Wirtschaft | Nachhaltigkeit

Ökologie versus Lebensmittelsicherheit

Ökologischer und nachhaltiger soll die Landwirtschaft in Europa werden – das war das große Ziel, das sich die EU mit dem Green Deal gesteckt hat.
Getreidefeld
Foto: Foto: pixabay.com
Doch dann hat am 24. Februar 2022 die Russische Föderation die Ukraine – auch als Kornkammer Europas bekannt – überfallen. Dynamiken wurden in Gang gesetzt, die, so scheint es, dem Markt und der Politik entgleiten. So trat beispielsweise offen zutage, wie abhängig die europäische Wirtschaft von Futter- und Lebensmittelimporten und wie vulnerabel und anfällig das globalisierte System der Handelsbeziehungen ist.
Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler sprach, als er das Strategiepapier „Landwirtschaft 2030“ vergangene Woche vorstellte, ebenfalls diese Problematiken an – wenn auch nur in einigen wenigen Sätzen. So erklärte der Landesrat, dass plötzlich europaweit der Aufruf ergehe, so viel und so schnell wie möglich zu produzieren. Gleichzeitig wies er auf den Preisdruck hin, der die Milchwirtschaft in enorme Schwierigkeiten gebracht habe. Nichtsdestotrotz halte man an dem Ziel fest, die Landwirtschaft ökologischer zu gestalten.
 
 
 
Die Situation scheint sich jedoch zu verschärfen: Der Weizen kostet derzeit auf dem Weltmarkt fast doppelt so viel wie noch zu Jahresbeginn, bei Mais ist die Situation nicht viel besser, betont Herbert Dorfmann. In seiner jüngsten Aussendung weist der EU-Parlamentarier daraufhin, dass sich der Ukraine-Konflikt auch auf die Futtermittelpreise niederschlage, die Bauern belaste und letztlich auch die Konsumentinnen und Konsumenten.
Im Rahmen eines Austausches zwischen dem EU-Agrarausschuss, in welchem Dorfmann als Koordinator fungierte, und dem ukrainischen Landwirtschaftsminister Roman Leshchenko, kam die aktuelle Lage der Landwirtschaft in der Ukraine zur Sprache. Wie Dorfmann berichtete, habe ihn das Gespräch mit dem ukrainischen Minister sehr berührt. Aus „einem Bunker“ heraus versuche das ukrainische Landwirtschaftsministerium, die Geschicke des Landes zu lenken. Das habe die europäischen Partner darin bestärkt, die ukrainischen Bauern zu unterstützen, beispielsweise in Form von Saatgut.
 

EU-Aktionsplan für Ernährungssicherheit

Am Mittwoch (23. März) wurde im Europäischen Parlament angesichts des Krieges ein dringender EU-Aktionsplan zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit innerhalb und außerhalb der Europäischen Union vorgestellt. „Wir verfolgen mit diesem Aktionsplan ein klares Ziel, wir müssen die europäischen Bauern dabei unterstützen, so viele Lebensmittel wie möglich anzubauen“, so Herbert Dorfmann zur neuen Strategie. Kurzfristig wird dafür ein Unterstützungspaket von 500 Mio. Euro bereitgestellt – was aber nur ein erster Schritt sein könne. Um eine Preisspirale bei Lebensmitteln aufzuhalten, könnte deutlich mehr Geld benötigt werden, so Dorfmann, der darauf hinweist, dass die Folgen für die weltweite Lebensmittelversorgung noch nicht vollkommen absehbar seien. Das gelte vor allem für jene Länder, die seit jeher einen großen Teil ihres Getreides aus der Ukraine bezogen haben, wie beispielsweise die nordafrikanischen Länder Ägypten oder Algerien. Zudem stammt die Hälfte des Weizens, der im Rahmen des Welternährungsprogramms verteilt wird, aus der Ukraine.
 
Nicht nur aus der Ukraine, auch aus Russland kommt derzeit kein Weizen mehr
 
Die Ukraine exportiert vor allem Getreide und Öl. Mit fast der Hälfte des weltweit produzierten Sonnenblumenöls ist die Ukraine der größte Produzent und außerdem ein großer Lieferant von gentechnikfreiem Soja. Die EU importiert aus der Ukraine zudem viel Hühnerfleisch und Eier. Aus Russland kommt ein Fünftel des weltweit angebauten Weizens und weiters liefert es ein Fünftel des produzierten Sonnenblumenöls. „Nicht nur aus der Ukraine, auch aus Russland kommt derzeit kein Weizen mehr“, hält Dorfmann fest. Die Häfen im Schwarzen Meer, wo dieser Weizen zum größten Teil verschifft wird, seien derzeit nicht zugänglich. Deshalb müsse alles unternommen werden, damit die Bauern in der Ukraine in diesem Jahr zumindest teilweise produzieren können, so Dorfmann, der in seiner Rede im Plenum des EU-Parlaments einen Aktionsplan zur Lebensmittelsicherheit in Europa und in der Welt forderte. Produkt für Produkt müsse kontrolliert werden, wo es zu Engpässen kommen könnte und welche alternativen Lieferanten es gebe. „Wir eruieren, wo wir als EU-Reserven haben und welche Länder produzieren können“, erklärt der EU-Parlamentarier und betont, dass heuer alle Flächen in Europa für die Produktion von Lebensmitteln genutzt werden müssten. „Da darf nichts stillgelegt werden.
 
Da darf nichts stillgelegt werden
 
Denn zum ersten Mal seit vielen Jahren ist die Frage der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln wieder auf dem Tisch. Wir haben bei manchen Debatten in den vergangenen Jahren vergessen, dass es die ureigenste Aufgabe der Landwirtschaft ist, Lebensmittel für die Menschen zu produzieren“, betont Dorfmann. Nachhaltigkeit sei notwendig, müsse aber mit dem unantastbaren Ziel der Ernährungssouveränität in Einklang gebracht werden. „Für mich ist klar: Für die Dauer dieser ausgesprochenen Sondersituation müssen alle Rechtsvorschriften, die direkt oder eventuell Senkungen des Produktionsniveaus bei Lebensmitteln bedeuten, aufgeschoben werden.“ Um die Produktion anzukurbeln, plant die Kommission, vorübergehend die Bewirtschaftung von Brachflächen zu gestatten, die eigentlich dazu gedacht waren, die Artenvielfalt zu fördern.
Auf Nachfrage von Salto.bz teilte Herbert Dorfmann mit, dass Südtirol von einer derartigen Maßnahmen nur in einem geringem Ausmaß betroffen wäre, da auf den vorhandenen Flächen im Verhältnis relativ wenig Getreide oder Futterpflanzen angebaut werden.
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Herta Abram Do., 24.03.2022 - 19:32

Eine Tragödie! Doch gleichzeitig muss in der EU auch eine Diskussion entstehen, ob der nachhaltige Umbau der Landwirtschaft zurückgestellt werden kann, um durch intensive Landwirtschaft steigende Lebensmittelpreise abfangen zu können – auf Kosten des Klima- und Umweltschutzes.
Ich hoffe, dass neben den einfachen Antworten eines Herrn Dorfmann, unabhängige ExpertInnen um ihre Einschätzung gebeten werden, welche die Unabdingbarkeit des Klimaschutz begriffen haben. Und die die Kompetenzen und dass Wissen haben, in dieser schwierigen Situation auch die Chancen einer nachhaltigen Land/Wirtschaftstransformation auszuloten.

Do., 24.03.2022 - 19:32 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Do., 24.03.2022 - 21:15

In normalen Zeiten sollte der Klimaschutz Priorität haben (da er auch unmittelbar die landwirtschaftliche Produktion bedroht). Vorbei die Zeiten, wo über Subventionen und Butterberge gelästert wurde. Jetzt kommen (fast) alle drauf, dass es besser ist, zu viele als zu wenige Lebensmittel zu produzieren (und warum die EU der Landwirtschaft immer eine bestimmte Vorzugsschiene geboten hat). Soll doch jeder der dies in Frage stellt mal von seinem Apple oder Audi einen Bissen runternagen.

Do., 24.03.2022 - 21:15 Permalink
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Herta Abram Fr., 25.03.2022 - 14:15

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Die Klimaforschung prophezeit uns seit 30, 40 Jahren, dass - wenn wir nicht wirklich schnell handeln - bestimmte Dinge passieren werden. Die Erderwärmung wird horrende Folgen für Lebewesen, Biotope und Ökosysteme haben und auch für uns Menschen. Ein Herr Dorfmann muss woll in einer Paralellwelt leben, sonst würde er davon wissen. Es ist für mich (und für die nächste Generation) schlimm solche Haltungen bei politischen Vertretern zu sehen.

Fr., 25.03.2022 - 14:15 Permalink
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Salto User
Silke Raffeiner Do., 24.03.2022 - 23:53

Jenseits einer Steigerung der Anbauflächen auf Kosten der Biodiversität gibt es noch ein gewaltiges Einsparungspotenzial, über das offenbar niemand sprechen möchte: laut einer Studie des WWF UK aus 2021 ist davon auszugehen, dass 15% der weltweiten Nahrungsmittelproduktion bereits in der Landwirtschaft für die menschliche Ernährung verloren gehen, also vor und während der Ernte bzw. Schlachtung und direkt nach der Ernte. Entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette (inklusive Landwirtschaft) gehen schätzungsweise bis zu 40% der für den menschlichen Konsum erzeugten Nahrungsmittel verloren oder werden verschwendet. Hier gilt es anzusetzen und die Verschwendung einzudämmen! Eine weitere Intensivierung der Produktion sollte sich damit erübrigen.
Links zur WWF-Studie:
https://www.wwf.de/2021/juli/vom-acker-und-stall-in-die-tonne
https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Landwirtschaft/WW… (vollständiger Bericht)
https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Landwirtschaft/WW… (Kurzfassung des Berichts)

Do., 24.03.2022 - 23:53 Permalink
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Josef Fulterer Fr., 25.03.2022 - 05:56

Antwort auf von Silke Raffeiner

Die Hamsterkäufe der Verbraucher und die Zurückhaltung der von der EU geförderten Großverteileiler, befeuern gegenwärtig die außergewöhnlchen Preisanstiege. da sie sich noch höhere Preise erwarten. Die Lebensmittelindustrie mit ihren tausenderlei gefertigten Fertiggerichten, schwimmt auf dieser Welle munter mit.
Die auf die Lagerhaltung in den Transportsystemen ausgelegte Nachlieferung, gerät damit aus dem Lot.
Der vom Neoliberalen Dorfmann für Südtirol vertretenen EU, fällt auch nichts besseres ein, als 500 Mill. € bereit zu stellen, die sicher wieder im Rachen der Neoliberalen Spekulanten landen werden, statt diese angemessen zu disziplinieren.

Fr., 25.03.2022 - 05:56 Permalink
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Herta Abram Fr., 25.03.2022 - 07:46

Antwort auf von Silke Raffeiner

Bin ganz Ihrer Meinung Frau Raffeiner.Wär doppelt tragisch, wenn nun reflexartig auf dieselben längst unhaltbaren Wirtschaftsweisen zurückgegriffen wird. Oder diesen damit wieder eine Berechtigung gegeben wird. Ev Gründe: Unfähigkeit, das ganze Spektrum an Möglichkeiten zu denken oder Einflüsterungen profitorientierter Agraindustrielobbys.

Fr., 25.03.2022 - 07:46 Permalink
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Günther Mayr Fr., 25.03.2022 - 07:36

Es geht und ging in der Landwirtschaft immer um ein sowohl als auch:
Höhere Produktivität geht nicht zwingend zulasten der Biodiversität und ökologischen Intregrität.
Was die Lebensmittelverteilung angeht: Da ist sicher noch viel herauszuholen - ist aber nicht dirtekt Baustelle des Bauern.

Fr., 25.03.2022 - 07:36 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Fr., 25.03.2022 - 21:39

Nicht nur in der Landwirtschaft, in allen Bereichen müsste wegen des Klimas umgedacht werden. Leider ist derzeit auf Grund des Krieges zu garantieren, dass genug Lebensmittel weltweit erzeugt werden können. Zudem muss der Handel davon wegkommen, dass nur erstklassige Ware eingekauft wird. In meinem Garten habe ich noch nie Gemüse erzeugen können, das so perfekt ausgesehen hat, habe es aber trotzdem ohne weiteres Essen können, geschmacklich war es in Ordnung. Ich möchte nicht wissen, wie viel Energie und Wasser nötig ist, um solch perfektes Gemüse zu erzeugen - wahrscheinlich eine nicht zu rechtfertigende Verschwendung. Hier ist der Handel gefordert.

Fr., 25.03.2022 - 21:39 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 26.03.2022 - 08:08

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

In Deutschland setzt gegwärtig eine ungute Entwicklung ein. Den von der EU in das Hamsterrad getriebenen zunehmend größeren Betrieben, nehmen Spekulanten die Höfe ab. Die Höfe werden dann gütigst mit einem Pachtverhältnis den Bauernfamilien verpachtet. Auch in Südtirol werden bei den sich abzeichnenden höheren Zinsen, die hoch verschuldeten Betriebe in Schwierigkeiten geraten.
Damit entsteht eine Abhängigkeit der Bauern und auch der Konsumenten, die noch schlimmer wird wie im Mittelalter.

Sa., 26.03.2022 - 08:08 Permalink
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Stefan S Sa., 26.03.2022 - 09:23

Antwort auf von Josef Fulterer

"In Deutschland setzt gegwärtig eine ungute Entwicklung ein. Den von der EU in das Hamsterrad getriebenen zunehmend größeren Betrieben, nehmen Spekulanten die Höfe ab."
Diese Entwicklung ist schon seit Jahren wenn nicht sogar seit Jahrzehnten zu beobachten und nicht nur in D sondern vor allem in Osteuropa. Unter dem Dach von Holdings oder auch dem harmlos klingenden Bezeichnung Genossenschaften entwickelt sich der Landwirtschaftsbranche immer mehr Richtung Oligopol.
Diese Entwicklung ist aber in vielen weiteren globalen Wirtschaftsbereichen zu beobachten.
Gut für Spekulanten schlecht für Verbraucher, aktuelles Beispiel, Energiepreise insbesondere die Ölpreise. Bei genauerer Betrachtung ein Skandal und die zuständigen Kartellbehörden ducken sich weg.

Sa., 26.03.2022 - 09:23 Permalink
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Dietmar Nußbaumer So., 27.03.2022 - 21:09

Es wird Zeit, dass sich Konsumenten Gedanken über die Nahrungsmittelproduktion machen, ich fürchte es sind immer noch zu wenige. Spekulanten (sprich Börse, Lobbyisten, Konzerne), Handel und die industrielle Produktion (mit all ihren Profiteuren) bedrohen den kleinen Familienbetrieb, Nestlé und Co. profitieren. Ein Versäumnis der Landwirtschaft, den Konsumenten nicht richtig zu informieren (oder steckt knallharte Absicht dahinter?).

So., 27.03.2022 - 21:09 Permalink