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Nationalismus am Colle

SVP-Senatorin Julia Unterberger wird vor dem Quirinal von Journalisten beschimpft. Weil es aber die falsche Politikerin ist, schweigen sich SVP und Athesia darüber aus.
Unterberger, Julia
Foto: RAI Südtirol
Es ist eine Szene, die an Victor Orbans Ungarn oder an die Zustände in Weißrussland erinnert.
Rom am Samstag, den 29. Jänner 2022: Am frühen Nachmittag treten die beiden SVP-Fraktionssprecher Manfred Schullian (Abgeordnetenkammer) und Julia Unterberger (Senat) aus dem Quirinal. Die SVP-Politiker haben zusammen mit ihren Fraktionssprecherkolleginnen und -kollegen an einer der wichtigsten Aussprachen ihrer politischen Karriere teilgenommen.
Kurz zuvor hat Sergio Mattarella in einem Telefongespräch mit Regierungschef Mario Draghi seinen Entschluss zurückgenommen, für keine zweite Amtszeit mehr zur Verfügung zu stehen. In der Aussprache signalisieren jetzt alle im Parlament vertretenen Parteien (mit Ausnahme der Rechtsaußen von Fratelli d’Italia) Sergio Mattarella, dass man geschlossen hinter einer zweiten Amtszeit des amtierenden Staatspräsidenten stehe.
Weil offiziell kaum etwas durchsickert, wartet vor dem Quirinal eine ganze Schar von Presseleuten. Als die Fraktionssprecher aus dem Präsidentenpalast treten, stürzt sich der Pressepulk auf die Politiker. Doch man zieht - so wie vorher abgemacht - ohne Kommentar von dannen.
 
 
 
Der Kalterer SVP-Parlamentarier Manfred Schullian hatte aber vorab mit der Rom-Korrespondentin von RAI Südtirol Ulrieke van den Driesch ein kurzes Interview für die Tagesschau am Abend vereinbart. Deshalb geht das SVP-Duo mit dem RAI-Team an den Rand des Platzes, um dieses Interview zu führen.
Zuerst macht Manfred Schullian ein kurzes Interview auf Deutsch und Italienisch, und dann ist Julia Unterberger an der Reihe.
 

„Reden wir auf Deutsch“


Weil die beiden SVP-Politiker die Einzigen sind, die zu diesem Zeitpunkt etwas sagen, kommt schnell der gesamte Pressepulk näher. Es entwickelt sich ein für ein westliches, modernes Land absurd wirkender Dialog.

Julia Unterberger (zu van den Driesch): Reden wir auf Deutsch?
Journalist im Hintergrund: Sprechen Sie Deutsch? ma l'Italia non è Deutsch
Unterberger: Sono la presidente del gruppo per le Autonomie. Adesso, un po di rispetto, parlo in tedesco, va bene?
Journalist im Hintergrund: Siamo in Italia però
Unterberger: Si va be, ma anche il Sudtirolo è in Italia e li si parla....
Journalist im Hinterrgrund: Il sovranismo è finito insomma
Unterberger: Non è  sovranismo, voi dovete accettare il diverso.
 
 
Es ist eine erschreckende Szene, die deutlich macht, wie alltäglich und normal der Chauvinismus in diesem Staat auch im dritten Jahrtausend noch immer ist. Bedenkt man, dass Julia Unterberger davor und danach mehrere Interviews auf Italienisch gibt, ist es ein beispielloser Akt der Intoleranz.
 

Schweigen im Dolomitenreich

 
Nachdem RAI-Südtirol über diese absurde Geschichte berichtet, wird das Video in den sozialen Netzwerken viral. Auch Tageszeitung-Online berichtet.
Im großen Reich des Medienkolosses „Athesia“ wird dieser Akt der politischen Intoleranz aber bis heute vollkommen verschwiegen. Nur in der Sonntagsausgabe des „Alto Adige“ ist in einem Satz von einem nicht näher beschriebenen „Gezänk“ (bisticcio) Unterbergers mit Journalisten zu lesen. Auch so kann man offen zur Schau gestellten Nationalismus verharmlosen.
 
 
Der Grund für das Schweigen der Lämmer liegt auf der Hand. Es hat die falsche Politikerin getroffen. Julia Unterberger gehört zu jenem Teil der SVP, der seit langem im Ebner-Verlag in Ungnade gefallen ist.
Wäre dasselbe Meinhard Durnwalder oder Dieter Steger widerfahren, würde man mindestens Wien oder sogar die UN anrufen, um diesen Willkürakt gegen die Minderheit zu geißeln.
Wäre dasselbe Meinhard Durnwalder oder Dieter Steger widerfahren, würde Chefredakteur Toni Ebner himself die Kommentarspalte auf der Titelseite bemühen. Dann würde mindestens Wien oder sogar die UN angerufen, um diesen Willkürakt gegen die Minderheit zu geißeln.
Dasselbe gilt für die SVP­. Auch Unterbergers Partei schweigt. SVP-Obmann Philipp Achammer und die gesamte Parteileitung halten es ebenfalls nicht für nötig, ihrer Fraktionssprecherin im Senat öffentlich die Solidarität auszusprechen.
All das macht deutlich, wie Südtirols Medienmonopol funktioniert. Aber auch, wie die Südtiroler Volkspartei mit manchen aus ihren eigenen Reihen inzwischen umgeht.