Books | Lyrik

Punkrock-Poesie

Max Silbernagl dürfte besonders als Sänger der „Chaos Junkies“ Bekanntheit genießen. Wie aber navigiert Silbernagl abseits des Punks, im Hoheitsgewässer der Poesie?
Der Kompass mit all seinen Tücken, Max Silbernagl
Foto: Max Silbernagl/Claudia Unterhuber
  • Nachdem zuletzt von Max Silbernagl 2021 mit „Prinz Harrys Hochzeit und die Cocacolisierung des Spumaimperiums“ ein Roman erschienen ist, legt der kreative Kopf mit „Der Kompass mit all seinen Tücken“ nun einen Lyrikband vor. „Lies am besten das Buch“, empfiehlt der Autor selbst auf der Rückseite des im Eigenverlag (epubli) erschienenen Bandes mit einer von Claudia Unterhuber verantworteten Umschlaggestaltung, die uns ganz und gar positiv an ein Konzertplakat erinnert.

    Innen im Buch, das zwischen Prosa und Lyrik keinen großen Unterschied macht, sieht es leider etwas weniger schmuck aus. Vielleicht gibt der Autor auch nicht so viel auf das Erscheinungsbild seiner Texte, heißt es doch schon im Vorwort, nachdem uns Silbernagl offenlegt, dass er von Vorsehung „einen Scheiß“ hält, dass das Buch nicht Anspruch erhebe, „ein schönes literarisches Werk zu sein“. Das Buch wolle „vielmehr ein ehrliches Statement für all die Gedanken eines jeden einzelnen Menschen setzen“. Auch das kann eine gültige Richtung sein, in die die Kompassnadel zeigt, bedenkt man gerade, welche Gedichte den Leser oft in besonderer Weise abholen: Jene, die in individuell erlebten Momenten etwas Weiterführendes, vielleicht sogar Allgemeingültiges ausmachen lassen, ohne damit plakativ umzugehen.

  • Max Silbernagl: Der Autor bei einem Auftritt als „Vorspiel“ für Stefanie Sargnagel im November '22. An die Energie eines Live-Auftritts kommt das Buch nicht heran, aber das gleiche ließe sich über viele Punk-Bands und deren Output im Studio sagen. Foto: Privat

    Silbernagls Sammlung an Gedichten, die den Puristen in mir mit Textüberschriften in Rot, in Kleinschreibung und dann wieder nicht, sowie mit überlangen Zeilen, bei denen ein Wort in die nächste Zeile rutscht, konfrontiert, hätte jedenfalls auch wegen solchen Schönheitsfehlern ein Lektorat nötig gehabt. Vier Augen sehen da bekanntlich mehr als zwei und oft kann die Auseinandersetzung mit einer/m Außenstehenden die Stimme des Autors noch stärken.

  • Silbernagl, dessen Ehrlichkeit auch als Filterlosigkeit und Direktheit zu verstehen ist, beginnt seine Gedichtsammlung mit dem Tod, dann hat man es hinter sich. Es folgen Text zu Religion, Liebe und Alltagsschwierigkeiten. Gerade bei ersterem Thema sollte dem Leser klarwerden, dass die Ehrlichkeit des Autors auch verletzend sein kann, etwa, wenn Petrus an der Vermarktung eines Science-Fiction-Romans arbeitet. Filterlos ist sicherlich auch die Intimität, mit der er uns an sein persönliches Liebesleben (und oft auch dessen Fehlen) heranführt. Das ist nicht immer ganz ausgegoren, oft wirkt es als hätte ein Text noch ein wenig Zeit zur Ausarbeitung gebraucht, als wurde er aus einer starken - guten oder schlechten - Emotion heraus geschrieben, gern mit Rotz und unbedingt mit Herzblut.

    Es scheint, als hätte der Autor dabei eine grundlegende Abneigung gegenüber Kategorisierung und als sei er dagegen, selbst kategorisiert werden. Eine übergeordnete Absicht über Ehrlichkeit hinaus ist dabei zwischen fiktiver Kurzprosa, Gedichten, Mundart, Hochsprache nicht zu erkennen. Am ehesten noch versucht Max Silbernagl mit dem Buch eine Annäherung zu schaffen, von sich an eine Außenwelt, zu der der Kontakt nicht immer einfach ist, oder an den eigenen - realen wie fiktiven - Blickwinkel an den Rest der Welt.

  • Der Kompass mit all seinen Tücken: Das Buch mit seinen 120 Seiten kann in Buchhandlungen, sowie beim Autor selbst erworben werden. Max Silbernagl verspricht, es mache ihn reich und sexy. Foto: Claudia Unterhuber/Max Silbernagl

    So ist auch die Begegnung mit anderen ein durchgehendes Motiv. Der Autor, der es im Leben sicher nicht einfach hat, kommentiert es noch nicht einmal, wenn ein Rentner ihm das Leid eines Pensionisten-Daseins klagt, in einem jener Texte, in denen wir wieder auf eine nicht zwingende, aber wiederkehrende Leichtigkeit treffen, die da anfangen kann, wo - wie in „Sonne, Zigarette“ mal kein Selbstmitleid zu spüren ist. Zugegeben, Silbernagls Texte, die mündlich wunderbar funktionieren, sind schriftlich gewöhnungsbedürftig und klappen nicht immer, aber immer öfter, wenn man erst einmal in Sprache und Welt des Autors eingetaucht ist. Sicher nicht ganz zufällig endet der Band mit der Empfehlung, wieder mehr handgemachte Musik zu hören; handgemacht wie Punk es ist, etwa.

  • Vielleicht haben Punk-Songs und Gedichte ja doch mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick vermuten würde: „A punk-rock song won't ever change the world, but I can tell you a couple that changed me“ („Ein Punk-Rock-Song wird niemals die Welt verändern, aber ich kann dir einige nennen, die mich verändert haben“), sang Pat the Bunny bei der anarchistischen Band Wingnut Dishwasher's Union. Ähnlich geht es oft mit der Lektüre eines Gedichtes, das sehr selten versucht den Leser zu ändern und häufiger dessen Blick auf ein Ding: Punk und Lyrik sind mehr Perspektiv-Wechsel als tatsächliche Veränderung der äußeren Umstände, zumindest in der großen Mehrheit der Fälle. Max Silbernagl zeigt uns jedenfalls, dass auch seinem Ärger Luft zu machen, im Nachhinein etwas von lyrischer Leichtigkeit haben kann.