Politik | Deutschland

Berlin ist nicht Deutschland…eher schon Italien

Immer wenn ich mich in Berlin über Schlendrian und Misswirtschaft beklage , heisst es: Berlin ist nicht Deutschland. Was ist es dann?

Ein Zufall natürlich, dass ich ausgerechnet am 25. März nach Berlin flog, dem Tag des Absturzes der Germanwings-Maschine über den französischen Alpen. Ich hatte Wochen vorher gebucht, im festen Glauben, die deutschen Fluggesellschaften seien die sichersten der Welt. Angst während des Fluges hatte ich nicht -  es ist ja eher selten, dass zwei Flugzeuge hintereinander abstürzen.

Ich flog mit Airberlin, die - wie Alitalia - mit der arabischen Fluggesellschaft Ethihad fusioniert hat und trotzdem noch beunruhigend rote Zahlen schreibt.  Airberlin landet weiterhin am Berliner Flughafen Tegel, obwohl die Airline seit drei Jahren am Berliner Grossflughafen BER stationiert sein sollte. Doch die Eröffnung dieses  Skandal-Projektes  zögert sich in dem Masse hinaus, in dem gleichzeitig die Baukosten steigen. Und diese explodieren aufgrund von unglaublichen Fehlplanungen und groben Baumängeln.  

Der Grossflughafen BER in Schönefeld sollte eine Meisterleistung deutscher Planungs- und Baukunst werden :  eine Visitenkarte der  deutschen Hauptstadt und der  deutschen Bundesregierung, die ja in Berlin residiert. Nachdem drei geplante " Eröffnungen" verschoben und der Skandal zunächst vertutscht wurde, hatte schliesslich sogar Berlins 13 Jahre lang regierender Bürgermeister Klaus Wowereit  das Handtuch geworfen. Er trat  vor Ablauf der Amtszeit zurück, weil er als oberste Kontrollinstanz versagt hatte.  Der ehemalige Technikchef Jochen Grossmann ist bereits wegen Bestechlichkeit verurteilt worden. Gegen einen ehemaligen Bauleiter wird ermittelt.  

Mir kam die BER-Geschichte verdächtig bekannt vor. Wie ist das doch mit der Autobahn Salerno-Reggio Calabria, die seit 30 Jahren noch immer nicht fertiggestellt ist ? Die Teilstücke dieser Autobahn werden von den ortsansässigen Camorra und N drangheta Clans "verwaltet" , beziehungsweise so schlecht gebaut, dass jährlich Reparaturarbeiten fällig sind, die den Steuerzahler Millionen kosten.

Just am Tag nach meiner Ankunft in Berlin , am 25. März, berichteten die Zeitungen, dass die Antikorruptionsorganisation " Transparency International " die Zusammenarbeit mit der Flughafengesellschaft auf der BER-Baustelle nach 10 Jahren Zusammenarbeit aus Protest verlassen habe.  Die Korruptionsfahnder begründeten ihren Schritt mit einer " Reihe von korruptiven Vorkommnissen seit Anfang 2013". Der Flughafengesellschaft warf Transparency International vor, Korruption nicht genügend ernst genommen und bekämpft zu haben.   

Ein weiterer Berliner Skandalbau ist die Staatsoper unter den Linden, deren Sanierung 2010 begonnen hatte. Die Wiedereröffnung war für 2013 geplant. Sie wurde auf 2017 verschoben. Die Kosten stiegen von 239 auf 389 Millionen Euro . Am vergangenen Donnerstag beschloss das Stadtparlament die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Öffentliches Geld wird auch auf der Berliner Museumsinsel verschleudert. Die Kosten für den Bau des neuen Eingangsgebäudes namens James-Simon-Galerie sind auf 133 Millionen Euro angestiegen.  Das sind um 34 Millionen mehr, als usprünglich geplant. Die für 2014 geplante Eröffnung wurde auf 2017 verschoben.  Schwere Planungsfehler bei der Sicherung der Baugrube werden dafür verantwortlich gemacht. Allein der Schaden durch die gekündigte Baufirma beläuft sich auf 40 Millionen Euro. 

Ein weiteres " Millionending" ist die im Bau befindliche  Strassenbahn- Haltestelle vor dem Berliner Hauptbahnhof. Noch vor ihrer geplanten Eröffnung im August dieses Jahres mussten  die originellen, preisgekrönten Haltestellen-Dächer saniert werden. Kostenpunkt : 2,1 Millionen Euro.

Schlamperei und Kostenexplosion gab es sogar beim Bau der neuen Bundes-Nachrichten-Dienst-Zentrale, die trotz grosser Widerstände der Betroffenen vom bayerischen Pullach in die Hauptstadt übersiedeln muss. Dass selbst die Nachrichten-Dienstler, also die berufsmässigen Spione, dem Schlendrian und der Korruption nicht auf die Schliche kommen, hat Seltenheitswert. 

Und noch etwas erinnerte mich an Italien : die andauernden Streiks, die über Deutschland hereinbrechen.  Am Tag vor der Flugkatastrophe streikten die Lufthansa-Piloten und Flugbegleiter, zuvor hatten die Eisenbahner die Arbeit niedergelegt. Am Donnerstag, dem dritten Tag meines Berlin-Aufenthaltes ,streikten  die Angestellten des öffentlichen Dienstes : also Schulen, Kitas, die Gemeindeämter,   Polizei- und Feuerwehr, die Kfz-Zulassungsstellen usw. . Als ich Tags darauf zur Post gehen wollte , war sie wegen Streiks geschlossen. Dafür sah ich am Samstag vormittag so lange Warteschlangen vor den Postämtern, wie man sie nicht einmal in Rom sieht. 

Entschädigt wurde ich für all das durch ein sublimes Musikerlebnis am Freitag abend in der Berliner Philharmonie:  Daniel Barenboim dirigierte die Wiener ( nicht die Berliner ) Philharmoniker. Aufgeführt wurden drei Werke des französischen Musik-Revoluzzers Pierre Boulez  und die Symphonie Nr. 8 von Franz Schubert.   Boulez, der vor wenigen Tagen seinen 90. Geburtstag  feierte, hatte 1967 dazu aufgerufen, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen.  Seine Werke sind anspruchsvoll, provokativ . Mir gefallen sie.   Das zusätzlich Aussergewöhnliche an diesem Konzert waren meine Begleitpersonen: nämlich 14 Musikliebhaber aus der liberalsten türkischen Stadt, aus Izmir. Sie hatten eine vorösterliche Kulturreise nach Berlin gebucht. Und zwar mit einem türkischen Reiseveranstalter, der trotz aller von Erdogan verordneten ottomanischenKultur-Richtlinien  weiterhin auf klassische Musik  setzt.   

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Frank Blumtritt Fr., 03.04.2015 - 21:39

Deutsche sind nicht deshalb deutsch weil sie besonders unbestechlich, pünktlich oder effizient sind. Das spezifisch deutsche ist die Gründlichkeit. Letztere kann sich natürlich positiv oder negativ auswirken.
Berlin war für die Deutschen schon immer ein Ort, wo man "die Sau rauslassen kann"...

Fr., 03.04.2015 - 21:39 Permalink