Kultur | Bürgerbeteiligung

Wer hat das Kommando in Schlanders?

Die Zeit der individuellen Entscheidungspolitik ist vorbei. Südtirol braucht eine Kultur der Bürgerbeteiligung und auch wir Techniker:innen tragen dafür Verantwortung
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Der Vinschger

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

Text: Philipp Rier (Raumplaner)

 

Warum uns die Ereignisse in Schlanders alle betreffen

Viele Südtiroler:innen sind Mittwoch morgen [5.10.2022] aufgewacht und fühlten sich, nachdem sie die Nachricht zum plötzlichen Angriff auf das Schlanderser Kasernenareal erreicht hat, irgendwie betrogen. Betrogen von der Politik, betrogen von einer Kultur der Entscheidungsträger, welche etwa über Nacht unabgesprochen Entscheidungen der Ortsentwicklung, und somit unser aller Zukunft, treffen.

Nachdem die Strukturen auf dem Kasernenareal über 20 Jahre leer standen, empfand der oberste politische Vertreter der Gemeinde plötzlich, sozusagen über Nacht, dass sie eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Die Gefahr war jedoch nicht groß genug, um den Gemeinderat und die Verwaltung, geschweige denn die Bevölkerung, über sein Vorhaben des nächtlichen Abrisses zu informieren.

Grund für den Abriss war sehr wahrscheinlich der Wunsch des Bürgermeisters Pinggera, endlich Tatsachen zu schaffen und mit dem Projekt, welches im Rahmen einer Machbarkeitsstudie im Jahr 2016 für die Neubebauung des Areals erstellt wurde, zu beginnen. Dieses Projekt sieht die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum und Gewerbeflächen vor und wurde von einem römischen Architekturbüro erstellt. Wettbewerb oder eine spezifische Bürgerbeteiligung, wie kürzlich beides für das Eppaner Kasernenareal organisiert wurde (auch auf Empfehlung der BASIS Vinschgau), fand nicht statt.

 

Viele Südtiroler:innen sind gestern morgen aufgewacht und fühlten sich [...] irgendwie betrogen

 

Wer entscheidet, wie sich Schlanders, das Vinschgau oder Südtirol entwickeln sollen?

Die Hintergedanken solcher Entscheidungen, der Alleingänge über eine gemeinsame Zukunft sind nur schwer nachvollziehbar. Aus persönlicher, aber auch aus professioneller, urbanistischer Sicht. Es fällt schwer, Antworten für diesen nächtlichen „Überfall“ zu finden. 

Dies war nicht nur ein Vergehen an der Initiative der Drususkaserne oder den Kreativen und Kulturschaffenden von BASIS Vinschgau, sondern ein herber Rückschlag für alle Menschen, welche sich für eine neue Kultur des Miteinanders einsetzten. Denn BASIS Vinschgau ist mittlerweile viel mehr als ein Ort der Kultur und Innovation. Der Ort wurde für viele Südtiroler:innen zum Symbol eines Zeitenwandels. Ein Symbol der Hoffnung für viele Rückkehrer:innen Südtirols. Hoffnung auf einen Bruch mit den festgefahrenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen. Hoffnung für Räume zur Mitgestaltung und Mitbestimmung. Hoffnung für spannende Arbeits- und Wohnformen in unseren Dörfern und Städten, Tälern und Bergen. Hoffnung auf eine ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltige Zukunft.

Auch in Bozen haben sich letzten Samstag hunderte Menschen auf dem Bahnhofsareal getroffen und sind dem Aufruf der Initiative „A Place to B(z)“ gefolgt, um ein Zeichen für mehr Mitbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der zukünftigen Stadtentwicklung zu setzen. BASIS Vinschgau ist für viele Bürger:innen und Initiativen aus Nah und Fern ein wesentliches Vorbild, ein Beispiel, dass man mit Hartnäckigkeit auch in Südtirol einiges bewegen kann.

 

 

Bürgerbeteiligung wer?

Beteiligung in der Gestaltung userer Zukunft geht uns alle etwas an. Bürger:innen haben eine gesellschaftliche Pflicht sich aktiv zu beteiligen, Aufgabe der Politik ist es diese Beteiligung zu ermöglichen. Und wir Techniker:innen? Auch wir müssen uns dieser Verantwortung stellen. Formen der Beteiligung fordern, leiten und umsetzen.

Viel zu oft hört man nämlich auch von Architekt:innen und Planer:innen, dass die Beteiligung für viele Bereiche wenig Sinn ergibt, was oftmals daran liegt, dass sie keine Beteiligungsprozesse gestalten wollen oder aufgrund mangelnder Kompetenzen nicht können. Prinzipiell gibt es sogar noch Schwierigkeiten, Bürgerbeteiligung überhaupt zu definieren. So wie der Bürgermeister Pinggera immer wieder betont, dass die Bevölkerung beteiligt wurde. Ein Workshop und einige Infoveranstaltungen welche vor über zehn Jahren stattfanden, wo es die BASIS Vinschgau noch nicht gab, wo die Welt eine andere war, können nicht die Ortsentwicklung von heute definieren.

Der Fall in Schlanders zeigt auf, dass der oder die Auftraggeber:in von uns Techniker:innen nicht nur der oder die Bürgermeister:in ist, sondern die gesamte Gemeindebevölkerung, deren Interessen wir langfristig vertreten müssen. Südtirol braucht eine neue Kultur des Miteinander um die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen. Dies ist nur durch eine neue Kultur der Entscheidungsfindung möglich.

 

BASIS Vinschgau ist für viele [...] ein Beispiel, dass man mit Hartnäckigkeit auch in Südtirol einiges bewegen kann.