„Wir profitieren alle“
Die Sozialgenossenschaft independent L., welche sich südtirolweit für einen barrierefreien Alltag einsetzt, hat im Auftrag der Landesabteilung für Mobilität die Barrierefreiheit der zehn Bahnhöfe an der Bahnstrecke Bozen–Meran (Bozen Süd/Messebahnhof bis Meran) überprüft. Aus diesem Anlass hat salto.bz mit Günther Ennemoser, Bereichsleiter „Südtirol für alle“ bei der Sozialgenossenschaft independent L., zum Thema Barrierefreiheit in Südtirol gesprochen.
salto.bz: Wie sind Sie bei dieser Analyse vorgegangen?
Günther Ennemoser: Wir haben diese Pläne gemäß dem Landesgesetz aufgearbeitet. Es handelt sich dabei um eine Momentaufnahme für jeden einzelnen Bahnhof. Dabei wurden Sanitäranlagen, Wartebereiche, Fahrkartenautomaten, Parkplätze, Zugänglichkeit des Gebäudes und die Erreichbarkeit der Bahnhöfe überprüft. In Folge haben wir Verbesserungsvorschläge für Punkte, welche nicht der Norm entsprechen präsentiert.
Dabei geht es nicht nur um Menschen mit Gehbehinderung, sondern auch um Menschen mit sensorischen Beeinträchtigungen wie z.B. Sehbehinderte, aber letztlich geht es um uns alle, denn von einer barrierefreien Umgebung profitieren wir alle.
Was sind nun die nächsten Schritte?
Das Land möchte in dieser Sache transparent agieren und die Daten auf der Internetseite suedtirolfueralle.it veröffentlichen. Auf dieser Internetseite und der gleichnamigen App wird die gesamte barrierefreie Mobilität in Südtirol aufgelistet. Die Zugänglichkeitsbeschreibungen für die Bahnlinien Bozen-Meran sowie jene für die Brennerbahn und den Bahnhof Bozen werden dort veröffentlicht werden.
Zugleich arbeiten Provinz Bozen sowie zahlreiche Gemeinden, gemäß Landesdekret vom 9.11.2009, Nr. 54, an einem Adaptierungsplan für jedes öffentliches Gebäude und setzen ihn schrittweise um.
Letztlich geht es um uns alle, denn von einer barrierefreien Umgebung profitieren wir alle.
Wie schaut es auf den anderen Bahnstrecken aus, sind die Haltestellen und Bahnhöfe an der Brennerstrecke, im Pustertal und im Vinschgau barrierefrei gestaltet?
Die Schiene ist grundsätzlich das zentrale Gerüst fürs Mobilitätskonzept in Südtirol. Die Hauptachsen, Brenner-Salurn und Mals-Bozen bzw. Franzensfeste-Innichen, werden künftig hauptsächlich über die Schiene bedient werden. Entsprechend ist auch das Interesse an barrierefreien Zugängen zur Bahn.
Die Bahnhöfe der Vinschgerbahn sind komplett barrierefrei, die Situation an der Bahnstrecken Bozen-Meran ist insgesamt zufriedenstellend, Knackpunkte gibt es aber noch in Terlan und am Bozner Bahnhof. Auch die Pustererbahn ist insgesamt in einem guten Zustand, lediglich am Bahnhof Innichen gibt es noch Baustellen. Entlang der Brennerbahn gibt es noch einzelne Bahnhöfe, die noch zu adaptieren sind. Dort sind aber bereits Projekte am Laufen.
Wie Barrierefrei sind die Busverbindungen in Südtirol bzw. wie schaut es generell im ÖPNV mit der Barrierefreiheit aus?
Momentan beschäftigen wir uns mit einem Projekt mit der SASA um die Barrierefreiheit an ihren Bushaltestellen zu verbessern. Zugleich führen wir auch Gespräche mit dem zuständigen Landesassessorat. Es gibt Unterschiede zwischen den städtischen und den Überlandlinien. Erstere sind mit einer mechanischen Rampe ausgestattet und daher Barrierefrei. Probleme gibt es dagegen bei den Überlandlinien. Das ist aber linienspezifisch, in manchen Bussen befinden sich noch Stufen. Das wird sich aber in nächster Zeit ändern da neu angekaufte Fahrzeuge barrierefrei sind.
Was die Seilbahnen betrifft sind wir insgesamt auf einem guten Stand.
Eine wichtige Baustelle sind aktuell die digitalen Barrieren. Denn der Zugang zu digitalen Informationen ist mindestens genau so wichtig wie die architektonische Barrierefreiheit.
Welche Barrieren gibt es in Südtirol heutzutage noch? Wo gibt es Nachholbedarf?
Die architektonischen Barrieren in den südtiroler Gemeinden werden in der Datenbank www.gemeindenfueralle.it aufgelistet. Zugleich wird auch an deren Beseitigung gearbeitet. In diese Richtung passiert momentan sehr viel.
Generell gilt aber, wenn man von vornherein zumindest an die barrierefreie Adaptierbarkeit von Gebäuden denkt gibt es keine Mehrkosten, nachträgliche Anpassungen sind hingegen teuer.
Das ist auch bei Wohnungen so. Der Klassiker ist zum Beispiel ist zum Beispiel das Mehrgenerationenhaus wo die Eltern im Dachgeschoss wohnen und die Kinder im parterre. Dort wird dann oft nicht daran gedacht, dass man im Alter Probleme mit der Mobilität bekommen kann. Nachträgliche Anpassungen können hier aber teuer werden. Deswegen halten wir Schulungen zum Thema Barrierefreiheit (z.B. für Techniker und Architekten).
Außerdem werden die Durchführungsbestimmungen zur Barrierefreiheit immer wieder aufgeweicht, wie z.B. voriges Jahr in Bozen, wo eine Arztpraxis zugelassen wurde, obwohl sie nicht barrierefrei ist.
Momentan wird zudem am Landesgesetz betreffend der Barrierefreiheit an Aktualisierungen im Bereich der Durchführungsbestimmungen gearbeitet.
Eine wichtige Baustelle sind aktuell die digitalen Barrieren. Denn der Zugang zu digitalen Informationen ist mindestens genau so wichtig wie die architektonische Barrierefreiheit. Der Europarat hat deswegen am 18. Juli 2016 eine neue Verordnung zur digitalen Barrierefreiheit erlassen. In Italien gibt es bereits seit 2004 ein Gesetz, welches Richtlinien für den erleichterten Zugang zu digitalen Informationen für Menschen mit Beeinträchtigung vorsieht. Konkret heißt das, dass alle Internetseiten sowie didaktischen Materialien in Italien barrierefrei zugänglich sein müssen. Seit Jänner 2017 ist die Sozialgenossenschaft independent L. eine von sechs nationalen Prüfstellen zur Bewertung barrierefreier Internetseiten anerkannt.