"Der Spekulation sind die Tore geöffnet"
Salto.bz: Herr Andreaus, in der Gemeinde Bozen betrug die Inflation in den letzten Monaten 6,2 beziehungsweise 5,5 Prozent. Wer dürfte von diesem steilen Preisanstieg am stärksten betroffen sein?
Walther Andreaus: Stark betroffen ist der Mittelstand, das heißt Arbeitnehmer und Rentner. Natürlich sind auch Selbstständige nicht immun, aber Arbeitnehmer und Rentner haben die Möglichkeit nicht, ihre Löhne und Renten anzugleichen. Sechs Prozent sind auf das Jahr gerechnet schon beinahe in der Nähe eines Monatslohns oder einer Monatsrente, das schmälert die Kaufkraft natürlich enorm! Stark betroffen sind aber auch jene, die mit dem Lebensminimum leben. Es sind vor allem die Preise von Energie und Lebensmittel, die steigen. Das sind Grundprodukte, auf die nicht verzichtet werden kann.
Am Dienstag hat die Landesregierung eine einmalige Auszahlung von 500 Euro für Familien mit einem geringen Einkommen beschlossen und auch der Staat hat mit dem sogenannten “bonus bollette” für sie vorgesehen. Wie beurteilen Sie diese Maßnahmen?
Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber es ist eine Hilfe. Allein die Kosten für Strom und Gas machen aber ein Vielfaches von dem aus, was ausgezahlt wird. Auch deshalb, weil die Kosten für Strom und Gas mit 1. April nochmals steigen. Und auch das Gas wird teurer.
Ist es denn die Aufgabe der Politik, hier so weit einzugreifen, dass die Kosten zur Gänze aufgefangen werden?
Die Politik ist ohnmächtig gegenüber der momentanen Situation. Sie versucht jetzt, die Situation mit ein paar “Zuckerlein” erträglicher zu machen. Aber im Grunde genommen spüren wir jetzt die Folgen einer seit Jahren fehlgeleiteten Energiepolitik, in der die Verbraucherinnen und Verbraucher gefangen genommen wurden. Sie sind alle in einem Markt, in dem einige große Player die Preise bestimmen. Strom und Gas sind Leitungssysteme, an denen wir hängen und von denen wir auch nicht so schnell weck kommen. Anstatt das Allgemeinwohl ins Auge zu fassen, hat man den Markt walten lassen. Jetzt kommt natürlich noch der Krieg dazu - ein willkommener Anlass, um die Schuld abzuschieben. Aber eigentlich sind die Preissteigerungen auf viele andere Faktoren zurückzuführen.
Wenn Sie sagen “falsche Energiepolitik” beziehen Sie sich auf Südtirols Abhängigkeit vom italienischen Stromnetz?
Nicht nur, nein. Auch Italien leidet an der momentanen Situation, in der alles über eine Strom- und Gasbörse abwickelt wird und der Spekulation Tür und Tor geöffnet sind.
Inwiefern hätte Italien denn die Möglichkeit, das innerhalb des europäischen Strommarktes anders zu gestalten?
Italien kann es anders machen. Auch die Franzosen haben es anders gemacht. Wenn man etwas nicht machen will, schiebt man die Verantwortung auf andere. Das ist auch in der Südtiroler Energiepolitik so. Aber wenn man für die Bevölkerung etwas tun möchte, glaube ich nicht, dass Europa im Weg stehen würde.
Sie berufen sich hier auf langfristige Möglichkeiten, den Energiesektor umzugestalten. Welche kurzfristigen Lösungen könnten indes umgesetzt werden?
Es ist immer einfach, von anderen Personen, Lösungen zu fordern, nachdem man selbst an die Wand gefahren ist. Aber ich denke, dass es nur einen Ausweg gibt: Regeln schaffen, um die Spekulation in Grenzen zu halten. Der Staat muss die Möglichkeit haben, in so wichtigen Bereichen wie Strom, Gas oder Lebensmittel steuernd einzugreifen.
Aber ich denke, dass es nur einen Ausweg gibt: Regeln schaffen, um die Spekulation in Grenzen zu halten.
Spekulation betrifft nicht nur den Energiesektor, sondern auch die Wohnungspreise, die ihrerseits die Inflation in Südtirol in die Höhe treiben. Wie kann hier eingegriffen werden?
Indem man ein kostengünstiges Angebot schafft. Das Land hat mit dem Wohnbauinstitut auch ein Instrument, um günstigen Wohnraum für den privaten Markt zu schaffen und somit Druck auf die anderen Marktteilnehmer auszuüben.
Warum wird das nicht gemacht?
Weil die Interessen der Bevölkerungen zugunsten einzelner Lobbys vernachlässigt werden. Bauunternehmen, Handwerker, Banken… Sie alle verdienen an der Situation. Leidtragend sind aber jene, die das Ganze finanziell stemmen müssen oder keine angemessene Wohnung finden können.
Es wird immer wieder argumentiert, dass mehr Konkurrenz geschaffen werden muss, um die Preise nach unten zu drücken. In welchen Bereichen braucht es Ihrer Meinung nach mehr Konkurrenz und wie könnte diese aussehen?
Der Markt muss sich entwickeln können und es braucht gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer. Dafür braucht es eigentlich gar keine neuen Regeln oder Gesetze. Man müsste nur die bestehenden Gesetze anwenden. Das ist das große Problem. Es müsste möglich sein, jene, die sich nicht marktkonform verhalten, zu ahnden. Aber es gibt keine Marktaufseher, die in diesem Bereich kompetent arbeiten. Es gibt zwar die staatlichen Aufsichtsbehörden, diese kümmern sich aber nur um größere Dinge mit nationaler Tragweite, die Südtirol kaum betreffen. Für die kleineren Monopolstellungen fühlen sie sich gar nicht zuständig. Sie hätten aber auch gar nicht die Kapazität, um den ganzen italienischen Markt zu kontrollieren. Mit ihrem Personal könnten sie höchstens eine Region kontrollieren, aber niemals einen ganzen Staat! Auf diese Weise werden Verhärtungen geschaffen, die sich in höheren Preisen ausdrücken.
Das heißt, es bräuchte nicht unbedingt neue Wirtschaftsteilnehmer, sondern vor allem einen transparenten Markt.
Ganz genau. Jeder soll sich frei entfalten können, wer aber gegen die Marktregeln verstößt - das heißt, intransparente Vorgehensweisen oder Absprachen - muss geahndet werden. Auch ein funktionierendes Justizsystem ist hier wichtig: Menschen dürfen nicht durch das Justizsystem davon abgehalten werden, bei möglichen Verstößen vor Gericht zu ziehen.
Durch den stark entwickelten Tourismus haben wir italienweit immer die höchsten Inflationsraten
Nochmals zurück zu den inflationären Preisen: Es geht also jetzt nicht darum, den einzelnen Familien auch im Mittelstand einen Bonus auszubezahlen, sondern langfristige Maßnahmen treffen.
Es braucht eine Reihe an Maßnahmen. Einerseits muss die Inflation durch Wettbewerbsförderung und einen seriösen Markt in Grenzen gehalten werden. Andererseits muss man aber auch auf der Einkommensseite tätig werden. Das betrifft mögliche Steuerreformen, Lohnerhöherungen und den Ausbau der Rentenversicherung.
Es wird immer wieder argumentiert, dass Lohnerhöhungen die Preise noch weiter in die Höhe treiben werden. Ein Trugschluss?
Natürlich könnte ein kleiner Preisdruck entstehen. Das hängt aber auch von der Höhe der Lohnsummen in den einzelnen Betrieben ab. Gleichzeitig braucht es aber eine gewisse Kaufkraft in der Bevölkerung: Wenn die Menschen kein Geld mehr haben, können sie auch nichts mehr kaufen - und dann setzten dieselben Betriebe auch weniger ab.
Der Tourismus macht jene Kaufkraft, die in Südtirol selbst vielleicht nicht immer gegeben ist, wieder wett. Die Kaufkraft wird sozusagen importiert.
Genau deswegen sind wir in Südtirol in einer besonderen Situation: Durch den stark entwickelten Tourismus haben wir italienweit immer die höchsten Inflationsraten und auch in absoluten Zahlen die höchsten Preise. Die Leidtragenden sind dabei aber die Bürgerinnen und Bürger.
Sie sprechen von der Ohnmacht der Politik beim Thema Inflation. Was muss passieren, um diese aufzuheben?
Die Landesregierung ist absolut abwesend, was das Thema Inflation betrifft. Die Menschen sind also auf sich selbst gestellt. Die Politik scheint weder ein Interesse daran, noch die nötigen Instrumente zu haben, um hier aktiv zu werden. Es bräuchte mehr Verständnis für die Themen, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen.
Verbesserungsbedarf gibt es
Verbesserungsbedarf gibt es genug. Aber wer je einen Grundkurs in Volkswirtschaftlehre belegt hat, weiß: Inflation heißt immer auch Vermögensverteilung von unten nach oben.
Dass nun gerade das kleine Südtirol mit fast keinen realen Zuständigkeiten grundsätzlich daran was zu ändern vermag, darf wohl bezweifelt werden, auch wenn hie und da punktuell, vor allem durch Transferleistungen, ein ganz wenig entgegengesteuert wird.
Frage an die
Frage an die Volkswirtschaftslehre: Was passiert, wenn die Energiepreise stark steigen, die Löhne Lohnabhängiger aber nicht. Ich fürchte, dass nicht alle nur mit einem gedrosselten Konsum dem entgegentreten können, da sich die Energiepreise auf einen Großteil der restlichen Wirtschaft ausweiten. Man fragt sich, ob diese Preissteigerungen nur im Ukrainekrieg zu suchen sind. Hier bleiben die Medien uns die Antwort schuldig. Welche Interessen verfolgen Medien, hier nicht genauer hinzuschauen?
"...einige große Player die
"...einige große Player die Preise bestimmen." Genau hier liegt das Problem. Habeck in D hat es bereits angemahnt: Der Freie Energie-Markt (Liberalisierung) hat versagt. Die Konzerne ziehen uns über den Tisch oder ohne Redewendung: ziehen uns das Geld aus der Tasche um die ihren zu stopfen. Die Preisvergleiche über die letzten Jahre sprechen eine klare Sprache: Rohöl - Barrel - USD > Tankstelle. (p.s. Rohöl kostete schon mal mehr als heute und Rohöl war nach dem ersten Lockdown sogar kostenlos ... ja, gratis! > an der Tankstelle dann 1,34)
Die Staaten werden eingreifen müssen. Einige sind schon dabei.
Die Lösung wäre im Prinzip einfach. DECKELUNG DES PREISES > max. X%-Aufschlag auf den aktuellen Weltmarkt-Rohölpreis. (Achtung: nicht der Spekulationspreis) Und solange kein realer Mangel an Rohstoff besteht darf der Preis auch nicht steigen. Schlussendlich sollte die Staatengemeinschaft dafür sorgen, dass am Weltmarkt nicht spekuliert und gezockt wird.
p.s. die Scheichs und Putins machen da im eigenen Interesse sicher mit, denn je teuerer ihr Öl um so schneller wandern wir in Richtung "Fossil-Ade".