Das neue Gesicht des Jazz
Die Dekadenz in Brixen hat eine lange Geschichte hinter sich und sie stammt, mit einer Hand voll anderer wichtigen Einrichtungen aus einer Zeit des kulturellen (und damit zusammenhängend gesellschaftlichen) Aufbruchs in Südtirol. Das liegt freilich Jahrzehnte zurück, aber die Wichtigkeit solcher Einrichtungen hat nicht abgenommen. Oder anders gesagt: Südtirol und die Kultur in Südtirol hat seit den frühen Achtzigern zwar zur Gegenwart einigermaßen aufgeschlossen, aber gerade um den Anschluss nicht zu verlieren, um den einen Fuß vielleicht sogar etwas in die nähere Zukunft zu strecken, dafür sind derlei Einrichtungen notwendig, um Entwicklungen und Möglichkeiten Platz zu bieten.
Die Dekadenz verfolgt seit langem im Wesentlichen zwei Stränge: Kabarett und Kleinkunst auf der einen Seite, Jazz und angrenzendes musikalisches Terrain auf der anderen. Seit wenigen Jahren hat Anna Heiss die Planung des ersten Stranges in ihren Händen, für den zweiten Strang, Jazz im weiten Sinne wie gesagt, der ursprünglich aus Mittewald stammende und in Brixen lebende Max von Pretz.
Max von Pretz ist selbst Musiker, er ist Pianist und spielte u.a. in der Rockabilly/Rock'n'Roll-Band Bad Experience. Wesentlich dafür, dass er die künstlerische Leitung der Jazz-Schiene in der Dekadenz von Norbert Dalsass übernommen hat, der in den vergangenen Jahrzehnten mit beständiger Regelmäßigkeit Jazz nach Brixen geholt hatte, ist aber die Tatsache, dass von Pretz seit Jahren fest in der Organisation des Südtirol Jazzfestival involviert ist. Seit 2015 ist er dort Produktionsleiter und, ganz aktuell, nachdem Klaus Widmann mit 2022 als Festival-Leiter zurückgetreten ist, kümmert sich von Pretz seit 2023 gemeinsam mit Stefan Festini Cucco und Roberto Tubaro um das gesamte Booking und die künstlerische Leitung des Festivals. Durch diese Erfahrung hat er nicht nur den Überblick über das, was europaweit und darüber hinaus passiert, sondern ist auch entsprechend gut vernetzt.
Wie es ihm denn ginge als Nachfolger von Dalsass, haben wir ihn bei einem Kaffee im Herzen von Brixen gefragt:
„Eigentlich gut. Mit 2023 startet mein zweites ... oder drittes ... volles Jahr.”
Dass sich der Wechsel nicht ganz so leicht definieren lässt hat damit zu tun, dass Corona dazwischen kam und die Dekadenz u.a. versuchte, dieser schwierigen Zeit mit Live-Streams und später mit einem gezwungenermaßen reduzierten Programm zu begegnen. Womit für ihn 2022 eigentlich das erste richtige volle Jahr als Programmgestalter war.
„Es sind natürlich Riesen-Fußstapfen die ich füllen muss, aber es hat mich natürlich sehr gefreut, als Norbert mich gefragt hat, ob ich Interesse hätte. Ich musste da nicht zwei Mal überlegen und habe sofort zugesagt.”
Wie wählt Max von Pretz das Programm für die Dekadenz aus? Die Antwort auf diese Frage ist angenehm ehrlich, weil der persönliche Geschmack, die persönlichen musikalischen Vorlieben natürlich zum Zuge kommen. Von Pretz:
Ich buche nie etwas was mir nicht gefällt.
„Ich höre natürlich sehr viele unterschiedliche Sachen und bin vielleicht eher in den undergroundigeren Geschichten unterwegs, die für eine Dekadenz vielleicht zu schwierig sein können. Man muss da auch auf das Publikum schauen, aber ich buche nie etwas was mir nicht gefällt. Ich versuche da ein Gleichgewicht zu erreichen und auch Sachen zu bringen, die die Leute auch triggern, die anspruchsvoll sind. Es gibt natürlich auch einfachere Sachen, aber es darf nie banal sein, das ist meine Absicht.”
Bis Mai werden in der aktuellen Eventreihe sieben Jazzkonzerte in der Dekadenz zu erleben sein. Es beginnt mit dem nächsten Donnerstag, 19. Jänner 2023, mit dem Konzert des Duos Hofmaninger/Schwarz und endet am Donnerstag, 18. Mai 2023, mit der Formation von Christoph Pepe Auer. Von Pretz pickt aus diesem sieben Konzerten zwei hervor:
„Worauf ich mich persönlich wirklich sehr freue ist Dsilton wieder einmal live zu hören. Georg Vogel ist ein totaler Musiknerd, ein Tüftler, der sich in seiner Garage das Clavitone gebaut hat, mit dem er als Pianist Vierteltöne spielen kann. Auch der Gitarrist spielt eine 9-Ton-Gitarre und der Schlagzeuger muss zusehen, wie er es durch diese total polyrhythmischen Stücke schafft. Es war ein sehr interessantes Gefühl, als ich sie zum ersten mal gesehen habe, es war schön aber dennoch fühlte man sich irgendwie nicht ganz wohl. Deswegen freue ich mich sehr darauf, sie wieder zu sehen.”
Wer die Homepage der Dekadenz nicht nur überfliegt, sondern sie auch „liest”, dem mögen die beiden Reiter „Feministisch” und „LGBTQIA+” bereits ins Auge gefallen sein. Es ist demnach auch kein Zufall, dass drei der sieben Konzerte von Musikerinnen bestritten werden. Von Pretz bestätigt:
„Ich bemühe mich auf jeden Fall tolle Bandprojekte zu finden und zu zeigen, wo Bandleaderinnen und Musikerinnen dabei sind. Das mache ich ganz bewusst. Es gibt so viele tolle Sachen, manchmal fernab vom Mainstream und es ist genau das, was ich suche. Wenn man sich da ein bisschen Mühe gibt, dann tut sich da eine riesige Welt auf, in der es viele tolle Frauen gibt, die Projekte machen. Vor allem im Jazz passiert da sehr viel. Vor allem durch das europäische Jazz-Network, einem der größten Jazz-Netzwerke der Welt, geschieht eine wahnsinnig tolle Sensibilisierungsarbeit, Bei jedem Treffen gibt es einen ‚Gender Balance'-Workshop, es gibt im Jazz inzwischen ganze Plattformen, die man dem ‚alten weißen Mann' als künstlerischen Leiter entgegenhalten kann, wenn dieser behauptet, es gäbe keine Frauen für sein Programm.”
Die von Anna Heiss gestaltete Schiene „Kleinkunst” enthält natürlich auch Musik: Corinne Amrand zum Beispiel, oder Opas Diandl mit ihrem neuen Konzertprogramm „strömen“, mischen sich sehr gut mit dem, was Max von Pretz bucht, weil es Schlaglichter in die Gegenwart sind und Richtung morgen schauen.
All das mag eine Rolle spielen, wenn Max von Pretz, gefragt nach einer möglichen Veränderung im Publikum nach der Corona-Zeit, antwortet:
„Was ich beim Jazz in der Dekadenz feststelle ist, dass immer mehr junge Leute kommen, junge Leute im Alter von unter 25, die vielleicht zu zweit, zu dritt ins Konzert kommen. Mit scheint, als fände eine Verjüngung im Publikum statt. Ich nehme eine Lust auf Experiment und Kreativität wahr, und das freut mich wirklich sehr, das gibt mir Hoffnung und bestätigt uns.”
Links:
Das aktuelle Programm der Dekadenz Brixen: https://www.dekadenz.it/de/aktuelle-spielzeit.html
Liebes Dekadenz-Team,
Liebes Dekadenz-Team,
durch gute und schlechte Zeiten gibt es bei Euch immer was Spannendes zum lauschen und zum lachen. Ohne Euch wäre das kulturelle Leben sehr viel einödiger! Vielen Dank für Euren Einsatz!