Politik | Ukraine- Konflikt

Krieg oder Klimaschutz?

Wir stellen fest: den meisten verantwortlichen Politiker/Innen und vielen Menschen scheint nicht bewusst zu sein, dass es keine Alternative zur sofortigen Intensivierung von Maßnamen zugunsten des Klimaschutzes gibt.
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Ein Krieg oder langjährige Konflikte mit Russland (siehe gegenwärtige Ukraine-Krise) oder China (siehe deklarierte langfristige US-Strategie) würde alle bislang (und ohnehin unzureichenden) Beteuerungen, Bemühungen und/oder Maßnahmen für den Klimaschutz ad absurdum führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kampf um ein für die Menschheit gerade noch erträgliches Klima im relativ kurzen Zeitfenster der nächsten zwei bis drei Jahrzehnte verlieren lassen. Wir erinnern daran, dass in zahlreichen Studien auf die Gefahr der Überschreitung von klimatischen Kipp-Punkten hingewiesen wurde und wird, jenseits derer das Hinübergleiten des globalen Klimas in eine Heißzeit unumkehrbar wäre. Die kritische Temperaturschwelle, ab der damit zu rechnen ist, dürfte nach Aussagen der Wissenschaft schon demnächst erreicht werden.

Wir stellen weiters fest, dass gerade jetzt, in einer der für die Menschheit vielleicht kritischsten Phasen seit ihrer Existenz, Weltkriegsgeschrei ausgebrochen ist. Russland und die Nato (mit Europa) stehen angeblich vor der kaum mehr abwendbaren Alternative, einen Krieg um die Ukraine vom Zaun brechen zu müssen, dessen Dimension unklar ist und der jederzeit der Kontrolle entgleiten könnte. Zur Klimakrise käme also jetzt noch die reale Gefahr von Zehntausenden oder gar Millionen Kriegs-Toten in Europa, die ein überregionaler Krieg oder ein Weltkrieg verursachen würde und dies mit hoher Zerstörungskraft und gewaltigen CO2- Emissionen.  Und es muss allen klar sein, dass die Kriegshandlungen in einem derartigen Konflikt aller Wahrscheinlichkeit nach hauptsächlich auf europäischem Territorium ausgefochten werden würden. Trotz all dieser realen Bedenken werden die Folgen einer solchen mehrgleisig katastrophalen Entwicklung von Teilen politischer Eliten und Militärstrategen Europas, der USA und Russlands bewusst in Kauf genommen, und die dazu betriebene Eskalations-Politik wird zusätzlich von verantwortungslosen Politiker/Innen, Medien und Think-tank-Kolumnisten befördert.

Wir halten hier explizit fest, dass Präsident Biden und viele andere politische Akteure in „West“ und „Ost“ immer wieder beteuert haben, Klimaschutz als oberste Agenda auf die Tagesordnung setzen zu wollen. Dazu wurde ein globaler „Green Deal“ ausgerufen, dessen Ziel unter anderem eine länderübergreifende Kooperation sein sollte, um überregionale Maßnahmen zugunsten des Klimaschutzes zu ermöglichen. Zitat Biden: Die Klimakrise stelle eine „existenzielle Bedrohung für die Menschheit“ dar. Dieser Erkenntnis haben sich – zumindest verbal - die meisten Regierungen weltweit angeschlossen. Wir sehen jetzt, dass diese Beteuerungen angesichts einer drohenden, willkürlich angefachten militärischen Eskalation in Europa ihre Glaubwürdigkeit weitgehend verloren haben und nicht mehr auf der Tagesordnung stehen. Krieg geht also vor?

Somit stellen wir abschließend fest: Politische, wirtschaftliche und militärische Hegemonie-Bestrebungen torpedieren derzeit die Überlebenschancen der Menschheit in mehrfacher Hinsicht. Um es auf den Punkt zu bringen: Nicht nur Russland, sondern auch die NATO, Europa und vor allem die Ukraine müssen einen wesentlichen Beitrag zur De-Eskalation der gegenwärtigen verfahrenen Situation leisten. Wir erinnern z.B. an das Minsker Abkommen, das von der Ukraine her in wesentlichen Punkten einer Umsetzung bedarf. Nur in einem Umfeld der globalen Ko-Existenz und des Verzichts auf Hegemonialansprüche kann der Kampf um das Klima gewonnen werden. Es sei in diesem Zusammenhang auch erwähnt, dass insbesondere den Arktis-nahen und arktischen Ökosysteme mit Taiga, Tundra und Permafrost-Böden auf russischem Territorium eine funktionale Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Klimakrise zukommen wird. Im Kriegszustand mit Russland lassen sich derartige notwendige Schwerpunktsetzungen kaum erfüllen.  Wir fordern daher alle verantwortungsvollen Politiker/Innen in Ost und West dazu auf, sich erstens uneingeschränkt zum Klimaschutz als dem obersten Ziel der Weltgemeinschaft zu bekennen und dies gegenüber ihren Verbündeten, aber auch ihren angeblichen „Feinden“ und der Öffentlichkeit unmissverständlich kund zu tun; und zweitens jegliche weitere verbale oder faktische Form der Aufrüstung zu vermeiden und sich auf dem Weg substantieller Zugeständnisse zu einer Politik der alternativlosen De-Eskalation zu bekennen. Alles andere wäre Verrat an der Menschheit und an unserem Planeten.

Univ.Prof. i.R. Dr. Reinhard Dallinger, Innsbruck (Zoologe und Umweltwissenschaftler)

Dr. Arch.i.R. Klaus Griesser, Bozen                                                                                                          Innsbruck/ Bozen, 13.02.2022