Politik | Hilfe in der Krise

Ein Schirm, der klemmt

Das Land sagt 150 Maßnahmen und mehrere Milliarden an direkter und indirekter Krisenhilfe wegen des Coronavirus zu. Die Kritik lässt nicht auf sich warten.
Regenschirm
Foto: Janine Robinson on Unsplash

Woche vier des Lockdowns ist angebrochen. Während die Zahlen der Todesopfer der Coronavirus-Pandemie weltweit steigen – in Italien sind es inzwischen über 12.400 –, wächst auch die Verunsicherung. Aufgrund des wirtschaftlichen Stillstandes, in dem sich Italien und damit Südtirol seit dem 9. März befindet, wird die gesundheitliche Notlage immer mehr zur existenziellen Bedrohung.
Bis 3. April sollten die massiven Einschränkungen ursprünglich andauern, um der Ausbreitung des Virus Herr zu werden. Zwar geht die Zahl der Neuinfizierten zurück. Doch die Regierung wird die Maßnahmen verlängern. Bis zum 18. April, wie der Corriere della Sera berichtet. Bereits ab 13. April, also um Ostern, soll es die ersten Lockerungen geben. Dann aber wird mehr als ein Monat vergangen sein, seit unzählige Unternehmen, Arbeitnehmer, Familien, Freiberufler, Menschen im Land vor dieselbe Frage gestellt sind, auf die die Politik antworten muss: Wie überstehe ich diese Zeit? Denn bevor an das Morgen gedacht werden kann, muss das Heute gesichert sein. Auch in Südtirol.

Von “abfedern” spricht Arno Kompatscher, davon, dass “niemand im Regen stehen” gelassen werden soll, dass alle unter dem Schirm, den das Land in der Corona-Krise aufspannen will, Platz finden sollen. Am Dienstag Nachmittag tritt der Landeshauptmann gemeinsam mit den Landesräten für Wirtschaft und Arbeit, Tourismus und Landwirtschaft sowie Soziales und Familien auf. Mit Philipp Achammer, Arnold Schuler und Waltraud Deeg will Arno Kompatscher ein “Wirtschafts-, Familien- und Sozialpaket” präsentieren. In den vergangenen Tagen hat es die Landesregierung, zum Teil gemeinsam mit den Sozialpartnern, geschnürt. “Weit über 100 Maßnahmen” will man den Folgen der Corona-Krise entgegenstellen.

 

Neustart mit Landeshilfe

 

Liquidität garantieren; Härtefälle auffangen; Konjunktur ankurbeln. Das sind die drei Ebenen, auf denen das Land eingreifen will. Über die Stundung, sprich Aussetzung von Kredit- und Darlehensraten; über günstige Kredite, für die das Land zu 80 Prozent bürgt und die mit den Banken vereinbart worden seien; über unbürokratische Direktzahlungen an Unternehmen – für kleine Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern soll es etwa Verlustbeiträge von 3.000 bis 10.000 Euro geben –, Familien und Bürger; über den vereinfachten Zugang zu Sozialleistungen; über einen neu zu errichtenden Krisen- und Konjunkturfonds; über eine außerordentlichen Lohnausgleich für alle durch einen Fonds, der aus staatlichen, ESF- und im Bedarfsfall Landesmitteln gespeist werden soll.

 

Auch das Ehrenamt soll nicht vergessen werden, Organisationen und Vereine vom Land finanziell unterstützt werden.

Um den Schaden nach außen zu begrenzen, wurde die IDM beauftragt, mit einem eigenen Paket “Restart Südtirol” die Tourismusbranche und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder zu stärken. 37 Millionen Euro gibt es dafür.

 

Noch nicht genehmigte Milliarden

 

Insgesamt wird das Paket, das Kompatscher und seine Landesräte am Dienstag präsentieren ein Finanzmanöver von insgesamt über drei Milliarden Euro umfassen. Die Liquiditätssicherung, die über die Banken abgewickelt wird, etwa über die Stundung von geschuldeten Krediten, für die das Land haftet, beläuft sich anfänglich auf 1,5 Milliarden Euro. Die restliche Summe von 1,5 bis zwei Milliarden kommt direkt vom Land, um die unmittelbaren Unterstützungsmaßnahmen zu finanzieren. Ein Teil davon wird aus dem Landeshaushalt gestemmt. Der Großteil aber wird über neue Schulden finanziert, “weil es sich dabei um außerordentliche Maßnahmen handelt”, erklärt der Landeshauptmann.

 

Die Landesregierung wolle zuallererst vermeiden, dass Unternehmen und Familien in Zahlungsschwierigkeiten geraten, heißt es am Dienstag. Nur ist genau das bereits passiert. Just am Dienstag schlägt der Mieterschutz Alarm: “Die hohen Wohnkosten sind seit Langem eines der größten Probleme in Südtirol. Das Coronavirus verschärft es noch.” Besonders sozial schwächere Bevölkerungsschichten riskieren, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. “Es ist notwendig, dass konkrete Maßnahmen schnell umgesetzt werden”, drängt der Mieterschutz.

Doch genau daran hakt es. Während sich Wirtschaftsverbände wie lvh, CNA-SHV und hds über das – für ihren Sektor zweite – Maßnahmenpaket erfreut zeigen, der Südtiroler Wirtschaftsring mit der Handelskammer in einer gemeinsamen Aussendung meint “Das heute von der Landesregierung beschlossene Hilfspaket ist ein starkes Signal für Unternehmen und Familien”, und die Landespresseagentur die Meldung lanciert “Corona-Krise: Landesregierung setzt auf schnelle Hilfe”, sind die Ankündigungen am Dienstag eben nur das: Ankündigungen. Die Landesregierung hat noch keinen Beschluss gefasst. Zudem muss der Landtag bestimmte Ausgaben erst noch genehmigen. Wann also werden die “rund 150 Maßnahmen”, von denen die Rede ist greifen, die Gelder dafür den Betroffenen der Folgen der Krise zur Verfügung stehen?

 

“...dann haben Sie den falschen Job”

 

Die Opposition kritisiert bereits die “Ankündigungspolitik” der Landesregierung, auf die noch keine konkreten Schritte gefolgt sind. Zumal bereits Anfang März erste Treffen stattgefunden haben. “Warum etwas ankündigen, das noch nicht beschlossen ist?”, fragt sich Alessandro Urzì (Alto Adige nel Cuore). Und von Team K heißt es am Dienstag Abend: “Wer auf konkrete Maßnahmen mit verbindlichen Auszahlungsterminen gehofft hatte, wurde enttäuscht. Wieder einmal blieb es bei Ankündigungen. ‘Wir werden verhandeln’, ‘wir müssen noch Berechnungen anstellen’, ‘es fehlen nur noch die Unterschriften der Banken’, ‘in den nächsten Tagen’ – das waren die Worte, mit denen die Südtiroler Unternehmer und Familien auf weitere Tage des Wartens vertröstet werden. Keine Rede davon, wo die Anträge gestellt werden können und wer diese in welcher Form prüfen wird, geschweige denn, wann mit ersten Auszahlungen zu rechnen ist.” Urzì stimmt ein: “Viele Familien, Unternehmen, Kaufleute, Handwerker, Landwirte und Gastwirte sind in dramatischen Schwierigkeiten. Sie brauchen Antworten schwarz auf weiß und keine Pressekonferenzen.”

Eine harsche Kritik am Vorgehen der Landesregierung kommt am Dienstag aber auch direkt von Unternehmerseite. “Wir als Unternehmer werden den Karren schon wieder rausziehen mit unseren Mitarbeitern aber Sie müssen uns dazu die Möglichkeit geben, die Perspektive! (…) Wir brauchen einen Weg danach, den müssen Sie finden und kommunizieren! (...)  Wir als Unternehmer wollen nicht ständig betteln, Sie müssen verstehen was wir brauchen, sonst sorry mit allem gebotenen Respekt, dann haben Sie den falschen Job”, schreibt der Terlaner Gastronom und Weinhändler Norbert Kier in einer langen Stellungnahme auf der Facebook-Seite von “Italia & Amore” – ein sechsstöckiges Restaurant samt Supermarkt, das er in der Bozner Altstadt betreibt. Seine Kritik richtet er an den Landeshauptmann und vor allem an den Wirtschaftslandesrat. “Herr Achammer wo sind Sie? Die Südtiroler Wirtschaft braucht Sie, und das jetzt und sofort!”

 

“Schritt für Schritt”

 

Auf Nachfrage von salto.bz, wann die angekündigten Maßnahmen in die Realität umgesetzt werden und die Betriebe und Menschen im Land mit der zugesicherten Unterstützung rechnen können, erklärt Arno Kompatscher: “Es wird nicht einen Beschluss der Landesregierung geben, sondern mehrere. Die ersten Maßnahmen werden am Donnerstag, 2. April, auf einer außerordentlichen Sitzung der Landesregierung beschlossen und kommende Woche in Umsetzung gehen. Die weiteren Beschlüsse werden Schritt für Schritt folgen.” Außerdem würden “sehr rasch Gespräche mit den Fraktionssprechern des Landtags” folgen, um die Ausgaben, für die ein Gesetz notwendig ist – laut Kompatscher betrifft das “bei weitem nicht alle” –, genehmigen zu können. Ebenfalls am Donnerstag werden die Fraktionssprecher zu einem Treffen in Bozen zusammenkommen, um zu bereden, wie eine virtuelle Landtagssitzung vonstatten gehen könnte.

Außerdem, versichert der Landeshauptmann am Dienstag, werde es vereinfachte administrative Verfahren geben, um an Hilfen zu kommen. In vielen Fällen soll eine Eigenerklärung genügen.
Wie viele Unternehmen, Familien und Bürger am Ende unter den Corona-Rettungsschirm, den das Land aufspannen will, schlüpfen werden (können), ist derzeit noch nicht abzuschätzen. Fest steht aber, dass es ein Schirm ist, der beim Aufspannen mächtig klemmt.