Gesellschaft | Gerechtere Renten
775 ≠ 1499
Foto: pensplan
Der Aktionstag, organisiert von der Gesellschaft Pensplan Zentrum, rührte dabei kräftig die Werbetrommel für Zusatzvorsorge und weibliche Finanzbildung, präsentierte bei einer Konferenz im Bozner Waltherhaus aber auch erschreckende Statistiken: 1499 Euro beträgt die durchschnittliche Monatsrente eines Mannes, 775 Euro die einer Frau in Italien, laut einer Statistik des staatlichen Vorsorgeinstituts INPS.
Im Trentino und in Südtirol eine ähnliche Lage: 76 % der Frauen erhalten eine Altersrente von unter 1000 Euro, verglichen mit „nur“ 32 % der Männer. Renten von über 2000 Euro an 25 % der Männer und lediglich 5 % der Frauen ausgezahlt werden. Im öffentlichen Dienst - dem der Gleichstellung noch am nächsten kommenden Sektor - beträgt der Unterschied bei den Renten 33 % im Trentino, 31 % in Südtirol, wohingegen im freiberuflichen Bereich ein Wert von 42 % im Trentino, 37 % in Südtirol festzustellen ist.
Die Wichtigkeit von Gegenmaßnahmen unterstrich zuständiger Landesrat für Chancengleichheit und Landeshauptmann Arno Kompatscher, der auch einen gesellschaftlichen Wandel beobachtete, aber wusste, dass das Ziel noch weit entfernt ist: Unterstützungen biete das Land, etwa durch die Möglichkeit Rentenvorzahlungen auch dann tätigen zu können, wenn man sich zuhause um die Kinder oder pflegebedürftige Menschen kümmere. „Die Frage ist: Warum ist das ein Frauenthema? Das ist das Problem.“ In immer mehr Familiensituationen gebe es eine fairere „Ich sage noch nicht: eine faire“ Rollenaufteilung. Es gehe laut Landeshauptmann nicht um eine Unterstützung der Frau, sondern jener Personen, welche die unbezahlten Aufgaben übernehmen.
Ulrike Oberhammer, Präsidentin des Beirats für Chancengleichheit machte den Hauptgrund der Ungleichheiten bei den Renten fest: Ein niedrigeres Einkommen in der Erwerbstätigkeit (in Südtirol beträgt der Gender Pay Gap in den verschiedenen Sektoren durchschnittlich 17 %) führe auch zu einem niedrigeren Betrag bei der monatlichen Rente, wodurch Frauen häufiger von Altersarmut betroffen sind.
Die Präsidentin der Pensplan Zentrum AG Johanna Vaja unterstrich die Wichtigkeit einer rechtzeitigen und richtigen Vorsorge auch wegen der statistisch höheren Lebenserwartungen und schlug vor man könne auch Kindern eine Zusatzrentenfond schenken. „Die Kinder haben ja alles.“ Sicherlich kein schlechtes, aber wohl eine wenig populäre Geschenksidee. Weiters unterstrich Vaja Unterschiede in der Arbeits-Biographie von Frauen, rechnete vor, dass 10 Jahre Arbeit in Teilzeit ein im Schnitt 10 % niedrigere Rente bedeuten würde. Anhand einer Studie zur Lohnschere in Deutschland (2019) gab man auch drei Hauptfaktoren für die niedrigeren Einkommensstandards von Frauen preis: Häufigere Tätigkeit in sozialen Berufen, es würde weniger häufig um Gehaltserhöhungen angesucht und es werde öfters in Teilzeit gearbeitet.
Die Vizepräsidentin des INPS, Marialuisa Gnecchi unterstrich die Wichtigkeit einer geteilten, gleichen Verantwortung für die Pflege von Angehörigen, da ansonsten immer der einkommensschwächere Partner in einer Beziehung, also meistens die Frau, Anspruch auf Eltern- oder Pflegezeit erheben werde. Claudia Gasperetti Präsidentinnen des Beirates für das weibliche Unternehmertum der Handelskammern Trient verwies auf die Wichtigkeit der Vermittlung von Finanzwissen. Ihre Bozner Kollegin Claudia Rubatscher Crazzolara wies darauf hin, das in kleinen und mittleren (Familien-)Unternehmen die Führungsposition meist männlich besetzt seien, was dazu führe, dass für Frauen, die den selben Arbeitsumfang erbringen würden, minimale bis keine Beiträge für Zusatzrenten erbracht werden.
Gleichstellungsrätin Michela Morandini fand die wohl eindrücklichsten Worte des Treffens: „Die Frauen, die zu mir kommen sind sich sehr wohl bewusst, dass sie ein höheres Risiko an Altersarmut haben, dass sie etwas (Teilzeit) machen, was sie schädigt und das führt oft dazu, dass sie bei mir sitzen und sagen: ‚Ich weiß schon, dass Sie, Gleichstellungsrätin, immer dafür plädieren dass man Vollzeit arbeitet… Aber ich muss jetzt für meine Familie da sein.‘ Und nicht wenige Frauen entschuldigen sich bei mir.“ Das Thema sei auch mit Scham verbunden, was anzuerkennen sei, so Morandini weiter. Das beitragsbezogene Rentensystem sei eine kollektive Diskrimnierung, gerade in Hinsicht auf unbezahlte Pflegearbeit.
Da die Diskriminierung eine kollektive ist, ist wohl auch die Verantwortung kollektiv weiterhin auf das Thema aufmerksam zu machen und Druck auf die Politik auszuüben. Einen kleinen Lichtblick gab es zum Abschluss der Präsentationen ernüchternder Fakten noch: Man sei in Gespräch den auf Provinzebene begangenen Equal Pension Day, vielleicht schon ab nächstem Jahr, auf eine nationale Ebene zu heben. Es bleibt zu hoffen, dass nicht erst dann wieder über gerechtere Renten gesprochen wird.
Bitte anmelden um zu kommentieren
Besonders hervorzuheben ist
Besonders hervorzuheben ist in diesem Hinblick nicht nur die vertikale, sondern vor allem auch die horizontale Segregation des Arbeitsmarktes (ausbildungsmäßig annähernd äquivalente Arbeitsfelder werden unterschiedlich bezahlt, z.B. männlich dominierte Metallarbeit vs. weiblich besetztere Sektoren wie z.B. Sekretariatsarbeit oder Handel).
Genau hier könnte das Land Südtirol mit einem guten Beispiel vorangehen, indem es z.B. in den öffentlich geführten Bereichen der sozialen "Sorge"- also Care-Arbeit, sprich den Pflegeberufen und dem Bildungsbereich den häufigen Politiker*innen-Beteuerungen, diese Berufe seien gesellschaftlich sehr wichtig, auch entsprechende Maßnahmen in Hinblick auf die finanzielle Entlohnung setzt.
Abhilfe schaffen würde natürlich auch, die unbezahlt geleistete Sorgearbeit nicht durch politische Maßnahmen weiterhin möglichst zu individualisieren (mit der beinharten Konsequenz, dass in Familien immer der bei der "Erwerbsarbeit" weniger gut verdienende Mensch zu Hause beim Pflegen und/oder Erziehen bleibt), sondern diese Arbeit endlich zu vergesellschaften- und zwar durch konsequenten Ausbau der Betreuungsangebote für ganz jung, krank und/oder alt.
"Wer soll das bezahlen?", höre ich fragen, "das ist ja utopisch!"; ich frage zurück: Wollen wir als Gesellschaft weiter sehenden Auges ausbeuten und uns von Zeit zu Zeit darüber wundern, dass derartige Ungerechtigkeiten weiterhin bestehen? Wollen wir als Gesellschaft, dass unsere Frauen, Mütter, Töchter den Preis dieser verfehlten Politik weiterhin bezahlen? Haben wir die Dystopie halt einfach lieber?
Kompatscher als oberster Personalchef des Landes könnte wohl auch "Gegenmaßnahmen" andenken, die nicht zu weiterer Verarmung beitragen, anstatt "Rentenvorzahlungen" zu propagieren und sich zu freuen, dass es mittlerweile eine "fairere" Rollenaufteilung gibt. Dies wird die aktuelle genausowenig wie die zukünftige Rentnerin unterhalb der Armutsgrenze trösten.
[Schade, dass ich in diesem Kommentar im Jahr 2022 immer noch auf den Konjunktiv II zurückgreifen muss, wenn über Geschlechterverhältnisse geschrieben werden muss!]
Antwort auf Besonders hervorzuheben ist von Katja Renzler
Es sollte im vorletzten
Es sollte im vorletzten Absatz natürlich heissen: Dies wird die aktuelle genausowenig wie die zukünftige Rentnerin unterhalb der Armutsgrenze kaum trösten.
Daher 75-80% Teilzeit für
Daher 75-80% Teilzeit für Mütter UND Väter, damit bleibt das Haushaltseinkommen ungefähr dasselbe wie bei 100 + 50%. Es verteilt aber bezahlte und unbezahlte Arbeit bzw. die Rente fair. Damit aber nicht beide Eltern Rentenverluste erleiden, müssen die Erziehung- und Pflegezeiten für die Gesellschaft unbedingt von der Gesellschaft (und somit von der Politik) als Rentenzeiten anerkannt werden.
Nichts Neues, leider hat sich
Nichts Neues, leider hat sich bis jetzt, von Lippenbekenntnissen abgesehen, nicht wirklich viel getan.
Es ist höchst an der Zeit,
Es ist höchst an der Zeit, dass den Frauen dieselben Lebensbedingungen wie uns Männern zuerkannt werden, und dabei unterschiedliche Bedürfnisse einbezogen werden. Der Vorrang des Patriarchats ist ein jahrtausende alte Hammer der Ungerechtigkeit und gehört endlich überwunden !