Chronik | Verbrechen

Lebenslänglich für Elternmord

Nach einem langwierigen Gerichtsprozess wurde heute das Urteil zum Fall Benno Neumair gefällt. Das Schwurgericht entschied sich für die Höchststrafe.
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Foto: Othmar Seehauser
Der Gerichtsprozess gegen Benno Neumair, der am 4. Jänner 2021 seine Eltern Laura Perselli und Peter Neumair in der Bozner Wohnung der Familie erdrosselt hat, ist heute, am 19. November, knapp zwei Jahre später zu Ende gegangen. Das Schwurgericht, das aus zwei Berufsrichtern und sechs Laienrichter:innen besteht, hat den Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt. Zudem werden die Nebenklägerinnen Madé Neumair und Carla Perselli Schadensersatz erhalten.
 
 
Der Urteilsverkündung war die gründliche Abwägung der Argumente von Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Verteidigung vorausgegangen. Die zentrale Frage, die sich im Prozess wie ein roter Faden durch die Aussagen von Zeug:innen und psychiatrischen Gutachter:innen zog, war keine einfache: Kann eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung den Täter für ein ebenso schwerwiegendes Verbrechen wie die Ermordung beider Elternteile schuldunfähig machen? Die Verteidigung hat sich bis zuletzt für diese Auslegung eingesetzt.
 

Der letzte Prozesstag

 
Flavio Moccia, der gemeinsam mit Angelo Polo im Gerichtsverfahren Benno Neumair vertritt, betont in seinem Schlussplädoyer, wie schwierig es sei, Kinder großzuziehen. „Ich habe selbst vier und glücklicherweise hat keines davon eine psychische Störung entwickelt“, so Moccia. Dennoch seien die negativen Auswirkungen der Ungleichbehandlung der Geschwister Benno und Madé Neumair für dieses Gerichtsverfahren relevant. „Jedes Elternteil tut sein Bestes. Auch Laura und Peter taten ihr Bestes. Leider waren sie sich der Schwere von Bennos Zustand nicht bewusst.“
 
 
Auch wenn alle zu diesem Fall vorliegenden psychiatrischen Gutachten bestätigen, dass die Persönlichkeitsstörung schwerwiegend ist, hätten Staatsanwaltschaft und Nebenkläger in der Beurteilung der Schuldfähigkeit andere Schlüsse gezogen. Moccia fordert, mildernde Umstände zu gewähren – nicht nur die Persönlichkeitsstörung erfordere dies, der Angeklagte habe sich zudem nach seinem Geständnis bei der Rekonstruktion des Tathergangs kooperativ gezeigt. „Benno hat am 11. Februar spontan gestanden“, so Moccia. In dieser Woche im Februar 2021 war der Leichnam seiner toten Mutter Laura Perselli gefunden worden.
Als Urteil eine lebenslängliche Gefängnisstrafe zu verhängen, sei also nicht angemessen, zumal der Angeklagte laut Verteidigung während dem Mord des Vaters unzurechnungsfähig und während dem Mord an der Mutter nur teilweise zurechnungsfähig gewesen sein soll. „Die lebenslängliche Haft wird über Personen verhängt, die Kinder umbringen oder in der Mafia oder in Terrorismus verstrickt sind, hat Benno wirklich diese Strafe verdient“, fragt Moccia an das Schwurgericht gewandt.
 
 
Der Täter habe nach seinem Geständnis Hinweise darauf gegeben, dass sich die Leichen in der Etsch befinden, fügt Verteidiger Angelo Polo hinzu. Es müsse also von keiner Leichenbeseitigung, sondern von einer Leichenverbergung die Rede sein. Die Verteidigung fordert daher das Minimum an Haftstrafe und eine angemessene Sicherungsverwahrung, die Benno Neumairs psychischem Zustand und Gefährlichkeit entspricht.
Nach einigen Schlussbemerkungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung zieht sich das Schwurgericht zur Urteilsfindung für mehrere Stunden zurück. Gegen 17:30 Uhr verkündet das Schwurgericht das Urteil: „Der Angeklagte wird als schuldfähig erachtet und ihm wird die lebenslange Freiheitsstrafe erteilt. Ein Jahr davon muss er in Einzelhaft ableisten.“ Benno Neumair wird auch zu einem Schadensersatz von 80.000 Euro an seine Tante Carla Perselli und 200.000 Euro an seine Schwester Madé Neumair verurteilt, beide waren Nebenkläger im Prozess. Auch die entstanden Prozesskosten werden von ihm übernommen werden müssen.
 
 
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Ida Heller Sa., 19.11.2022 - 21:19

Meiner Meinung nach ein zu hartes Urteil, da dieser Mann NUR verrückt sein kann. Ein lebenlang wegsperren ist angemessen...aber nicht im Knast, sondern in eine geschlossenen Psychiatrie.

Sa., 19.11.2022 - 21:19 Permalink
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Josef Fulterer So., 20.11.2022 - 05:39

Antwort auf von Ceterum Censeo

Kein Wunder wenn die italienische Gerichtsbarkeit den zweifelhaften Ruf hat, zu langsam und so träge zu sein, dass Rechtsbrecher die es sich leisten können, mit der Verjährung vor den Folgen ihrer Missetaten bewahrt werden, wenn sie bei einem geständigen Täter so viele Sitzungen braucht, um zu einem Urteil zu kommen.

So., 20.11.2022 - 05:39 Permalink
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gorgias So., 20.11.2022 - 05:23

Antwort auf von Ida Heller

Der Mann ist sicher nicht NUR verrückt, er hatte niederträchtige Motive, die einer bestimmten Planung und Logik folgen. Er wollte das Geld und war dafür bereit seine Eltern zu ermorden. Es gibt genug Menschen, die so was ohne psychische Störung hinkriegen und nur moralisch degeneriert sind.

So., 20.11.2022 - 05:23 Permalink
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△rtim post So., 20.11.2022 - 10:39

Vergeltungsjustiz eben.
In Italien gilt verfassungsmäßig hingegen eigentlich auch Rehabilitierung der straffälligen Person. Der Europarat empfiehlt seinen Mitgliedsländern sogar Wiedergutmachungsjustiz,Restorative-Justice-Programme.
Unvertändnis daher, dass man dem Verurteilten, so wie es seine Verteidiger Moccia angeregt hat, nicht zumindest eine Therapie auferlegt oder Methoden und Chancen sich mit der Straftat auseinander zu setzen aufgezeigt hat.

So., 20.11.2022 - 10:39 Permalink
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Stefan S So., 20.11.2022 - 14:44

Antwort auf von Peter Gasser

„Wiedergutmachungsjustiz“ ist hier die falsche bzw. irreführende Wortwahl.
Letzendlich geht es um die Prognose und Begutachtung der Resozialisierungmöglichkeiten solcher Straftäter.
In D gibt es im Strafvollzugsgesetz die Resozialisierung als Vollzugsziel.
Zwischen Resozialisierung und der Vollzugsaufgabe Sicherung besteht ein Zielkonflikt, der unter Beachtung des Vorranges des Vollzugszieles zu lösen ist. Im Vordergrund sollte aber die Vorzugsstellung des Schutzes der Bevölkerung vor neuen Straftaten der bereits verurteilten Straftäter stehen.
Hohe Wellen schlägt das Thema in jüngster Vergangenheit z.B. beim Mißbrauchsprozess von Lüdge aber auch in Norwegen im Fall Breivek. In diesen Fällen wird dann auch eine lebenslange Sicherheitsverwahrung angeordnet welche in regelmäßigen Abständen zu prüfen ist.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/norwegen-anders-…

So., 20.11.2022 - 14:44 Permalink
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△rtim post So., 20.11.2022 - 19:10

Antwort auf von Peter Gasser

@Peter Gasser: Restaurative Justiz heißt ja nicht, wie Sie meinen, dass Dinge ungeschehen gemacht werden können. Das kann aber auch Rache und Vergeltung nicht.
Es gibt auch Angehörige die Opfer sind. Das sollten Sie nicht vergessen.
Aus der Forschung/Erfahrung zur restaurativen Justiz bzw. Wiedergutmachungsjustiz ist bekannt, dass restaurative Dialoge helfen können. Zumal Opfer oft Fragen haben, die nur die Täter beantworten können.

So., 20.11.2022 - 19:10 Permalink
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Peter Gasser So., 20.11.2022 - 19:35

Antwort auf von △rtim post

Darf ich richtigstellen, dass in meinem Kommentar nichts von „ungeschehen machen“ steht: niemand kann den Zeiger der Zeit zurückdrehen.
Wieso soll ein Gerichtsurteil mit richterlicher Strafe für Mord „Rache oder Vergeltung“ sein? Es ist ganz einfach die dafür und schon vor der Tat vorgesehene Konsequenz - die der Täter kannte.
Im übrigen stimme ich Ihnen zu, dass „Wiedergutmachungs-Justiz“ sinnvoll und gut ist, sofern freiwillig von Täter und Opfer(-Umfeld) gewollt, und sinnvoll für beide und die Gesellschaft.

Aber auch dann bleiben STRAFtaten Verbrechen, welche Sühne fordern und gesellschaftlicher Abschreckung bedürfen: besonders dann, wenn von den Straftätern dauerhafte Gefahr für die Gesellschaft und den Mitbürger ausgeht.

Leider stimmt die menschliche Art nicht mit der Titelseite der Zeitschrift der Zeugen Jehovas überein, in der der Löwe neben der Gazelle grast...

So., 20.11.2022 - 19:35 Permalink
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Ludwig Thoma So., 20.11.2022 - 20:31

Antwort auf von Peter Gasser

Wenn Strafe der "gesellschaftlichen Abschreckung" dienen würde, dann müsste doch in Ländern die die Todesstrafe vorsehen, die Mordrate niedriger sein als in Ländern ohne Todesstrafe.
Und was genau dadurch erreicht werden soll, in dem Straftaten "Sühne fordern", bzw. wer genau dadurch was für eine Genugtuung erreicht, bleibt unklar.

So., 20.11.2022 - 20:31 Permalink