Sicher nicht sicher
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Aus sechs Versicherungspolizzen können die Besucher des Whitecubes unter den Bozner Lauben auswählen: Haben sie sich schon über das mögliche Verschwinden des Glücks Gedanken gemacht? Über einen globalen Internetausfall? Den Entzug der Bürgerrechte für ältere Personen? Das Ende von kostenfreier Luft? Ein Verbot von Zusammenkünften? Und, nicht zuletzt, eine obligatorische Zertifizierung der Nützlichkeit jedes Menschen? Nein? Vielleicht tun sie es jetzt. Auf bunten Blättern in fröhlichen Farben liegen Lösungsvorschläge bereit. Den (symbolischen) Versicherungsbeitrag legt man selbst fest.
Man sieht auch vor der aufmerksamen Lektüre des nicht ganz ernst gemeinten Dokuments, das im Fall des Versammlungsrechtes in gewisser Weise für Italien schon eingetreten ist, dass in der Ar/Ge Kunst derzeit einiges im Argen ist. Survival Tools – wasserdichte Beutel, ein Funkgerät, Signalspiegel, Solarpaneele zum Laden von Geräten – treffen auf plötzliche, von in die Ecken des Raumes aufgeteilten Wind-Maschinen erzeugte Stürme, welche mit Füßen getretene Dokumente aufwirbeln.
Im zweiten Teil der Ausstellung fühlen wir uns an die rezenten Hochwasserereignisse nördlich des Brenners erinnert: Signalfarben orangene Sitzsäcke hängen an den Wänden und laden – trotz, dass sie an Sandsäcke, die die Fluten draußen halten, erinnern – zum Verweilen ein. Sie lassen sich abnehmen und am Ausstellungsboden platzieren. Im hinteren Teil, aus zahlreichen, surrenden Neonröhren zusammengesetzt, die gegen Abend eindrucksvoll das Raumlicht bestimmen, finden wir den Titel von Anna Scalfi Eghenters Ausstellung groß umgesetzt. „Fluo Swan“, das ist der Name der fiktiven Versicherungsgesellschaft, dieuns zu mehr (Un)Sicherheit aufruft. Zum schwarzen Schwan, an den sich dieser Titel anlehnt, später mehr. In nächster Nähe der Röhren spürt man ein elektrisches Gefühl auf der Haut einer angenäherten Hand oder eines preisgegebenen Nackens, wie von einem nahenden, sich stark ankündigenden Gewitter.
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Diese Nähe zu uns und zu unser Gegenwart ist es, was die hoch konzeptuelle Ausstellung spannend macht. Der „Call to Action“, also ein knappes Textstück, das in der Werbung zum Kaufabschluss animieren soll, arbeitet auf vertikalen Displays mit wiederkehrenden Formeln „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass…“, „Falls es geschieht…“ und „...gemeinsam können wir ändern, was das Morgen bringt“. Dieses Ändern der Zukunft passiert in dem Moment, wo sich der Gedanke an ein noch so unwahrscheinliches, aber mögliches Szenario auftut. Dadurch, dass etwas gedacht wird, wird es möglich und mit dem schwarzen Schwan und einem spielenden Fuchs als Symbol eines nahenden Unglücks wird das Unglück in den Raum des Möglichen gestellt.
Deutlich wird auch die Paradoxie des Versicherungsmarktes ins neonrote Licht gerückt: Zuerst müssen wir, ob es nun stimmt oder nicht, von einer Gefahr oder einem drohenden Problem überzeugt werden. Erst dann kann uns, ob nun symbolisch oder nicht, eine Lösung dafür verkauft werden. Der spielerische, augenzwinkernde Zugang zu den Themen Sicherheit und Unsicherheit baut zu den unwahrscheinlichen Momenten eine ironische Distanz auf, die uns nicht offen liegt. Spannend wird auch sein, welche Polizze des heute um 17 Uhr – im Rahmen der gestern gestarteten Bolzano Art Weeks – wieder voll besetzen Versicherungsbüros bis Ladenschluss beziehungsweise Finissage (am 30. November) die beliebteste gewesen sein wird. Wir werden nachfragen, ganz sicher.