Gesellschaft | Pressefreiheit

Heute trifft es uns und morgen …

Wer wird kritisch über die Wahrheit berichten, wenn die Pressefreiheit nicht mehr ist als eine leere Worthülse?
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Foto: Othmar Seehauser
Was passiert, wenn die Pressefreiheit bedroht wird? Wenn Journalisten und Herausgeber von Medien mit Klagen und Drohungen mundtot gemacht werden sollen? Welche Auswirkungen wird es auf unser Land haben, wenn die Deutungshoheit über die Geschehnisse in einer Hand konzentriert ist? Welche Auswirkungen wird das auf unsere Gesellschaft, auf unsere Demokratie haben? Was wird passieren, wenn niemand mehr da ist, der kritisch hinterfragt?
 
 
Was wird passieren, wenn niemand mehr da ist, der kritisch hinterfragt?
 
 
Am 9. Februar 2023 hat die Genossenschaft Demos 2.0, Herausgeber des Online-Portals Salto.bz, eine Schadenersatzforderung zugestellt bekommen, und zwar wegen vermeintlicher Verleumdung. In der heutigen (6. März) Pressekonferenz haben Max Benedikter, Präsident des Verwaltungsrates der Genossenschaft Demos 2.0, Chefredakteur Fabio Gobbato, Hans-Magnus Egger, Mitglied des Verwaltungsrates der Genossenschaft Demos 2.0 und Anwalt von Salto.bz, sowie der Strafverteidiger Nicola Canestrini die Hintergründe dazu offengelegt.
 
 
 
 
 
 
„Was wir heute bekannt machen, geht uns alle an: Es geht alle Journalisten an, denn wir sprechen heute über Pressefreiheit, es geht alle Bürger an, denn wir sprechen über eine Grundsäule der Demokratie, und es geht die Politik etwas an, denn wir sprechen über Interessenskonflikte“, fasste Max Benedikter die Situation zusammen. Die „trockene“ Nachricht dabei lautet, dass die Athesia AG, die Athesia Druck GmbH und Michl Ebner von der Genossenschaft Demos 2.0 und dem Journalisten Christoph Franceschini die Summe von 150.000 Euro fordern. Begründet wird diese Klage mit übler Nachrede bzw. ist sogar von „stalking mediatico“ die Rede - offenbar ein neuer juridischer Begriff. Für heute Nachmittag wäre zwar ein Mediationsverfahren geplant, „aber wie es aussieht, handelt es sich dabei um eine reine Formalität“, so Benedikter, der betonte: „Genau aus diesem Grund haben wir vorab beschlossen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren. In Wahrheit ist Salto.bz nämlich Gegenstand einer strategischen Klage, um eine kritische Berichterstattung sowohl in Südtirol als auch der gesamten Region vor den Landtagswahlen zu verhindern - und um uns einzuschüchtern.“ Gemeinsam mit allen anderen Medien müsse man deshalb die Pressefreiheit verteidigen, „denn heute trifft es uns und morgen vielleicht jemanden von euch.“
 
 
In Wahrheit ist Salto.bz nämlich Gegenstand einer strategischen Klage, um eine kritische Berichterstattung sowohl in Südtirol als auch der gesamten Region vor den Landtagswahlen zu verhindern - und um uns einzuschüchtern.“
 
 
Wie der Präsident des Verwaltungsrates erklärte, sei Salto.bz vor mittlerweile zehn Jahren mit dem Ziel gegründet worden, Journalisten und Journalistinnen eine professionelle Redaktionsarbeit zu ermöglichen, gestärkt durch einen juridischen wie auch „psychologischen“ Rückhalt. In den vergangenen Jahren sei es gelungen, eine tolle Redaktion aufzubauen, in der mittlerweile neun Redakteure und Redakteurinnen, fünf Mitarbeiter im Back-Office und rund 50 freie Mitarbeiter beschäftigt sind. „Salto.bz ist eine besondere Geschichte, es ist eine Erfolgsgeschichte“, so Benedikter, der erläuterte, dass Demos 2.0 mittlerweile zu einem erfolgreichen Unternehmen geworden sei. Die vergangenen zehn Jahre waren jedoch gekennzeichnet von einer extrem aggressiven Markt-Strategie, „bei welcher ein Platzhirsch den Zugang zum Werbemarkt mit allen Mitteln verzerrt. Doch diese Aktion bringt das Fass zum Überlaufen.“ Lag man bis vor Kurzem noch unter der „Wahrnehmungsgrenze“, so sei man inzwischen zu einem gefürchteten Mitstreiter geworden, dem es gelingt, den Ruf der mächtigsten Herausgeberfamilie anzukratzen. „Wir lassen uns unsere Arbeit nicht kaputt machen und deshalb würden wir uns wünschen, dass alle Parteien, Kulturschaffenden, Verbände und Wirtschaftstreibenden in unserem Land den Mut finden, sich zum Thema Pressefreiheit zu positionieren und zu verlangen, dass diese Klage zurückgezogen wird“, so Benedikter.
 
 
 
 
 
„Michl Ebner und der Athesia-Konzern fühlen sich von Salto.bz gestalkt“, so Fabio Gobbato, Chefredakteur des Online-Portals. Es geht dabei um 58 Artikel, die in den vergangenen vier Jahren veröffentlicht worden sind und in denen die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe rund um den Athesia-Konzern, die Südtiroler Handelskammer, deren Präsident Michl Ebner seit 15 Jahren ist, und das Medienmonopol in der Region Trentino-Südtirol nachgezeichnet werden. Beanstandet wurden weiters Interviews mit Südtiroler Politikerinnen und Politikern wie beispielsweise SVP- Senatorin Julia Unterberger oder PD-Senator Luigi Spagnolli, Journalisten oder Verbraucherschützer, die sich kritisch mit dem Wirken des Medienhauses Athesia auseinander gesetzt haben. Verfasst wurden die Artikel von Fabio Gobbato, Lisa Maria Gasser, Christoph Franceschini, Paolo Ghezzi und Wolfgang Mayr.
 
 
Michl Ebner und der Athesia-Konzern fühlen sich von Salto.bz gestalkt.
 
 
„Wir wollen keine Opfer-Haltung einnehmen, uns aber auch nicht als Helden aufspielen“, erklärte Gobbato. Man wolle sich allerdings auch nicht kampflos ergeben und sich gegen diesen massiven Einschüchterungsversuch zur Wehr setzen. Dabei sei man sich dessen wohl bewusst, dass mit der Klage gegen Salto.bz offenbar ein Exempel statuiert werden sollte. Diese Taktik werde neuerdings als „SLAPP“  bezeichnet bzw. handelt es sich dabei um eine strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung, die den Zweck verfolgt, Kritiker einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden. „Wir werden weitermachen, so wie wir es bisher getan haben“, versicherte der Chef-Redakteur den zahlreich erschienenen Pressevertretern aus dem In- und Ausland.
 
 
Wir werden weitermachen, so wie wir es bisher getan haben.
 
 
Hans-Magnus Egger, Mitglied des Verwaltungsrates der Genossenschaft Demos 2.0 und Anwalt von Salto.bz, erläuterte den rechtlichen Kontext der Klage, die von Michl Ebner in eigener Sache sowie von der Athesia AG und der Athesia Druck GmbH gegen Salto.bz und den Journalisten Christoph Franceschini vorgebracht wurde. „Die Tatsache, dass 58 Artikel aus den vergangenen vier Jahren beanstandet werden, hat etwas Außerordentliches, Unerhörtes und zutiefst Bedenkliches“, so Egger, der erklärte, dass jeder das Recht habe, sich gegen eine verleumderische Berichterstattung zur Wehr zu setzen. In der Regel wird dies allerdings über eine Richtigstellung vollzogen, weiters über einen Strafantrag oder über eine Zivilklage. „Im vorliegenden Fall werden nicht einzelne Begriffe, ein Titel, eine konkrete Aussage, Passagen oder ein Artikel beanstandet, sondern es geht um die Berichterstattung über eine Person und eine Unternehmensgruppe. Es geht um eine Flut von Artikeln von unterschiedlichen Autoren, unterschiedlichen Formaten und zu unterschiedlichen Themen“, erklärte Egger.
 
 
 
 
In seiner Brandrede zur Verteidigung von Salto.bz und der Pressefreiheit ging der bekannte Star-Anwalt Nicola Canestrini auf die rechtlichen Rahmenbedingungen ein, die auf der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie auf der europäischen und italienischen Verfassung fußen. „Kritik ist die Würze einer jeden Demokratie“, so Canestrini, der die strategische Bedeutung von SLAPP-Klagen erläuterte. Im Wesentlichen soll damit ein Meinungsbildungs- und Beteiligungsprozess am öffentlichen Leben verhindert werden. Ziel dieser Klage sei nicht, sich gegen erlittenes Unrecht zu wehren, sondern mögliche Kritik zu einem Thema verstummen zu lassen.
 
 
Kritik ist die Würze einer jeden Demokratie.
 
 
Mit dieser Strategie trifft man allerdings nicht nur die Berichterstatter, sondern alle Menschen, die sich als Verteidiger der Menschenrechte sehen - als „Human right defenders“. Die Tatsache, dass mit dieser Klage die freie Berichterstattung einer Redaktion geknebelt werden soll, sei mehr als nur besorgniserregend, so Canestrini, der betonte, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung ein unumstrittenes Recht eines jeden Journalisten und einer jeden Journalistin sei. „Ohne dieses Recht kann auch unsere Demokratie nicht funktionieren.“