 Permalink
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Salto User
Oliver Hopfgartner So., 27.10.2024 - 12:04

Bezüglich Rechtsruck muss man auch die Bezugsgröße definieren. Wenn wir einen kleinen Zeitraum von ca 5-15 Jahren betrachten, gab es in der Politik schon einen gewissen Rechtsruck. Wenn wir den Blickwinkel erweitern und eher die letzten 30 oder gar 50 Jahre in Politik und Kultur anschauen, relativiert sich dieser "Rechtsruck". Der aktuell wahrgenommene Rechtsruck entspricht eher einer Korrektur, nachdem der Mainstream sich immer weiter nach links bewegt hat.

Das erkennt man an vielen Sachverhalten. Einerseits erkennt man es an der Umdeutung von Begriffen wie rechts und links. Früher waren rechts und links einfach wertfreie Bezeichnungen. Heute hingegen schwingt da schon eine Wertung mit. Rechts wird negativ konnotiert, während links positiv konnotiert wird.
Man erkennt es auch am sogenannten Overton-Fenster, das die Grenzen des Sagbaren umfasst. Ende der 80er konnte ein deutscher Bundesminister noch offen und ganz normal die Rückholung der Ostgebiete als Ziel ausrufen. Heute wäre sowas mehr als ein Rücktrittsgrund. Auch Kanzler Schmidt (SPD) äußerte sich zu Themen wie Migration in einer Art und Weise, die heute zum ein oder anderen Rechtsextremismus-Vorwurf führen würde.

Dazu kommt noch der ganze Themenkomplex um (Trans-)Gender, Affirmative action, Rassismus etc. Ist es wirklich ein Ausdruck eines Rechtsrucks, dass es in manchen Ländern nun strafbar ist, einen anderen Menschen zu "missgendern"?

Daher müsste man präziser sein: Bezogen auf ein sehr kurzes Zeitfenster, ist es sicherlich legitim von einem politischen Rechtsruck zu sprechen, wie die Wahlergebnisse zeigen. Auf einen größeren Zeitraum und auf soziokulturelle Aspekte bezogen, stehen wir heute insgesamt aber immer noch weiter links, als im Großteil der letzten 50 Jahre.

So., 27.10.2024 - 12:04 Permalink
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Stefan S Mo., 28.10.2024 - 10:04

Antwort auf von Oliver Hopfgartner

"Früher waren rechts und links einfach wertfreie Bezeichnungen."
So ein Mumpitz, war noch nie wertefrei. Und Du kannst das Zeitfenster soweit aufmachen wie Du willst und wirst immer auf diverse Schwankungen stossen.
Wenn man wie Du den ganzen historischen Verlauf ausblendet dann kommt man zu solchen sinnbefreiten Aussagen
" Ende der 80er konnte ein deutscher Bundesminister noch offen und ganz normal die Rückholung der Ostgebiete als Ziel ausrufen. "
Schon vergessen, Anfang der 90er wurde das sogenannte 4+2 Abkommen geschlossen bei welchem die heutigen Grenzen in Europa von Deutscher Seite voll anerkannt wurden.
"Auch Kanzler Schmidt (SPD) äußerte sich zu Themen wie Migration in einer Art und Weise, die heute zum ein oder anderen Rechtsextremismus-Vorwurf führen würde."
Ohne jetzt die Aussage zu relativieren bzw. zu prüfen, ja hoffentlich ist dies so ansonsten würde sich unsere Gesellschaft nicht weiter entwickeln.
Heutzutage ist es doch viel mehr so, dass einzelne Sätze aus Ihrem Kontext gerissen werden und populistisch, insbesondere von den (a)sozialen Medien, missbraucht werden.
"Rechts wird negativ konnotiert, während links positiv konnotiert wird."
Wie bitte, in welchem libertären Blatt wird so etwas geäußerst oder ist dies Deine subjektive Wahrnehmung?
So lange die Menschenrechte wirtschaftlichen und machterhaltenden Interessen untergeordnet wird und Menschen wie Du dieses bestreben als Links verordnen sind wir sozialgesellschaftlich noch weit von der Mitte entfernt.

Mo., 28.10.2024 - 10:04 Permalink
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Hans Punter So., 27.10.2024 - 16:44

Hervorragende Sachverhaltsdarstellun und -analyse. Und eine Entwicklung, die beängstigen muss. Aber was können liberaldemokratische Kräfte des Westens vor diesem Hintergrund machen? Wie können sie wirksam entgegensteuern? Ist es überhaupt zielführend, wenn der Westen überall auf der Welt sich einmischt und sein System demokratischer Freiheiten und Menschenrechte durchzusetzen versucht? Oder ist es letztlich vernüftiger, sich um die Probleme vor der eigenen Haustür zu kümmern und jedem Land es überlässt, seinen eigenen Weg zu gehen?

So., 27.10.2024 - 16:44 Permalink