Politik | Kommentar

Herr Pinggera, treten Sie zurück!

Der Bürgermeister von Schlanders, Dieter Pinggera, glaubt die Öffentlichkeit für dumm verkaufen zu können. Es gibt viele Arten, wie man sein Amt missbrauchen kann.
Dieter Pinggera
Foto: vinschgerwind
Es ist ein sehr schlechter Film, der sich anscheinend wiederholt.
Friedrich Mittermair, amtierender SVP-Bürgermeister von Prags, hat es vor über 17 Jahren vorexerziert. Als damaliger Bürgermeister von Welsberg ließ er im Juli 2005 über Nacht die Bagger auffahren und das alte Gerichtsgebäude dem Erdboden gleichmachen. Denkmalschutz hin oder her.
Jetzt, 17 Jahre, später wiederholt sich fast deckungsgleich diese amtliche Nacht- und Nebelaktion am entgegengesetzten Ende von Südtirol. Der Bürgermeister von Schlanders, Dieter Pinggera, hat in der vergangenen Nacht in der Drusus-Kaserne in Schlanders die Bagger auffahren lassen. Dort hat man einen Teil der Kaserne abgerissen, in dem sich eine Südtiroler Erfolgsgeschichte und ein Vorzeigemodell für das ganze Land entwickelt hat: die Basis Vinschgau.
 
Es war eine durchdachte und perfekt getimte Aktion, durchgeführt von zwei kongenial operierenden öffentlichen Würdenträgern: Bürgermeister Dieter Pinggera und Gemeindesekretär Georg Sagmeister.
Georg Sagmeister ist ein vielbeschäftigter Mann. Er ist gleichzeitig Gemeindesekretär in vier Gemeinden: So bekleidet Sagmeister nicht nur in der Marktgemeinde Schlanders dieses Amt, sondern auch in Taufers im Münstertal, in Glurns und in Graun. Ein Rekord unter den öffentlichen Beamten in Südtirol.
Sagmeister ist in seiner Funktion als Schlanderser Gemeindesekretär aber auch „Verwahrer für die Liegenschaften“ der Gemeinde. Und er hat trotz der Sekretariatsstellen in vier verschiedenen Gemeinden anscheinend auch noch die Zeit, in dieser Funktion Lokalaugenscheine durchzuführen. Er und die Leiterin des Infrastrukturamtes der Gemeinde Schlanders machten zufällig am 20. September einen solchen Lokalaugenschein in der Drususkaserne. Dabei stellte sich heraus, dass die Gebäude nicht nur „schwere strukturelle Mängel“ aufweisen, sondern „Absperrungen werden immer wieder aufgebrochen und Unbefugte dringen ein, Obdachlose nächtigen in den Ruinen“ und schließlich - überhaupt das Gefährlichste, was man sich vorstellen kann - „auch Kinder nehmen diese Bauwerke als interessante Objekte wahr“ (alle Zitate aus der Anordnung des Bürgermeisters Nr.83/2022).
 
 
 
So etwas darf es in diesem Land keinesfalls geben!
Sagmeister & Co verfassen einen technischen Bericht, den Bürgermeister Dieter Pinggera zum Anlass nimmt, die Bagger auffahren zu lassen. „Die Gefahr ist offensichtlich und es besteht Handlungsbedarf“, steht in der Dringlichkeitsverordnung des Schlanderser Bürgermeisters.
Seit 85 Jahren steht dort die Kaserne, seit über 20 Jahren wird sie nicht benützt, und plötzlich ist die Einsturzgefahr so groß, dass man über Nacht handeln muss.
 
Jedes Wort aus seinem Mund ist dabei eine Verarschung des gesunden Menschenverstandes. Hier verkauft ein Politiker die Öffentlichkeit für dumm.
 
Wie akut die Gefahr ist, wird dabei an den Zeiten und Daten deutlich. Dieter Pinggera unterzeichnet am Dienstag um 17:38:45 Uhr die Abbruchverfügung und keine zwölf Stunden später, mitten in der Nacht (kurz nach 4 Uhr), beginnen die Abrissbagger in der Drususkaserne mit ihrer Arbeit.
 
Obwohl es ein Stillhalte-Abkommen mit dem Landesdenkmalamt und eine laufende Untersuchung der Schutzwürdigkeit der heute angerissenen Fassade gibt, tut Dieter Pinggera so, als sei diese Nacht- und Nebelaktion unvermeidbar gewesen. Dass der Bürgermeister die Ortspolizei gleich mitschickte, um die Arbeiten zu über- oder besser gesagt zu bewachen, macht deutlich, dass es ihm vor allem darum ging, die Proteste gegen diesen unwürdigen Kulturfrevel im Zaum zu halten.
In den Interviews tut Dieter Pinggera jetzt so, als hätte er keine andere Wahl gehabt. Jedes Wort aus seinem Mund ist dabei eine Verarschung des gesunden Menschenverstandes. Hier verkauft ein Politiker die Öffentlichkeit für dumm.
 
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass der Schlanderser Bürgermeister ein Amtsverständnis und ein Vorgehen an den Tag legt, die mehr an das Handbuch der Taschenspielertricks erinnern als an den Kodex der öffentlichen Verwalter.
Zur Erinnerung: 2018 kandidierte Dieter Pinggera bei den Landtagswahlen für die SVP.  Am 17. Juli 2018 veröffentliche Dieter Pinggera einen langen Wahlaufruf für sich und die SVP auf der Homepage der Gemeinde und in der „Gemeinderundschau“, dem offiziellen Blatt der Gemeinde Schlanders. Es war und ist nicht nur ein offensichtlicher Bruch der Par-Condicio-Bestimmungen, sondern auch ein Fall von Amtsmissbrauch.
Nachdem beim Landesbeirat für Kommunikation eine Eingabe gegen diese Vorgangsweise gemacht wurde, beschäftigte sich auch die staatliche „Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni“ (AGCOM) mit dem Fall. Die Garantiebehörde kam zum Schluss, dass dieser Aufruf gegen das Gesetz verstößt, und verhängte am 16. Oktober 2018 eine Strafe gegen die Gemeinde Schlanders. Weil der Verstoß als leicht geahndet wurde, musste die Anordnung der AGCOM 15 Tage lang auf der Gemeinde-Homepage veröffentlicht werden.
 
 
 
Was aber tat Dieter Pinggera?
Er legte, als wäre nichts gewesen, nochmals nach und veröffentlichte in der „Gemeinderundschau“ eine Danksagung an die SVP-Wähler und -Helfer. Pinggeras einziges Glück: Bis heute hat diesen zweiten Gesetzesverstoß in Rom niemand bemerkt. Selbstredend hat die Gemeinde auf die Vorhaltungen und Schreiben der staatlichen Aufsichtsbehörde nicht termingerecht geantwortet. Verantwortlich auch dafür: Gemeindesekretär Georg Sagmeister.
 
Es ist nicht das erste Mal, dass der Schlanderser Bürgermeister eine Amtsverständnis  an den Tag legt, das mehr an das Handbuch der Taschenspielertricks erinnert als an den Kodex der öffentlichen Verwalter.
 
Diese Episode macht aber das Amtsverständnis dieses SVP-Verwalters deutlich. Der gelernte Jurist versteht es blendend, sein Amt für die eigenen Ziele zu missbrauchen. Die perfekt ausgetüftelte Abrissaktion der letzten Nacht zeigt, mit welcher Hybris mancher Bürgermeister in diesem Land vorgeht. Unterstützt von einem Gemeindesekretär, der ihm dafür ein juridisch austariertes Fangnetz bastelt.
Seit 12,5 Jahren steht Dieter Pinggera der Gemeinde Schlanders vor. Spätestens nach dieser Nacht- und Nebelaktion sollte er den Anstand haben, seinen Hut zu nehmen.