Gesellschaft | Antidiskriminierung

"Ein erster Schritt"

Priska Garbin spricht über ihre erste Woche als Leiterin (und einzige Mitarbeiterin) der Antidiskriminierungsstelle des Landes und darüber, warum Sie die Stelle leitet.
Priska Garbin
Foto: volksanwaltschaft südtirol

Salto.bz: Frau Garbin, Sie sind Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Landes, die vor einer Woche ihre Arbeit aufgenommen hat. Wie sind die ersten Tage verlaufen?

Priska Garbin: Die erste Woche war wirklich sehr aufregend. Es haben sich bereits mehrere Menschen an mich gewandt, die von Diskriminierung betroffen sind - oder zumindest Menschen, die dachten, dass ich für ihren Fall zuständig bin. Ich bin aber nicht für jede Art von Diskriminierung zuständig. Ich muss abwägen, was in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Zudem hat es bereits Treffen mit verschiedenen Vereinen und Verbänden gegeben, die sich gegen Diskriminierung einsetzen; weitere Treffen sind in Ausarbeitung.

Sie haben bereits angesprochen, dass nicht jede Art von Diskriminierung in Ihr Tätigkeitsfeld fällt. Können Sie Ihren Tätigkeitsbereich genauer definieren?

Ich bin zuständig für Diskriminierungen aufgrund von rassistischen Zuschreibungen, dem ethnischen Hintergrund, Religion, Weltanschauung, Sprache, Kultur, Behinderung, Aussehen, Alter oder sexueller Identität bzw. Homo-, Bi- oder Transphobie.

Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder Diskriminierungen, die Kinder und Jugendliche betreffen, sind hingegen beim Beirat für Chancengleichheit beziehungsweise der Kinder- und Jugendanwaltschaft angesiedelt.

Ja, auch wenn ich eng mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft bzw. dem Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen zusammenarbeiten werde. Wir werden gemeinsame Projekte betreuen und Fälle gemeinsam lösen. Die primäre Anlaufstelle bleibt die Kinder- und Jugendanwaltschaft bzw. Landesbeirat für Chancengleichheit aber sie können sich auch an mich wenden.

 

Es ist ein erster Schritt, dass diese Stelle überhaupt geschaffen wurde.

 

Sie sind nämlich sowohl die Leiterin als bis dato auch einzige Mitarbeiterin der Antidiskriminierungsstelle. Haben Sie als Einzelperson die Kapazität, sich um dieses doch sehr weitreichende Feld zu kümmern? 

Es gibt zurzeit mich, die Volksanwältin, die mich unterstützt und den Beirat der Antidiskriminierungsstelle als beratendes Organ. Es ist ein erster Schritt, dass diese Stelle überhaupt geschaffen wurde. Viele Menschen, die von Diskriminierungen betroffen sind, aber auch jene, die sich dagegen einsetzen, haben diese Stelle seit langer Zeit gefordert. Langfristig gesehen brauche ich aber sicherlich personelle Unterstützung. Zudem ist es so, dass Diskriminierung ein gesellschaftliches Problem ist, das nicht von einer und auch nicht von drei Personen gelöst werden kann. Hier braucht es sehr viel Sensibilisierungsarbeit und vor allem auch Netzwerkarbeit. Das heißt, ich bin im Moment zwar alleine, fühle mich aber in ein größeres Netzwerk eingebunden.

Wie kann man sich die Arbeit der Diskriminierungsstelle ganz konkret vorstellen?

Ich berate und begleite Menschen persönlich, aber auch telefonisch oder per Mail. Bei einer persönlichen Beratung wird im Vorfeld ein Termin vereinbart. Ich biete Betroffenen als unabhängige Beschwerdestelle Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte zum Schutz von Benachteiligungen. Das kann konkret in der Aufklärung ihrer Rechte erfolgen oder durch Einforderung einer Stellungnahme oder einer Mediation. Die Beratung erfolgt unabhängig und kostenlos.

Bei meiner Arbeit in der Volksanwaltschaft ging es eher um technische Fragen, Baukonzessionen zum Beispiel. Beim Thema Diskriminierung spielen Emotionen hingegen eine sehr große Rolle. Deshalb ist es wichtig, einen sicheren Raum zu schaffen, wo Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, angehört und ernst genommen werden.

 

Diskriminierung ist ein gesellschaftliches Problem, das nicht von einer und auch nicht von drei Personen gelöst werden kann.

 

Können Sie einige Beispiele nennen, die in Ihren Tätigkeitsbereich fallen könnten? 

Es gab beispielsweise einen Fall in Mittelitalien, wo der Bürgermeister einer Gemeinde muslimischen Frauen „aus hygienischen Gründen“ verbot, die öffentlichen Schwimmbäder mit einem Burkini zu betreten. Das Ufficio Nazionale Antidiscriminazioni Razziali (UNAR) hat in diesem Fall ein Rechtsgutachten abgegeben und auf diese Weise dazu beigetragen, dass das Verbot aufgehoben wurde. Das könnte ein Beispiel sein, wo wir intervenieren könnten. Ein anderes Beispiel ist der Wohnungsmarkt: Vermieter*innen haben häufig rassistische Vorurteile oder glauben, dass Ausländer schwierige Mieter sind. Mit Ausländern meinen sie dann all jene Menschen, deren Hautfarbe von der eigenen abweicht. Hier können wir in konkreten Fällen eine Vermittlung oder Konfliktlösung anstreben. 

Müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, damit sich Menschen an Sie wenden können? 

Die Diskriminierung muss ein schützenswertes Merkmal betreffen und es darf keinen sachlichen Rechtfertigungsgrund für die Handlung geben. Weil Diskriminierung aber so ein heikles Thema ist, kann es auch sein, dass jemand zu mir kommt und sagt: “Diese oder jene Person hat mich schief angeschaut, sie ist sicher ein Rassist und ich fühle mich beleidigt”. Hier gibt es nicht unbedingt einen Interventionsspielraum für mich.

Eine Möglichkeit, um mit Vorfällen wie diesen umzugehen, ist es, Daten zu sammeln, um so einen Überblick zu schaffen, wo und in welcher Form Diskriminierung in Südtirol auftritt und entsprechend präventiv handeln zu können. Im Moment gibt es in Südtirol nämlich keine systematische Erhebung von rassistischen und anderen diskriminierenden Vorfällen. Ist so eine Erhebung geplant?

Das hängt von meinen Kapazitäten ab. Meine vordergründige Aufgabe ist es, Menschen, die zu uns kommen, zu beraten und zu unterstützen. Die Datensammlung ist zwar vom Gesetz vorgesehen, die Frage ist aber, wo ich mir hierfür Unterstützung holen kann. Ich könnte mir beispielsweise eine Zusammenarbeit mit der EURAC vorstellen. Ich muss aber kontinuierlich beobachten, wie sich die Situation entwickelt, wie viele Fälle erfasst werden und so weiter.

Wie viele Fälle schlussendlich gemeldet werden, hängt auch davon ab, wie viele Menschen den Mut finden, auf einen Diskriminierungsfall hinzuweisen. Wie werden Sie versuchen, Personen dazu zu ermutigen, diesen Schritt zu wagen?

Hier sind sowohl die Öffentlichkeitsarbeit als auch die Vernetzung mit Vereinen und Verbänden wichtig. Auch der Beirat der Antidiskriminierungsstelle spielt hier eine wichtige Rolle. Dieser besteht aus Vertretern von People of Color, den Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaften und anderen. Diese Personen sind wirklich sehr gut mit den Menschen vernetzt, die sie vertreten.

 

Ein kollektives Trauma äußert sich in Verdrängung, Abspaltung und einem kollektiven “nicht hinschauen wollen”.

 

Wird die Antidiskriminierungsstelle auch versuchen, auf die Haltung der Gesellschaft als diskriminierendes Element einzuwirken? Wenn ja, wie?

Ja, über Projekte und Sensibilisierungskampagnen zur Förderung der Kenntnis der Menschenrechte und der gesellschaftlichen Teilhabe. Wichtig ist dabei, weite Teile der Gesellschaft zu erreichen. Postkartenaktionen oder öffentliche Aushänge könnten hier beispielsweise eine Möglichkeit darstellen. Gleichzeitig merke ich, dass aufgrund der Pandemie eine größere Erregung in der Gesellschaft zu spüren ist.

Die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle ist im Moment also noch wichtiger als zuvor. 

Ja, vor allem deshalb, weil sich diese Anspannung in der Gesellschaft vielfach gegen jene Menschen richtet, die sowieso schon schutzbedürftiger sind. Es braucht jetzt noch mehr Stimmen, die sich gegen Diskriminierung einsetzen. Andererseits gibt es immer mehr Menschen, die über Diskriminierung informiert sind und sensibel dafür sind, weil sie den Wert einer vielfältigen Gesellschaft anerkennen. 

Kurz zu Ihrer eigenen Person: Welche Qualifikationen bereiten Sie auf diese doch sehr sensible Tätigkeit vor?

Ich bin Juristin und habe 25 Jahre in der Volksanwaltschaft gearbeitet. Dadurch habe ich Erfahrung in der Begleitung von Menschen, Vermittlung und der Behandlung von Fällen. Der Gedanke, mich der Antidiskriminierungsstelle zur Verfügung zu stellen, ist in den letzten Monaten gereift, auch deshalb, weil ich mich vermehrt mit Neurowissenschaften, Psychologie und Traumaforschung beschäftigt habe. Vor allem die Frage danach, wie sich ein kollektives Trauma in der Gesellschaft ausdrückt, hat mich beschäftigt. Ein kollektives Trauma äußert sich in Verdrängung, Abspaltung und einem kollektiven “nicht hinschauen wollen”. All das läuft auf Diskriminierung hinaus. Aufgrund dieses Interesses habe ich mich schlussendlich dafür entschieden, diese Stelle zu übernehmen.

Wofür steht die Antidiskriminierungstelle für Sie?

Ich glaube, dass uns Menschen viel mehr verbindet, als uns trennt. Jeder Mensch hat das Recht, sich sicher zu fühlen, sich zu entfalten und sich zugehörig zu fühlen. Wer dazu gehört und wer nicht, definiert unsere Gesellschaft, Institutionen und auch die Politik. Dieses Gefühl des Sich-nicht-zugehörig- und Sich-nicht-sicher-Fühlens drückt sich in benachteiligten Menschen auch körperlich aus. Ich erinnere mich an ein Beispiel, das mir ein südamerikanisches Mädchen mal erzählt hat. Sie meinte, dass ihre Oma zu Hause sehr selbstbewusst sei. Sie lacht, redet und ist in ihrem Element. Wenn sie dann einkaufen geht, dann verändert sich ihre Körperhaltung total. Sie sackt körperlich ein und geht geduckt durch die Reihen. Es gilt ein Bewusstsein für Diskriminierung und die damit verbundenen Verletzungen zu schaffen und die Gleichwertigkeit und Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft zu fördern.

 

Eine Verständnisfrage an Frau Garbin hätte ich. Ich möchte vorausschicken, dass ich eine solche Stelle im Prinzip gut finde. Es wird Diskriminierung wegen Sprache und Etnie erwähnt. Sind Sie dann jetzt zuständig wegen Diskriminierung in Zusammenhang mit der Verwendung der Muttersprache in Beziehung mit einem Unternehmen? Dies ist mir erst kürzlich widerfahren. Mir wurde verboten, den Dienst des Unternehmens zu beanspruchen, weil ich mich auf deutsch an dieses gewandt hatte. Das Unternehmen argumentierte, dass nur italienisch als einzige Sprache anerkannt wird, da dies alleine die Staatssprache sei. Ich fühlte mich in der Tat diskriminiert. Dass grundlegende Dienste auch öffentlicher Natur auch in Südtirol nur mehr italienisch angeboten werden, ist mir auch bewusst. Unmöglich zb den für immer mehr Dienste notwendigen SPID auf deutsch zu verwenden.
Ich versteh ja einiges, aber meine Eltern haben keine Chance. Italienisch kombiniert mit Informatik ist "tödlich". Vielen Dank für Ihre Antwort.

Di., 15.02.2022 - 15:03 Permalink

Sehr geehrte Frau Garbin,
Ihr Wissen und Engagement kommen dieser gesellschaftlich so bedeutsamen Einrichtung sicher sehr zugute. Ich wünsche Ihnen viel gutes Echo, und viel Kraft in diesem anstrengenden Job !

Mi., 16.02.2022 - 11:11 Permalink