Umwelt | Transit
Anarchie und Faustrecht
Foto: Othmar Seehauser
„Unser Kampf auf dem Brenner startet in Bozen. In einer Welt, die sich immer schneller dreht, können unsere Fimen und Betriebe nicht still stehen“, ließ gestern (3. Februar) Dario Costantini, Präsident der italienischen Handwerkerverbandes CNA in einer Pressemitteilung verlauten. Costantini folgt damit der Linie des italienischen Verkehrsministers Matteo Salvini, der sich auf europäischer Ebene gegen die Tiroler Fahrverbote zur Wehr setzen will und angekündigt hat, ein Vertragsverletzungsverfahren einzureichen bzw. sogar auf den Brenner zu marschieren.
Um diese „unerträgliche Situation, diese andauernden Beschimpfungen und Diskreditierungen des Bundeslandes Tirol sowie der Republik Österreich dauerhaft“ hintanzustellen, haben das Transitforum Austria und sein Sprecher Fritz Gurgiser der zuständigen österreichischen Bundesministerin Leonore Gewessler ein geharnischtes Schreiben zukommen lassen. Darin wird die Ministerin aufgefordert, den Sachverhalt auf europäischer Ebene klarzustellen sowie den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer und die Ministerkollegen darüber zu informieren. Gurgiser bezeichnet in diesem Brief, welcher auch der Presse übermittelt wurde, das Verhalten des italienischen und deutschen Verkehrsministers sowie einzelner Damen und Herren des EU-Parlaments als europarechtswidrig. Diese würden die zuständigen Behörden zum Amtsmissbrauch verleiten und fordern, die Brennerstrecke für den Lkw-Transit freizugeben – „Anarchie und Faustrecht anstelle von Rechtsstaat“.
Das Land Tirol als auch die Republik Österreich werden massiv diskreditiert und als ‚Schurkenstaaten‘ hingestellt, die Europarecht brechen.
„Seit Jahren werden dem Land Tirol sowie der Republik Österreich in der Transitproblematik ‚europarechtswidriges Verhalten‘ vorgeworfen; vornehmlich von Frächterverbänden aus Nord und Süd. Nunmehr gibt es eine neue Dimension, indem sich die Verkehrsminister aus Italien und Deutschland sowie EU-Abgeordnete diesen absurden Vorwürfen anschließen. Damit werden sowohl das Land Tirol als auch die Republik Österreich massiv diskreditiert und als ‚Schurkenstaaten‘ hingestellt, die Europarecht brechen“, schreibt Gurgiser. Der Transit-Gegner verweist dabei auf das Tempolimit von 100 km/h und die Lkw-Fahrverbote, die auf Basis des Immissionsschutzgesetzes-Luft (IG-L) erlassen worden waren, wie Nachtfahrverbot, sektorales Lkw-Fahrverbot und Euroklassenfahrverbot. Diese Maßnahmen hätten eine maßgebliche Reduzierung der NO2-Belastung um mehr als 90 Prozent im Zeitraum von 2001 bis 2021 bewirkt und nachweislich gegriffen, ohne den Lkw-Transit auch nur minimal einzuschränken – denn im gleichen Zeitraum konnte der Transit-Verkehr um 66 Prozent zunehmen. „Das ist europaweit einzigartig und die beiden Verkehrsminister sollten sich bei der Tiroler Zivilgesellschaft, dem Land Tirol und der Republik Österreich dafür bedanken, anstatt uns alle zu diffamieren und diskreditieren“, so Gurgiser. Auch die Lkw-Blockabfertigung stelle lediglich die „Leichtigkeit, Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs“ für alle Verkehrsteilnehmer sicher.
Transittreiber
Heftige Kritik übt das Transitforum an den „Transittreibern Deutschland und Italien“, die am Beispiel der Maut-Gebühren nicht auf kostendeckende Tarife setzten. Zwar würden die Straßenschäden im gesamten hochrangigen europäischen Straßen-Netz hauptsächlich vom Schwerverkehr verursacht, zur Kasse gebeten werden jedoch alle Autofahrer bzw. Steuerzahler. Anhand eines alpenweiten Vergleichs der Maut-Tarife auf den Hauptverkehrsachsen zeigt das Transitforum auf, dass Niedrigstmauten eine der Hauptursachen für den hohen Umwegverkehr von rund einer Million Transit-Lkw auf der Brennerroute darstellen.
„Für die Alpenkonventionsstrecke Rosenheim – Verona gelten nationale und internationale Schutznormen aus der Straßenverkehrsordnung, den Durchführungsprotokollen der Alpenkonvention, den europäischen Luftreinhaltegüterichtlinien und dem Europarecht – sie sind eins zu eins umzusetzen, denn jeder Schutz der privaten und betrieblichen Anrainerschaft ist eine höheres Gut als der geforderte ‚Transitterror rund um die Uhr durch eine der schönsten alpinen Regionen‘“, so Gurgiser, der von der österreichischen Bundesregierung fordert, die Angriffe auf den Rechtsstaat und die Rechtsordnung zu beenden.
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Und mir kommt vor, die
Und mir kommt vor, die Frächterverbände haben im obersten Stock der Bozner Handelskammer einen starken Verbündeten...
...immer wieder das alte
...immer wieder das alte Spiel, Vorrang der Wirtschaft gegenüber der Gesundheit!
Italien hat, wie üblich,
Italien hat, wie üblich, jahrzente lang die Lösung der Verkehrsproblematik über den Brenner ignoriert bzw. aufgeschoben. Jetzt wo es ernst wird versucht man wieder das ganze eskalieren zu lassen um Notlösungen durchzuboxen.
Wenn sich italienische und
Wenn sich italienische und deutsche Rechte einig sind, dann wird es für (Süd)-Tirol gefährlich.
Antwort auf Wenn sich italienische und von Hartmuth Staffler
Sozusagen auf der Achse nach
Sozusagen auf der Achse nach Rom + Berlin!
:-)
Südtirol und das Trentino
Südtirol und das Trentino haben das Transitforum in den letzten Jahren eher nur halbherzig unterstützt. Da war Nachhaltigkeit noch nicht en vogue.
Antwort auf Südtirol und das Trentino von Dietmar Nußbaumer
Leider überhaupt nicht,
Leider überhaupt nicht, obwohl unser Engagement die Schadstoffe auch an der A22 um mehr als 90 % (!) reduziert hat. Wenn es um notwendige Zusammenarbeit geht, stehen am Brenner immer noch die Grenzbalken wie bis 1989. Gerade so, als ob die Anrainerschaft an der A22 immun gegen die vielfältigen Belastungen wäre. LG Fritz Gurgiser
Die Handelskammer hat
Die Handelskammer hat natürlich die Aufgabe die Interessen des "Handels" zu vertreten. Und das betrifft natürlich auch die Frächter-Lobby. Zudem muss den Frächtern zugute gehalten werden, dass sie mit der steten Erneuerung ihrer Fuhrparks (auch LNG + Euro6+) auch zur Schadstoffreduzierung beigetragen haben. Gezwungenermaßen!
ABER, es liegt an uns Bürgern und an unserer gewählten Vertretung dem MEHR klar entgegen zu treten. Die EU selbst hat genügend Gesetze erlassen, die eigentlich die Staaten verpflichten gewisse Normen und Werte einzuhalten. Österreich und speziell Nordtirol versuchen das mindestens.
Somit gibt es ja eigentlich gar keine EU-kompatible Grundlage, hier auch nur einen Beistrich aufzuweichen.
Wie es geht, hat Nordtirol oft aufgezeigt und umgesetzt. Wenn wir hier in Südtirol, weniger LKW-Kolonnen (aufgrund von Verboten, nördlich) und weniger Schadstoffe wollen, dann müssen die Verbotszonen ganz einfach etwas in den Süden verlegt werden.
Die Frächter werden sich zu organisieren wissen. Blöd sind die ja nicht! ... LNG, Wasserstoff, Zug-Huckepack ... Und wir (Politik, EU und Gesellschaft) auf der anderen Seite sollten auch nicht doof sein: Faire Maut (also teuerer), Verbot von unnützen Hin-und Her-Transporten, Ausdehnung der Verbote von Müll und Schrott-Frachten, ...
p.s. Die Süd-Nord-Waren-Achse wird weiter wachsen, nachdem China in Griechenland die Frachthäfen aufkauft und ausbaut. Mitteleuropa ist damit schneller erreichbar als über Rotterdam.
Antwort auf Die Handelskammer hat von Klemens Riegler
Richtig, und weil die
Richtig, und weil die Chinesen bereits in den Häfen sind, wollen die Frächterverbände FREIE FAHRT RUND UM DIE UHR über den Brenner, um diese "Made in China"-Produkte im gesamten Binnenmarkt zu verteilen. Die Forderung ist für einen Frächterverband legitim, niemals aberfür die Politik. Die hat SELBST national und international Schutzregeln geschaffen, zu deren Bruch sie nun aufrufen. Und da kann es von uns nur eines geben: Die ROTE Karte.
Fritz Gurgiser