Wirtschaft | Overtourism
Südtirol ist nicht das einzige Reiseziel
Foto: unibz
Salto.bz: Herr Professor Bausch, im Rahmen der kürzlich stattgefundenen HGV-Pressekonferenz haben Sie erklärt, dass der Tourismus nicht die Hauptursache für den Verkehrsinfarkt auf Südtirols Straßen ist und dass Südtirol spätestens im Jahr 2030 im ständigen Verkehrschaos versinken wird.
Thomas Bausch: Für unsere Analyse haben wir verschiedene Datenquellen des Landesinstitutes für Statistik ASTAT für die Jahre 2000 bis 2019 herangezogen. Hierzu zählten die Daten der permanenten Verkehrszählungen, das Bevölkerungswachstum, die Entwicklung der Anzahl der Arbeitsplätze sowie die touristische Entwicklung. Für eine Reihe von Standorten haben wir anschließend die Entwicklung des Verkehrsaufkommens im November ebenso wie die im August betrachtet. Der November ist ein Monat, in dem der touristische Anteil des Verkehrs nahezu vernachlässigt werden kann. Er beschreibt sehr gut die Grundlast im Verkehrssystem. Wir haben dann die Entwicklung der letzten 20 Jahre gedanklich für weitere zehn Jahre fortgeschrieben und mit den Daten des Augusts verglichen. Hierbei wurde sichtbar, dass unter der Annahme einer gleichbleibenden Entwicklung im November an vielen Hauptverkehrsachsen das Niveau erreicht wird, das wir nun im August haben. Hieraus leitet sich dann unsere Aussage ab, dass ohne eine Trendwende wir spätestens 2030 dauerhaft im Verkehrschaos versinken, auch ohne den Tourismus.
Hieraus leitet sich dann unsere Aussage ab, dass ohne eine Trendwende wir spätestens 2030 dauerhaft im Verkehrschaos versinken, auch ohne den Tourismus.
Sie haben dabei die Verkehrszählung in Bruneck Ost und in St. Lorenzen herangezogen und erklärt, dass die Verkehrs-Grundlast beispielsweise in St. Lorenzen mit 46 Prozent und in Bruneck Ost mit 42 Prozent deutlich schneller angestiegen ist als das Bevölkerungswachstum (12,5 %). Warum haben Sie gerade diese beiden Zählstellen gewählt?
Der Tourismus trägt in Südtirol mit ca. 16 Prozent zur primären Wirtschaftsleistung bei. Daher war es für unsere Betrachtung wichtig, sich zwei Typen von Standorten näher anzusehen. Zum einen solche, an denen es eine breit gemischte Wirtschaftsstruktur einschließlich des Tourismus gibt und zum anderen solche, an denen der Tourismus die eindeutig überwiegende Einnahmequelle ist. Für den ersten Typ haben wir den Raum Bozen und Zählstellen an der MeBo wie auch das Pustertal mit Zählstellen rund um Bruneck gewählt, für den zweiten das Grödnertal, die Dolomitenpässe und Corvara. Anschließend haben wir die verkehrlichen, demographischen und touristischen Entwicklungen verglichen.
An anderen Zählpunkten – nicht nur bei den Dolomitenpässen – sieht man einen deutlichen Anstieg des Verkehrs am klassischen An- und Abreisetag Freitag. Wie differenziert muss man deshalb „Grundlast-Verkehr“ und durch Tourismus verursachten Verkehr betrachten?
Die Anreiseproblematik kann man für die touristischen Standorte in den Daten sehr deutlich herauslesen. Hier zeigt sich ein deutlicher Anstieg gegenüber den Wochentagen. Hieraus kann man dann zurückschließen, dass sich dieses Problem auf den Hauptrouten nach und von Südtirol noch multipliziert. Damit sind wir im Problemlösungsbereich des Anreiseverkehrs. Dass dieser anderer Lösungen bedarf als der kleinräumige, hausgemachte Verkehr ist offensichtlich. Zugleich haben wir aber auch festgestellt, dass die Tage mit den allerhöchsten Verkehrsbelastungen im August sowohl auf der MeBo als auch der Pustertaler Landstraße Wochentage und eben nicht Wochenenden sind. Und dies wird durch die Überlagerung der hohen Grundlast und der touristischen Zusatzlast verursacht.
Wie kann Grundlast-Verkehr vermieden werden, ohne gleichzeitig die Wirtschaft zu gefährden? Wie die Touristen-Ströme gelenkt werden, sodass nicht in Verbindung mit dem Grundlast-Verkehr ein Verkehrskollaps verursacht wird?
Ganz allgemein besteht die Herausforderung darin, die Zahl der Fahrten im motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. An erster Stelle steht dabei, dass Fahrten ganz vermieden werden, etwa durch das Beibehalten eines hohen Anteils von Home-Office. An zweiter Stelle die Bündelung von Fahrten mit gleichem Ausgangs- und Endpunkt, etwa durch Fahrgemeinschaften oder Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. Unternehmen könnten etwa Parkplätze nur noch denen anbieten, die Fahrgemeinschaften bilden oder ein Job-Ticket als Teil der Bezahlung vorsehen. Und schließlich die Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel, insbesondere das Fahrrad aber auch mehr zu Fuß zu gehen. Für die Förderung der Fahrradnutzung gibt es inzwischen viele Ansätze, wie etwa die Bereitstellung von E-Bikes für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei gleichzeitigem Rückbau der Parkplätze im Betrieb.
Wie hoch die Bettenzahl tatsächlich ist, wird sich bei der Zählung herausstellen.
In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel über den Bettenstopp und den Overtourism gesprochen und geschrieben. Ihre Einschätzung?
Wie hoch die Bettenzahl tatsächlich ist, wird sich bei der Zählung herausstellen. Auf Basis der amtlichen Statistik – der Erhebungsfehler dürfte relativ gering sein – lässt sich sagen, dass die gewerblichen Betten in den vergangenen Jahren nicht so stark zugenommen haben, wie manche vielleicht glauben möchten. Das Wachstum der Betten im Tourismus war verglichen mit anderen Wirtschaftssektoren geringer. Deshalb können wir an Verkehrszählpunkten, an denen alle Wirtschaftssektoren aufeinander treffen, einen stärkeren Anstieg der Grundlast feststellen. Die Lebensrealitäten haben sich nun einmal verändert.
Inwiefern?
Heute verfügen vielfach beide Elternteile über ein Auto, weil auch beide berufstätig sind. Auch die Freizeitmöglichkeiten haben zugenommen, was ebenfalls zu einer Verkehrszunahme führt. Natürlich hat der Tourismus einen nicht unerheblichen Anteil am Verkehrsaufkommen. Die Daten für die Passstraßen belegen sehr deutlich, dass an den touristischen Hotspots der Verkehr beinahe ausschließlich touristischer Natur ist. Das gleiche gilt für touristisch stark entwickelte Gebiete; die Peaks der An- und Abreisetage sind deutlich ablesbar. Dass man die Touristenströme wesentlich verlagern kann, ist allerdings ein Irrglaube.
Mit Verlagerung meinen Sie die den Umstieg auf den Zug?
Unter anderem. An einer simplen Rechnung wird deutlich, dass man diese Massen an Menschen nicht mit der Schiene transportieren kann. Südtirol verfügt in etwa über eine Viertelmillion Gästebetten. Wechseln an einem Spitzentag am Wochenenden 50 Prozent, dann sind das rund 125.000 Reisende. Wieviele Züge bräuchte es aber, wenn ein Reisezug 800 Sitzplätze hat? Ganz davon abgesehen stehen diese Sitzplätze nicht exklusiv den Südtiroler Touristen zur Verfügung, sondern auch das Trentino und Nordtirol wollen ihre Gäste mit dem Zug ins Land locken. Schließlich haben ja alle das gleiche Problem mit der An- und Abreise der Touristen und teilen das Anliegen, das hohe Aufkommen der Touristen auf der Straße zu reduzieren. Die Kapazität auf der Schiene reicht aber nicht aus, das ist schlichtweg nicht machbar. Ganz davon abgesehen müssten die Bahngesellschaft Zuggarnituren nur für den Zweck ankaufen, dass der Bedarf während der Hochsaison gedeckt ist. Nur auf die Bahn zu setzen, wird einfach nicht funktionieren.
Was wären die Alternativen?
Ich vermisse in der gesamten Diskussion das Thema Bus. Was den CO2-Fußabdruck anbelangt stehen Busse im Vergleich zu einem Auto sehr viel besser da und im Vergleich zu Schnellzügen nicht viel schlechter. Ein Reisebus kann rund 50 Personen befördern. Wenn diese Personen auf einen Pkw verzichten, wäre das bereits eine erhebliche Reduktion. Zudem kann das Letzte-Meile-Problem, also die Anfahrt zum Beherbergungsbetrieb, sehr viel besser geregelt werden.
Wie sieht es mit der Gästemobilität innerhalb Südtirols aus?
Mit den Hotel-Shuttlebussen und Skibussen haben wir bereits ein System, das recht gut funktioniert und einen hohen Bündelungseffekt hat. Im Winter ist das Potential, noch weiter zu bündeln, relativ gering. Während der Sommersaison wird die Gästekarte, mit welcher der Urlauber während seines Aufenthalts kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen kann, sehr stark angenommen. Anhand der vorliegenden Daten können wir sagen, dass im Jahr 2019 7,7 Millionen Fahrten, davon 5,9 Millionen von Mai bis Oktober, entwertet wurden. Die Leute lassen tatsächlich ihr Auto stehen, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Allerdings kommt uns hier wieder das Problem mit der Grundlast in die Quere: Wenn man mit dem Bus ebenfalls im Stau steht, warum sollte man dann auf das Auto verzichten?
Lösungen für den Tourismus zu finden, heißt Lösungen für alle zu finden, um Überlastungen zu vermeiden.
Die Leute lassen tatsächlich ihr Auto stehen, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.
Apropos Überlastungen: Auf der Pustertaler Staatsstraße herrscht Dauerüberlastung und die Bahnlinie kann nur eingleisig betrieben werden. Ist die Infrastruktur sprich das Straßennetz des Wirtschafts- und Urlaubsraumes Pustertal zu wenig ausgebaut? Bzw. war es ein Fehler, die Alemagna nicht zu bauen?
Das ist eine Frage der Abwägung. In letzter Konsequenz würde es bedeuten, dass man eine vierspurige Straße durch das gesamte Pustertal bauen müsste. Ein derart großes Bauprojekt mit massiven Eingriffen in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild halte ich angesichts dessen, dass es nur für wenige Tage im Jahr zu einer dauerhaften Überbelastung kommt, für nicht angemessen. Will man wieder Natur zerstören und Fläche verbauen, um dem Auto den Vorzug zu geben? Nachdem das Kernproblem die Grundlast ist, wäre es weitaus sinnvoller, die Bahnlinie zweigleisig auszubauen und einen 20-Minuten-Takt wie bei einem Straßenbahnsystem einzuführen. Straßenbau macht bei kleinräumigen und regionalen Verkehrsaufkommen meines Erachtens wenig Sinn. Das ist ökologischer Blödsinn! Man bedenke nur die ganzen Umgehungstunnel, die mit der Alemagna gebaut werden müssten.
Beinahe jede Ortschaft im Pustertal bekommt ihre eigene Umfahrung. Sind die unzähligen kleinen Projekte tatsächlich flächen-, kosten- und zeitsparender sowie sinnvoller als ein einziges großes Projekt?
Diese Frage hat man mir bereits sehr oft gestellt. Auch wenn die Alemagna gebaut würde, müsste man trotzdem um Kiens herumfahren und jede Menge Auf- und Abfahrten errichten, die ebenfalls unendlich viel Platz wegnehmen. In der Abwägung sehe ich ganz klar die Priorität bei einem massiven Ausbau der Bahnstrecke. Wenn sich die Spezies Mensch irgendwo eine Chance geben will zu überleben, müssen wir radikal unseren Lebensstil ändern.
Höre ich da Pessimismus heraus?
Nein, nicht Pessimismus, aber ich stelle fest, dass weder die Bevölkerung noch die Politik eine Veränderung wollen. Es sei denn, es ist eine Veränderung hin zu etwas offensichtlich Besserem. Augenscheinlich fußt unsere Lebenseinstellung aber darauf, dass das offensichtlich Bessere mehr materielle Ausstattung und mehr Freiheit bedeutet. Das hält der Planet aber nicht aus. Das geben die Ressourcen schlichtweg nicht her. Deshalb lautet die Frage, wie wir es im gesellschaftlichen Dialog schaffen, die Diktion zu verändern nach dem Motto: Nicht derjenige, der viele materielle Güter besitzt, erhält in der Gesellschaft Anerkennung, sondern derjenige, der sich verantwortungsvoll in die Gesellschaft einbringt und der sich tatsächlich nachhaltig verhält. Beispiele wie Kopenhagen, wo die Politiker den Mut hatten, dem Fahrrad die Priorität einzuräumen und das Auto in die zweite Reihe zu verbannen, zeigen, dass es möglich ist. Die Stadt hat Fahrradschnellwege und privilegierte Spuren für Fahrräder gebaut. Für die Einwohner wurde dadurch eine deutliche Verbesserung erreicht, weshalb sie nach wie vor hinter diesem Projekt stehen. Auch der Tourismus erlebt einen Aufschwung, weil Kopenhagen an Lebensqualität gewonnen hat. Hier hat sich ein Systemwechsel vollzogen.
Es reicht nicht, immer nur das Wort „nachhaltig“ in den Mund zu nehmen, man muss sich auch trauen, Veränderungen durchzusetzen. Andernfalls werden wir uns immer nur in die nächste Generation retten, ohne die Folgen unseres Lebensstils zu reduzieren. Wir versuchen Änderungen herbeizuführen immer unter dem Vorzeichen, dass sich der Lebensstil nicht ändern darf. Wir wollen in Südtirol der nachhaltigste und begehrteste Lebensraum werden, das wird aber nicht funktionieren, wenn die Bevölkerung nicht selbst eine Wende vollzieht, und zwar nicht nur eine Verkehrswende, sondern eine generelle Wende.
Es reicht nicht, immer nur das Wort „nachhaltig“ in den Mund zu nehmen.
Fangen wir bei der Verkehrswende an. Wie gelingt uns das?
Es muss sich das Verhalten sowohl der Einheimischen als auch Touristen ändern. Bei letzteren müssen sich An- und Abreisezeiten besser auf andere Tage oder Uhrzeiten verteilen. Leider scheint auch das Reisen ein tradiertes und angelerntes Verhalten zu sein, denn Pensionisten, obwohl sie sich genauso gut einen anderen Tag aussuchen könnten, fahren häufig nach wie vor samstags in den Urlaub. Zur Reise gehört wohl für viele, dass man stundenlang im Stau gestanden ist und man hinterher davon erzählen kann. Es gibt wissenschaftliche Belege dafür, dass erlerntes Verhalten nur sehr schwer abgelegt werden kann.
Ein Ziel der Touristiker lautet, die Aufenthaltsdauer wieder zu steigern und die Kurzurlaube zu senken.
Die Forderung an die Urlauber, weniger Reisen zu machen und dafür längere, entspricht einfach nicht der Realität. Das hat zum einen budgetäre Gründe. Anders als vielfach kolportiert, verreisen die Urlauber heute im Gegensatz zu früher nicht fünfmal im Jahr und dafür kürzer. Die Marktforschung widerspricht dieser These. In Deutschland beispielsweise reist ein Viertel der Bevölkerung überhaupt nicht, von den Dreivierteln, welche reisen, machen wiederum zwei Drittel nur eine Urlaubsreise pro Jahr, also eine Reise mit mindestens vier Übernachtungen. Ein relativ kleiner Teil unternimmt zwei dieser längeren Reisen. Es stimmt zwar, dass die Kurzurlaubsreisen zugenommen haben, aber dort haben wir vor allem bei Städtereisen ein überproportionales Wachstum beobachtet. Der überwiegende Teil der Bevölkerung kann sich mehrere lange Reisen jedoch nicht leisten und jene Gruppe, die für ihren Kurzurlaub mehrere Tausend Euro ausgibt, ist relativ klein.
Das 5-Sterne Segment in Südtirol will doch hauptsächlich die Reichen und Schönen anziehen? Da dürfte der Preis doch keine Rolle spielen …
Um diesen Markt streiten sich alle. Es kommen nicht ausschließlich die Reichen und Schönen nach Südtirol. Das mag für einzelne 5-Sterne Betriebe gelten, aber auch diese stehen im Wettbewerb mit den anderen Luxus-Destinationen, nicht nur in den Alpin-Regionen, sondern weltweit. Es ist Unsinn zu glauben, dass die Alpen im Winter das einzige Reiseziel wären. Nur ein Viertel der deutschen Urlauber fahren im Winter in die Alpen. Den überwiegenden Teil zieht es in Warmwasser-Destinationen wie beispielsweise auf die Kanarischen Inseln, nach Südafrika oder Asien, oder sie unternehmen eine Kreuzfahrt. Da diese Reisen sehr teuer sind, wägen die Urlauber sehr genau ab, ob sie einen Skiurlaub in einem gehobenen Hotel verbringen oder eine Reise auf die Seychellen unternehmen. Es ist eine Tatsache, dass der Alpenraum Jahr für Jahr Gäste verliert, nur will das niemand wahrhaben. Eine Kreuzfahrt zu den Kanaren ist nun einmal noch prestigeträchtiger als ein Urlaub in Südtirol. Zudem ist er inzwischen sogar preislich deutlich günstiger.
Urlaub in den Alpen ist out?
Nein, aber die Zahl der Personen, die sich einen solchen Urlaub leisten kann, wird zunehmend kleiner. Dies gilt insbesondere für den zusätzlichen Winterurlaub.
Um diesen Markt streiten sich alle.
Alois Kronbichler, Geschäftsführer von Kohl&Partner Südtirol, erklärte, dass Tourismusdestinationen, wie das Oktoberfest wohl kaum mit dem Begriff „Overtourism“ in Verbindung gebracht werden, da Tourismusprodukte, wie auch die Südtiroler Skigebiete genau daraufhin ausgerichtet sind, Touristen anzuziehen. Hat Südtirol in den Vergangenheit den Fehler begangen, auf Overtourism-Strategien zu setzen?
Wissenschaftlich ist der Begriff Overtourism problematisch und wird dort auch kritisch diskutiert. Tourismus ist an Übernachtungsgäste am touristischen Standort gekoppelt. Wenn wir nun sehr viele Besucher an einem Standort zur gleichen Zeit beobachten, dann muss man differenzieren, welche der Besucher an diesem Standort durch Übernachtungen eine angemessene Wertschöpfung als Touristen generieren, und bei welchen es sich nur um Tagesausflügler handelt, seien es Touristen, die an einem anderen Ort wohnen oder seien es Einheimische aus der Region. Das Oktoberfest oder der Pragser Wildsee haben ganz sicher kein Overtourism Problem – es ist eher ein Overcroding oder Overvisiting der Standorte. Zudem ist der Begriff auch problematisch, weil der Wortteil Over suggeriert, dass es einen klar definierbaren Grenzwert gibt. Liegt man darüber, dann ist es Over, in der Logik aber auch, dass wenn man darunter liegt, man Under sagen müsste. Es gibt aber keinen solchen Wert. Vielmehr macht sich die Debatte an dem subjektiven Gefühl von Teilen der Bevölkerung fest, man habe zu viel Tourismus. Daher erscheint es mir auch ziemlich absurd, davon auszugehen, dass man gezielte Overtourism Strategien hat, was ja dann bedeuten würden, dass man gezielt das Gefühl von zu viel Tourismus erzeugen will.
Kronbichler stellte weiters die These auf, dass in Südtirol weniger vom Phänomen „Overtourism“, sondern eher von „Overmobility“ gesprochen werden muss. Das Hauptproblem entstehe nicht durch das Verhalten von Touristen, sondern durch eine nicht zeitgemäße Infrastruktur und durch das Mobilitätsverhalten der Einheimischen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Hier schließt sich der Kreis zur Problematik der gewachsenen Grundlast: Wenn die einheimische Bevölkerung immer häufiger im Stau steht und nicht den gewünschten Tätigkeiten nachgehen kann, entsteht immer das Rumoren um den Begriff Overtourism. Dass man selbst Teils des Problems ist, blendet man dabei sehr gerne aus. Auch wenn ich den Begriff Overmobility mindestens so kritisch sehe wie den des Overtourism kann man schon bestätigen, dass sowohl die Mobilitätsbedürfnisse für Beruf und Freizeit der Bevölkerung als auch die Ausstattung mit Pkw in den letzten Jahren stark angestiegen sind. Die allzeitige Mobilität ist Teil unseres Lebensstils geworden. Eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens ist daher untrennbar von einer Veränderung unserer die Mobilität treibenden Lebensstile. Und dies lässt sich nur ändern, wenn in der Gesellschaft die Anerkennung denjenigen gehört, die auch in der Mobilität, wo möglich, auf Fahrten verzichten und dort, wo unverzichtbar, ein umweltfreundliches Verkehrsmittel wählen, das zudem den Raum möglichst gering belastet. Hier haben wir noch einen langen Weg vor uns.
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Südtirol hat nicht den
Südtirol hat nicht den notwendigen Grund und zum Glück auch nicht die erforderlichen öffentlichen Geldmittel, um die Infrastrukturen den zunehmend kürzeren Urlaubs-Aufenthalten anzupassen.
Einmal im Verkehrs-chaotischen Stau gestanden, wird die Meute der Urlauber andere Destinanationen wählen, um die paar Tage im 4 - 5 Sterne-Wellnes-Tempel zu erleben.
Der Tourismus ist ein
Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig für Südtirol, das steht außer Frage. Trotzdem werden sich auch die Touristiker überlegen müssen, zukunftsorientiert (um nicht den ausgeleierten Begriff nachhaltig zu verwenden) zu planen. Einiges wurde sicher schon erledigt und angedacht, da ist weiterzuarbeiten.
Der Tourismus hat es sich auch nicht verdient, als Sündenbock für alles heraushalten. Allerdings sollten sie selbst versuchen, durch objektive Informationen für Aufklärung zu sorgen. Schwarze Schafe gibt es bekanntlich so gut wie überall.