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Einfache Leute

Draufklicken, Stück wählen und voten: Anna Gschnitzers Stück „Einfache Leute“ ist beim renommierten DramatikerInnenwettbewerb "Heidelberger Stückemarkt" dabei.
Anna Gschnitzer
Foto: Heidelberger Stückemarkt

Ist uns allen schon vor unserer Geburt ein Platz in dieser Welt zugewiesen und durch die soziale Herkunft festgelegt? Inwieweit bestimmen die Verhältnisse, in die wir hineingeboren werden, unsere Zukunft? Das fragt sich auch Alex. Als Kind wurden ihr die Unterschiede von einem privilegierten Leben und dem ihrigen deutlich vor Augen geführt. Für sie schienen manche Ziele unerreichbar. Es blieb nur eins - mit aller Kraft aus diesem bescheidenen Milieu zu entfliehen und alles hinter sich zu lassen. Und es sieht ganz so aus, als hätte es funktioniert. Jetzt, zwanzig Jahre später, arbeitet sie als Kuratorin in einem Museum für zeitgenössische Kunst. Aber der Eindruck nicht dazuzugehören verschwindet einfach nicht – und die Sehnsucht danach auch nicht. Immer fühlt sie sich wie eine Hochstaplerin und nicht als Teil der sogenannten Elite. Die Herkunft nicht zu verleugnen und gleichzeitig den eignen Platz zu finden scheint unmöglich.

Anna Gschnitzer, geboren 1986 in Innsbruck, aufgewachsen in Südtirol. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Als Autorin, Dramaturgin und Regisseurin war sie an verschiedenen Performances, Theater- und Opernproduktionen beteiligt. Zuletzt arbeitete sie an den Münchner Kammerspielen und am Residenztheater München als Dramaturgin. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a. mit dem Jahresstipendium der LiterarMechana, dem Dramatik Stipendium der Stadt Wien und dem Publikumspreis des Münchner Förderpreises für deutschsprachige Dramatik. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter derzeit in München.


Aufgrund der aktuellen Situation finden die szenischen Lesungen aller nominierten Stücke digital statt, man kann die Lesung also ganz bequemt von zu Hause aus streamen und zwar am am Samstag, den 01.05. um 13:30. Hier gibt´s Tickets. Neben dem deutschsprachigen Autor*innenwettbewerb ist das Stück von Anna Gschnitzer auch für den Publikumspreis nominiert, der wie folgt funktioniert. Auf der Webseite wird es ein Abstimmungstool geben. Draufklicken, Stück wählen und voten. Es gibt nach jeder Lesung ein 24-stündiges Zeitfenster zum Abstimmen: Für Einfache Leute gilt das Zeitfenster von Sa, 01.05. um 13:30 – So. 02.05. um 13:30. 

Ein Textauszug vorab:

Ja
plötzlich bestimmen die Pigmente
an deiner Hautoberfläche
mit dem durch Ausformulierung
ausgeformten Geschlecht
hier ganz offensichtlich die Sitzordnung...
Aber da gibt es noch etwas
etwas das nicht zwischen deinen Beinen zu greifen
oder am Melaningehalt deiner Haut abzulesen ist
Etwas das die wenigsten imstande sind zu sehen
etwas Unsichtbares
das wir Platzanweiserinnen
an dir
ausmachen können
selbst wenn du
kein Arschgeweih
kein vom billigen Wasserstoff
strohiges Haar
und kein
nach Zuckerwatte riechendes Parfum
trägst
Selbst wenn
du deine Freundinnen
allesamt Akademikerkinder
in deiner Altbauwohnung
dazu einlädst
auf dänischen Design-Klassikern sitzend
über amerikanische Außenpolitik sprechend
libanesische Gerichte zu essen
Selbst wenn niemand
wirklich niemand
an deiner Sprache
erkennen kann
woher du wirklich kommst
Selbst wenn du alle Färbung
jeglichen Dialekt
alles Dörfliche
Bäuerliche
Unbeholfene
so gründlich aus deiner Sprache gewaschen hast
dass du klingst
als kämst du
nirgendwoher
Als stünde hinter jedem Wort
einfach nur aufgeräumte Leere
die du zu angestrengten Formulierungen
aneinander reihst
Selbst dann
sind es die kleinen Gesten
die dich verraten
Der Ellenbogen
der auf der Tischkante liegt
Der gesenkte Blick
Die Unsicherheit in der Stimme
Die Hitze
die in den Kopf steigt
Das Räuspern
vor dem Sprechen
Die Scham
die erst aus dem Körper
deiner Urenkelin
gewichen sein
wird
Vier Generationen
sind nötig
damit
der Machtanspruch
die Bildung
die Sprache
die Kleider
Eloquenz
Stil
Geschmack
die Gesten
endlich
übergegangen sind
in den Körper
selbstverständlich
werden
für den Körper
der nur
die Armut kennt
das Ausgeliefertsein
Machtlosigkeit
Unterwerfung…