Politik | Österreich

Van der Bellen wiedergewählt

Der „Mainstream-Präsident“ gegen eine Vielzahl von „Antisystem-Kandidaten“.
Van der Bellen, Alexander
Foto: Bundespräsidialamt
„Für mich ist es wirklich ein großartiger Abend, das können Sie mir glauben“, versicherte ein sichtlich erleichterter Alexander Van der Bellen (VdB) in seiner ersten Reaktion. In der Tat herrschte bis zum Schluss eine gewisse Unsicherheit, ob die Wiederwahl im ersten Anlauf gelingt, oder ob es zu einer Stichwahl kommt. Dass die meisten Umfragen VdB mehr als 50% vorhersagten und er ohnehin von allen Parteien mit Ausnahme der FPÖ unterstützt wurde, hätte viele Wähler*innen vom Gang ins Wahllokal abhalten können. Mit 66% war die Wahlbeteiligung zwar niedrig, aber für eine Wiederwahl eines Amtsinhabers nicht außerordentlich. Die zweite Ungewissheit nährte die Vielzahl der Kandidaten. Doch am Ende schaffte der amtierende Bundespräsident mit 54,6 Prozent seine Wiederwahl.
 
 
 

Selbsternannte Heimatretter, Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner, Schwurbler und Selbstdarsteller

 
Sechs Gegenkandidaten hatte VdB , vier davon rechts-rechte und insgesamt ausschließlich Männer. Der einzige Parteikandidat war Walter Rosenkranz für die FPÖ. Anwalt, schlagender Burschenschafter, der erst kürzlich namhafte Nazis aus den 1930er Jahren als Vorbilder nannte, jahrelanger Abgeordneter und auch Klubobmann im Nationalrat und zuletzt Volksanwalt, ist Rosenkranz ein Profi und seit 30 Jahren in der Politik.
 
 
Trotzdem präsentierte er sich als „Kämpfer gegen das Establishment“ – in seinen Augen die Regierung, sämtliche andere Parteien, EU-Bürokraten, der ORF und natürlich VdB als deren oberster Vertreter. Wäre er gewählt worden, hätte er vom Recht des Bundespräsidenten Gebrauch gemacht, die Regierung abzusetzen oder einzelne Minister auszutauschen. Der sofortige Ausstieg von den Sanktionen gegen Russland hätte ebenso Priorität wie ein mögliches Referendum über einen EU-Austritt, wenn die EU nicht von innen her verändert werden könne.
Fast wortgleich die Forderungen des Newcomers Tassilo Walentin. Parteilos, Chef einer bedeutenden Anwaltskanzlei, Mitglied des ultrakonservativen  St.-Georgs-Ordens des Hauses Habsburg-Lothringen, seit 10 Jahren Kolumnist der Kronen Zeitung und finanziell unterstützt vom austro-kanadischen Milliardär Frank Stronach. Abwechselnd im Nadelstreif oder in Lederhosen kämpft auch Walentin gegen das Establishment, das Österreich „gegen die Wand fährt“.
 
 
Er würde ebenso als Präsident umgehend die Regierung entlassen und verlangt innerhalb der EU eine „Blockade-Politik“ durch Veto gegen die Euro- und EZB-Politik. Auf alle derzeitigen Krisen gebe es „ganz einfache Lösungen“, die er allesamt in seinen Büchern beschreibe, nur müsste der derzeitige „Machtapparat“ abgelöst werden.
 

Verbaler Amoklauf und Provokation

 
Ganz nach dem Motto „darf`s a bissl mehr sein“ werden die beiden genannten Rechten nur von Gerald Grozs getoppt. Ebenfalls Mitglied des schon erwähnten St.Georgs-Orden, ehemals Mitglied der Jörg-Haider-Buberl-Partie, damals Abgeordneter und Obmann des BZÖ Haiders ist Grozs als Blogger ein wortgewaltiger Provokateur und Social-Media-Star, bekannt für seine derb-obszönen Sprüche im Bierzelt-Stil und seine rechtsradikalen Positionen. Kostprobe? Armin Wolf konfrontierte den Kandidaten im ORF-TV mit einigen seiner Sprüche: “Sie sagen die Regierung sei hirntot und kriminell und ihre Mitglieder Primaten, jedenfalls eine Ansammlung von Wahnsinnigen. Politiker seien die größten Huren, den (amtierenden) Bundespräsidenten schimpfen Sie einen Pfosten und er sei tamisch, die EU nennen Sie eine Zentralanstalt abnormer Rechtsbrecher!“ Die „Brachialausdrücke“ würden der Stimmung im Land entsprechen und seien durchaus angemessen, antwortete Grozs. Und selbstverständlich würde er als „starker“ Präsident sofort die Regierung absetzen…
 
 
 
Der Vierte im Bunde dieser Anti-System-Kandidaten ist der Chef der neuen Partei MFG (Menschen-Freiheit-Grundrechte) Michael Brunner. Auch er ist Rechtsanwalt und wirft der – sofort zu entlassenden (!) - Regierung und überhaupt den Eliten täglichen Verfassungsbruch und Verletzung der Grundrechte vor.
 
 
Aus der Protestbewegung gegen die Corona-Politik der Regierung hervorgegangen, weiten Brunner und seine mittlerweile recht zerstrittene Partei ihr Querdenken auf alle Lebensbereiche aus: Wirtschaft, Teuerung, Ukrainekrieg, EU etc. Laut Brunner müsse die Verfassung geändert werden, damit der Präsident mit mehr Kompetenzen und das Volk durch direkte Abstimmungen das derzeitig „korrupte“ System ablösen könnten.
 

Von konfuser Weltverbesserung bis linksliberal

 
Ebenso Gründer einer Covid-Impfgegner-Gruppe wurde der Schuhfabrikant Heinrich Staudinger vor Jahren bekannt, weil er einen erfolgreichen Kampf gegen die Finanzbehörden geführt hat. Ein schrullig-liebenswerter und volksnaher Anarcho-Rebell – „ich halte mich nur an Gesetze, die ich für sinnvoll halte“ – kandidierte Staudinger nicht, um Bundespräsident zu werden. Ihm ging es darum, die „Menschen aufzurütteln“. Pazifist, Gandhi-Verehrer und Umweltaktivist bekämpft auch er „das System“, in dem nur das Geld herrsche. Aber auch die politische Korrektheit und #MeeToo - die seien von der CIA erfunden worden, um „das Zusammenkommen der Menschen“ zu behindern.
 
 
Nicht minder untypisch für einen Präsidentschaftskandidaten schließlich der 35-jährige Dominik Wlazny alias Marco Pogo. Der studierte Mediziner, Kabarettist und Rockmusiker hat mit seiner ursprünglich sehr spaßhaften Bierpartei bei Lokalwahlen Bekanntheit und in Wien zehn Vertreter in Bezirksräten gewonnen.
 
 
Sympathisch-locker, hat Wlazny in seinem Do-It-Yourself-Wahlkampf (insgesamt 10 handschriftlich gestaltete Wahlplakate) und starker Social-Media-Präsenz engagiert, wenn auch recht naiv, linksliberale Forderungen und Werte propagiert: Klima- und Tierschutz, soziale Gerechtigkeit, mehr Bürgerbeteiligung und die Involvierung der Jugend in die Politik. Mit 8,5% landesweit und fast 20% Prozent in Wien (bei den jungen Wählern) an dritter Stelle nach dem FPÖ-Vertreter Rosenkranz hat Wlazny vor allem bei den Jungen stark punkten können.
 

Politikverdrossene Sehnsucht nach dem starken Mann

 
Dass angesichts der allgemein bedrohlichen Krisen (Pandemie, Klima, Krieg vor der Haustür, Inflation und Energieknappheit) und als Folge der innenpolitischen Turbulenzen (Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz, Ibiza-Video-Skandal, Parteifinanzierungsskandale der ÖVP etc.) 44% der Wähler*innen ihren Frust oder Zorn in die Wahlurne geworfen haben, ist nicht erstaunlich und ein Phänomen, das derzeit in den meisten Demokratien um sich greift.
Ein erschreckendes Armutszeugnis für die politische Kultur in Österreich war dieser Wahlkampf aber allemal. Weil sechstausend gesammelte Unterschriften ausreichen, um für das höchste Amt im Staat kandidieren zu können und weil die etablierten Parteien es nicht der Mühe wert fanden, einen eigenen Kandidaten oder Kandidatin ins Rennen zu schicken, landete der demokratische Diskurs auf einem unsäglichen Niveau.
Ein erschreckendes Armutszeugnis für die politische Kultur in Österreich war dieser Wahlkampf aber allemal.
Wochenlang wurde in sämtlichen Medien einer Ansammlung von im besten Fall bizarr bis ehrlich aber amateurhaften oder strammrechten Selbstdarstellern und Hetzern eine Bühne geboten. Dabei sind Misstrauen und Enttäuschung über die Politiker*innen in Österreich ohnehin besorgniserregend hoch, ebenso wie die Sehnsucht nach einem „starken Mann“ und „einfachen Lösungen“. Nach dem wissenschaftlichen „Demokratieradar“ ADL sprechen sich die Hälfte der Österreicher*innen für eine tiefgreifende Änderung des politischen Systems aus.
Diesen Trend kann das soeben gebotene Schaulaufen vor allem der aggressiven rechten Anti-System-Propagandisten nur verstärkt haben.
 
 
 
 

Man kann natürlich alles schlecht zu reden versuchen und die ganzen negativen Aspekte an diesem kuriosen Wahlkampf herausklauben, oder man kann sich freuen, dass der (alters)-weise Van der Bellen im ersten Wahlgang gewählt wurde, obwohl viele Wähler, die Van der Bellen durchaus schätzen, gar nicht zur Wahl gegangen sind, weil sie es angesichts des dem scheidenden Bundespräsidenten vorausgesagten Wahlerfolges gar nicht mehr für notwendig gehalten hatten. Der zwar in Wien geborene, aber in Tirol aufgewachsene und sich selbst als Tiroler bezeichnende Van der Bellen ist auch für uns Südtiroler weiterhin die wichtigste Bezugsperson.

Mo., 10.10.2022 - 13:21 Permalink

Gratulation an den wiedergewählten österreichischen Präsidenten Van Der Bellen. Gruss ans Kaunertal,könnt stolz sein auf euren Ehrenbürger und Präsidenten!

Di., 11.10.2022 - 07:55 Permalink