Wirtschaft | tourismus

Quell des Anstoßes

Im Passeiertal soll man sich ab sofort wie auf den Malediven fühlen können – dank eines neuen Luxushotels. Die Bürgermeisterin spricht von einem “Versagen der Gemeinde”.
Quellenhof Seechalet
Foto: Quellenhof GmbH

Vergangene Woche hat “das kleinste 5-Sterne-Luxushotel Südtirols” eröffnet. So bewirbt die Passeirer Hoteliersfamilie Dorfer ihren jüngsten Neuzugang. Dabei haben es die “nur 26 Wohneinheiten” in sich. Die kleinste der 16 Suiten erstreckt sich über nicht weniger als 60 Quadratmeter. Und die größte Einheit – eine Rooftop-Villa mit 350 Quadratmetern Fläche – bietet Platz für bis zu acht Personen. Was einen Aufenthalt in der neuen Struktur aber einzigartig und unvergesslich machen soll, verrät ihr Name: Die “Quellenhof See Lodge” liegt großteils im Wasser. Seine vielen Reisen hätten ihn zu dieser Architektur “mit leicht maledivischem Antlitz” inspiriert, verriet Gastgeber Heinrich Dorfer vor Kurzem. Die Idee hinter dem neuen Projekt des umtriebigen und erfolgreichen Touristikers: “In einem alpinen Kontext ein Reiseziel zu schaffen, das an eine tropische Insel erinnert ohne weit reisen zu müssen – und das in einem komfortablen und angenehmen Mikroklima.”

Palmen neben der Passer, eine künstlich angelegte Wasserlandschaft mit einem 4.500 Quadratmeter großen See und einem Unterwasser-Restaurant. Dazu 800 weitere Quadratmeter Spa-Bereich – im keinen Steinwurf entfernten 5-Sterne-“Quellenhof Luxury Resort” gibt es deren 10.000 und mehr –, Privatpools. Braucht es das wirklich? Und wie verträgt sich das mit der Umgebung und dem Tal? Diese Fragen stehen nun im Raum – wie so oft, wenn in Südtirol über den Tourismus, seine Grenzen und Verantwortung diskutiert wird. Bürgermeisterin Rosmarie Pamer findet klare Worte: “Wir müssen nicht auf ein Pseudo-Malediven-Flair, sondern einen anderen Tourismus setzen.” Sie sei selbst “erschrocken”, als sie gesehen habe, was dort am Quellenhof aus dem Boden gestampft worden ist. Dabei hat die Gemeinde das Vorhaben abgesegnet. Grund genug für Pamer, ein mea culpa auszusprechen.

 

Komplimente und Kritik

 

In den sozialen Medien gibt es unzählige begeisterte Reaktionen auf das neue Quellenhof-Projekt. Weit über 2.000 “Gefällt mir” hat das Facebook-Video von der Eröffnung am 7. April bisher erhalten. In den Kommentaren auf Instagram & Co. wird mit Lob nicht gespart.Großes Kompliment an Heini Dorfer und sein Team! Tolles Konzept, hochprofessionell gestaltet und kreiert und toll eingerichtet! Einen guten Start und viel Erfolg!” “Mega schön!” “Ein Traum!”

 

Vereinzelt gibt es kritische Bemerkungen. Eine Userin kommentiert unter dem Video auf der Quellenhof-Facebookseite: “Ich finde es schockierend, dass so etwas in der heutigen Zeit (explodierende Energiekosten, Wassermangel usw.) noch genehmigt wird.” Am Sonntag klinkt sich dann eine prominente Stimme ein. Stefano Fattor – seines Zeichens Stadtrat in Bozen – schreibt in einem Facebook-Post: “Jede unternehmerische Initiative sollte respektiert werden, besonders in Zeiten wie diesen, und ich wünsche natürlich viel Erfolg. Wir befinden uns mitten in einer Energiekrise, wie wir sie seit mindestens 50 Jahren nicht mehr erlebt haben; die Gletscher, die unsere Trinkwasserversorgung darstellen, gehen aufgrund des Klimawandels zurück. Sind solche Strukturen sinnvoll? Fattor verweist auf die Wassernot in anderen stark touristisch geprägten Gemeinden wie zuletzt in Kastelruth – und darauf, dass die Kläranlage von St. Martin in Passeier, wo der Quellenhof liegt, vergrößert werden muss, “da sie nicht mehr in der Lage ist, die großen Mengen an Abwasser zu behandeln, die aus den neuen Wellness-Einrichtungen der Hotels stammen, die jetzt alle 4 Sterne und mehr haben”.

 

Alles klar?

 

Das Klärwerk, auf das sich Fattor bezieht, ist seit 1992 in Betrieb und klärt die Abwasser der drei Passeirer Gemeinden: St. Martin, St. Leonhard, Moos. Die Anlage gehört der Gemeinde St. Martin und wurde für 14.000 Einwohner geplant. Seit 2006 wird sie von der ECO-Center AG geführt, deren Präsident Fattor von 2009 bis 2019 war. Tatsächlich hat die Gemeinde St. Martin im Juli vergangenen Jahres eine Erweiterung der Kläranlage beschlossen, weil die Kapazitätsgrenze längst überschritten ist. Kostenpunkt: 8.135.200 Euro plus MwSt., aufgeteilt auf die drei betroffenen Kommunen. Bereits im April 2018 erreichte die Anlage eine maximale Belastung von 18.600 Einwohnern. Verantwortlich dafür ist nicht der Bevölkerungszuwachs im Tal – die Einwohnerzahl ist seit Jahren stabil –, sondern die immer mehr werdenden Urlaubsgäste.

Das stimmt, bestätigt Rosmarie Pamer, die seit 2010 Bürgermeisterin von St. Martin in Passeier ist. Allerdings habe der Ausbau “nichts mit dem Quellenhof” zu tun. Denn dieser liegt südlich, wenige Kilometer talauswärts der Anlage – und leitet seine Abwässer deshalb in das Klärwerk von Sinich. Von der Klärung zur Kläranlage abgesehen nimmt die Bürgermeisterin äußerst kritisch zum jüngsten Quellenhof-Projekt Stellung. Was bemerkenswert ist – denn die Gemeinde hat es nicht verhindert.

 

 

“Wie die Faust aufs Auge” passe das neue Luxushotel in das Tal, sagt Pamer frei heraus. Wenn sie beim Blick auf die “Quellenhof See Lodge” an das, was die großen Stärken Südtirols und seines Tourismus seien, denkt – “wir reden immer von Authentizität, naturnah, nachhaltig” –, fällt ihr nur ein Wort ein: “Katastrophe”. Kritisch sieht sie etwa den massiven Ressourcenverbrauch. Die Wasserversorgung sei im Hinblick auf die bereits auftretenden Knappheiten anderswo alles andere als sicher. “Wir haben im Passeiertal eine gute Quelle, die ausreichend Wasser schüttet. Aber wie lange wird es noch genug geben?” Der Quellenhof nutze zwar auch private Quellen und habe mit der Gemeinde vereinbart, seine Pools und Becken immer nur schrittweise zu befüllen – “wenn er alle auf einmal füllen würde, würde vielerorts Wasser fehlen” –, sei aber längst nicht mehr der einzige Betrieb im Tal, der massiv auf Wellness setze, gibt Pamer zu bedenken.

 

Das Versagen der Gemeinde

 

Warum aber hat man einem Projekt wie den Seechalets unter Palmen keinen Riegel vorgeschoben? Im November 2021 hat der Gemeindeausschuss von St. Martin die rechtlichen Bedingungen für das geschaffen, worüber die Bürgermeisterin nach Fertigstellung “persönlich erschrocken” ist. Der Beschluss, der mehrere Bauvorhaben der Quellenhof GmbH enthielt, ging einstimmig durch. “Konkret ging es um eine Bauleitplanänderung, mit der die bestehende Tourismuszone ‘Quellenhof’ erweitert wurde – um eine verhältnismäßig kleine Baurechtsfläche, die dazu schon zur Gänze versiegelt ist”, erklärt Pamer. Die maximal verbaubare Kubatur wurde auf knapp 16.000 Kubikmeter festgelegt. Alle zuständigen Stellen in der Gemeinde und beim Land hätten einen positiven Bescheid ausgestellt, so Pamer. Eine Pflicht für eine Umweltverträglichkeits- (UVP) oder strategische Umweltprüfung (SUP) wurde nicht festgestellt, die Auswirkungen als “nicht gering” eingestuft.

 

Was die Bauherrin am Ende effektiv vorhabe, darüber sei man in den Gemeindestuben aber nicht im Klaren gewesen, gesteht Pamer: “Niemandem war bewusst, was aus der neu ausgewiesenen Fläche überhaupt wird, es wurde kein ausgearbeitetes Projekt vorgelegt. Und bei der Bauleitplanänderung wurde zu wenig Wert auf die Frage gelegt, was genau mit der erweiterten Tourismuszone entstehen soll. Wäre das passiert, wäre das Ganze sicher kritischer begutachtet und stärker diskutiert worden.” Pamer versucht sich nicht in Ausflüchten: “Hier hat es ein Versagen der Gemeinde gegeben, das muss ich ganz klar zugeben.”

 

Verwässerte Akzeptanz

 

Auch wenn im Fall der “See Lodge” keine neue Tourismuszone ausgewiesen, sondern eine bestehende erweitert wurde, ist de facto – und als solcher wird die Anlage auch beworben – ein neuer Betrieb entstanden. Mit Strukturen, die, zumal auf 5-Sterne-Niveau, einiges an zusätzlichem Personal benötigen. Das bringe den ohnehin angespannten Arbeitsmarkt noch weiter unter Druck, gibt Rosmarie Pamer zu bedenken. “Im Passeiertal tun sich viele Hotel- und Gastbetriebe mit der Mitarbeitersuche immer schwerer und machen sich untereinander Konkurrenz. Auf der Strecke bleiben dabei meist die kleinen Betriebe, von denen einige heuer gar nicht aufsperren, weil sie kein Personal gefunden haben. Dieses entscheidet sich – verständlicherweise – eher für einen Ganzjahresbetrieb im hohen Preissegment, der attraktivere Gehälter zahlen kann.”

 

Klar, sie sei Familie Dorfer dankbar für ihren Unternehmergeist – zuletzt, weil zwei ukrainische Frauen, die wegen des Krieges in der Gemeinde untergebracht seien, im Quellenhof Arbeit gefunden hätten. Und natürlich profitiere auch die Gemeinde von jedem Bau, sagt die Bürgermeisterin. Über die Baukostenabgabe, die Erschließungsgebühren und die Immobiliensteuer GIS fließt dringend benötigtes Geld in die Rathauskassen. “Nur: Zu welchem Preis?” Pamer hat einen allgemeinen Stimmungswechsel beobachtet: “Zu Beginn der zehn Jahre, die ich nun Bürgermeisterin bin, war die Akzeptanz und das Wohlwollen für die Vorzeigebetriebe im Tal sehr sehr hoch. Inzwischen ist die Stimmung auch hier gekippt. Auch unter den Hoteliers, die sich Mitarbeiter abwerben und sich mit einer aggressiven Preispolitik in den Übergangszeiten zu unterbieten versuchen. Viele Menschen fragen sich, wann endlich genug ist.”