Politik | Politbarometer

Uneinsichtigkeit und Egozentrismus

Gut ein halbes Jahr ist es noch  hin bis zu den Landtagswahlen. Salto.bz hat den renommierten Politikwissenschaftler Hermann Atz nach seiner Einschätzung gefragt.
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Foto: SWZ/Apollis
Der Physiker und Politikwissenschaftler Hermann Atz ist Gesellschafter und wissenschaftlicher Co-Leiter des Instituts für Sozialforschung und Demoskopie „Apollis“, das in regelmäßigen Abständen im Auftrag der Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) repräsentative Umfragen unter der wahlberechtigten Bevölkerung in Südtirol durchführt. 
 
Salto.bz: Aus der aktuellen Umfrage geht hervor, dass die SVP im Vergleich zur letzten Umfrage aufgeholt hat und mit rund 40 Prozent rechnen kann. Möglicherweise könnte die SVP sogar ihre 15 Sitze im Landtag behalten?
 
Hermann Atz: Das halte ich durchaus für möglich bzw. wird es mit Sicherheit keinen Absturz auf zehn Sitze geben.
 
Ein hoher SVP-Repräsentant erklärte mir kürzlich, dass allein aufgrund der Sterbedaten – die Edelweiß-Partei wird vor allem von der älteren Generation gewählt – die SVP bei jeder Landtagswahl mit dem Verlust von mindestens einem Mandat rechnen muss, weil sinngemäß die Wähler wegsterben. Teilen Sie diese Meinung bzw. wie ordnen Sie diese ein?
 
Da wurde tatsächlich ein ernstes Problem angesprochen, das etablierte Parteien wie die SVP haben  – Ähnliches gilt zum Beispiel auch für den PD. Aber es ist halt nur ein Faktor unter vielen, und die SVP hat natürlich die Möglichkeit, neue Wählerschichten zu gewinnen – oder auch nur davon zu profitieren, dass junge oder sehr enttäuschte Wahlberechtigte gar nicht mehr an Landtagswahlen teilnehmen – ein Phänomen, das man in vielen Ländern beobachten kann.
 
 
 
 
 
Es stellt sich die große Frage nach dem Koalitionspartner. Was glauben Sie?
 
Die SVP muss sich zwischen grün-links und rechts entscheiden. Wenn beides gleich gut zu haben wäre, tendiert die SVP meiner Einschätzung nach eher nach rechts bzw. verfolgt sie
eine wirtschaftliche Ausrichtung und tendiert weniger in Richtung einer ökologischen Wende.
 
Das Team K, bei den letzten Wahlen immerhin die zweitstärkste Kraft, wird bei allen Spekulationen rund um eine mögliche Koalition außen vor gelassen. Keine interessante Variante?
 
Für die SVP ist das die letzte Option, auf die man sich einlassen würde. Und das Team K kann dabei längerfristig nur verlieren: Als Junior-Partner kann man die Regierungspolitik nur zu einem kleinen Teil mitbestimmen, gleichzeitig verliert man den Flair einer Oppositionskraft, die alles besser machen würde.
 
 
Koalition mit dem Team K? Für die SVP ist das die letzte Option, auf die man sich einlassen würde.
 
 
Provokant gefragt: Warum nicht die besten Köpfe jeder Partei nehmen und die Positionen mit den qualifiziertesten Personen besetzen?
 
Das würde in gewisser Weise dem Schweizer Modell entsprechen. In den sogenannten Konzentrationsregierungen werden die Ämter mit den profiliertesten politischen Vertretern der verschiedenen Parteien besetzt. Die Miteinbeziehung aller politischen Kräfte hat aber ihren Preis, der darin besteht, dass ein gewisser Immobilismus entsteht. Das heißt, dass noch mehr Zeit in eine Entscheidungsfindung investiert wird, weil auf alle Rücksicht genommen werden muss. Es wird zwar ein breiterer Konsens und ein besserer Kompromiss gefunden, der Nachteil ist allerdings, dass der hohe Zeitaufwand in unserer immer schnelllebigeren Welt zu einem echten Problem wird.
 
Ihrer Umfrage zufolge punktet die SVP nicht nur bei der älteren Wählerschaft, sondern auch bei der jüngeren Generation. Liegt der Grund dafür in der politischen Ausrichtung von Landeshauptmann Arno Kompatscher, der sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat.
 
Es stimmt, dass die SVP auch in der jüngeren Generation Zuspruch erntet, allerdings ist die Zustimmung bei der älteren Generation im Verhältnis größer. Über die Ursachen kann ich nichts sagen, denn diesen Fragen sind wir nicht nachgegangen. Wir können nur feststellen, dass dem so ist. Die Gründe dafür sind nicht so einfach auszumachen, dafür bräuchte es eine eigene gezielte Recherche.
 
Seit einiger Zeit kann man beobachten, dass sich beinahe jede Presseaussendung von Verbänden und Parteien, die sich Umweltthemen annehmen, auf die Klimaziele der Landesregierung als Referenzpunkt bezieht, um die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzuzeigen, nach dem Motto „Verkehrsreduzierung ja, aber neue Straßen bauen“ oder „Stopp dem Massentourismus, aber neue Seilbahnen bauen“. Könnte dieser offensichtliche Widerspruch zu einem Problem für die SVP bei den nächsten Wahlen, insbesondere für Landeshauptmann Kompatscher, werden?
 
Natürlich möchte jeder an dieses Thema andocken und fordert von der Landesregierung, dass sie ihre Versprechen einlöst. Kann das zu einem Problem werden? Wähler, denen diese Themen wirklich ein ganz großes Anliegen sind, werden Kompatscher nicht wählen und jene, die ihn wählen, nehmen es nicht ganz so genau.
 
Die Wähler können also sehr wohl zwischen Anspruch und Pragmatismus unterscheiden?
 
Viele Wähler teilen das Ambivalente nach dem Motto: Klimaschutz ist wichtig, aber es darf meine Lebensgewohnheiten nicht allzu sehr stören.
 
 
 
 
Im Interview mit der Südtiroler Wirtschaftszeitung erklärten Sie kürzlich, dass eine „Grundverärgerung“ nur in einem kleinen Teil der Südtiroler Bevölkerung herrscht. Woraus leiten Sie das ab?
 
Wir haben mehrere Umfragen durchgeführt, bei welchen die Teilnehmer unter anderem auch nach ihrer Zufriedenheit befragt wurden bzw. danach, wo sie Probleme ausmachen. Laut Umfrageergebnisse ist eine Mehrheit stets zufrieden und nur eine Minderheit – wie groß oder klein diese ist, darüber kann man streiten – glaubt, dass alles schlecht sei, in der Politik nicht gut gearbeitet würde und die Politiker selbst nur auf sich bedacht seien und sich die Situation zunehmend verschlechtern würde. Jedenfalls handelt es sich hier nur um einen relativ kleinen Teil.
 
Lässt sich aus den Umfragen schließen, wie groß diese Gruppe der „Unzufriedenen“ ist? Sind es fünf Prozent oder sogar 15?
 
Nein, es handelt sich um rund 20 bis 30 Prozent, wenn man auch die „eher Unzufriedenen“ mitrechnet; komplett unzufrieden sind weniger als zehn Prozent.
 
So klein ist dieser kleine Teil also nicht.
 
Es handelt sich aber nicht um die Mehrheit – wie manche vielleicht meinen.
 
 
Wenn man die demokratische Entwicklung in rationalere Bahnen lenken will, dann müsste man bei den Medien ansetzen.
 
 
Reagiert diese Minderheit sensibler auf politische Skandale wie beispielsweise die Veröffentlichung des Buches „Freunde im Edelweiß“?
 
Personen, die ohnehin bereits kritisch oder sogar negativ eingestellt sind, empfinden solche Skandale als Bestätigung und werden in ihren Ansichten sicher bestärkt. Auf der anderen Seite werden positiv eingestellte Menschen dadurch nicht plötzlich zu totalen Skeptikern, die ihre politische Meinung grundlegend ändern. Ich bin davon überzeugt, dass diese negative Einstellung vielmehr eine Grundstimmung ist, die von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Skandale lösen diese Grundstimmung nicht aus, sondern verstärken sie nur.
 
Beobachtet man die Meinungen und Kommentare in den sozialen Medien, die in gewisser Weise ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sind, scheint diese Gruppe doch ein beträchtliches Gewicht zu haben.
 
Die sozialen Medien sind nicht ein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern ein „Zerrspiegelbild“. Man hat inzwischen recht gut verstanden, wie die sozialen Medien funktionieren. Sie pushen beispielsweise das Emotionale und verzerren rein deshalb bereits die Wirklichkeit. In den sozialen Foren ist man eher geneigt, seinen Frust zu äußern. Es schreiben hauptsächlich Leute, die Dampf ablassen wollen und sie reagieren auf Nachrichten, die echte oder vermeintliche Skandale ans Tageslicht bringen, die diesen Frust wiederum nähren. Die Stimmung, die in den sozialen Foren vermittelt wird, gibt nicht die Stimmung insgesamt wieder.
Die Medien, klassische wie auch soziale, werden immer mehr zum Schlüssel für die demokratische Entwicklung. Hier läuft einiges schief. Wenn man die demokratische Entwicklung in rationalere Bahnen lenken will, dann müsste man bei den Medien ansetzen.
 
Was läuft konkret schief? Ist die Berichterstattung Ihrer Meinung nach zu unausgewogen?
 
Bestimmte Inhalte, wie beispielsweise die derzeitige Diskussion um den Sprachunterricht, werden hochgekocht. Es werden Themen emotionalisiert und polarisiert, welche die Menschen besonders stark ansprechen. Wir stehen allerdings vor einem weiteren Problem: Worüber will man öffentlich diskutieren, wenn sich nicht nur die Meinungen stark unterscheiden, sondern auch das vermeintliche Wissen über die Fakten aus ganz verschiedenen Quellen stammt? Nehmen wir das Beispiel Impfschäden, wo die eine Gruppe auf Basis einer Meldung behauptet, welch horrender Skandal vertuscht wird. Auf der anderen Seite haben wir die Gruppe jener, die als Diskussionsgrundlage nur über Informationen über Schäden verfügt, die durch Nicht-Impfungen entstanden sind. Erst auf der Grundlage der von allen anerkannten gleichen Fakten kann eine sinnvolle Diskussion stattfinden. Dieses Problem ist medial erzeugt und führt dazu, dass die Politik falsch reagiert, zu wenig reagiert, polarisiert, über Symbolthemen streitet, statt über die wichtigen Themen zu diskutieren. Und das unschöne Bild, das so entsteht, führt schlussendlich dazu, dass 95 Prozent der Bevölkerung für sich ausschließt, ein politisches Amt zu übernehmen. Aufgrund falscher Selektionsmechanismen landen dann häufig Menschen mit einer etwas eigenartigen Persönlichkeitsstrukturen in der Politik.
 
 
Aufgrund falscher Selektionsmechanismen landen dann häufig Menschen mit einer etwas eigenartigen Persönlichkeitsstrukturen in der Politik.
 
 
Wie ließe sich das in gesunde Bahnen lenken?
 
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Ich glaube aber, dass wir eine „Medienpolitik“ bräuchten, die diesen Tendenzen bewusst entgegensteuert.
 
Steuerung durch Förderungen?
 
Förderungen sind wichtig, aber es braucht auch regulative Eingriffe, indem man beispielsweise die sozialen Medien zwingt, von ihren Emotionalisierungs-Algorithmen Abstand zu nehmen. Auch die klassischen Medien sollten nicht jenen zu viel Platz einräumen, die eindeutig Fake News verbreiten, sondern fundierte Informationen in den Vordergrund rücken und Falsches etwa durch durch Faktenchecks zurechtrücken. Die Wissenschaft verfügt über recht gute Mechanismen und kann zumindest ausschließen, was nicht belegbar ist. Diese Form der Berichterstattung ist aufwändig, aber möglich. Um auf die Corona-Pandemie zurückzukommen: Dort haben sich die extremen Skeptiker meistens auf eine einzige „wissenschaftliche“ Quelle berufen, der mehr Wahrheitsgehalt zugeschrieben wurde als allen anderen anderslautenden Befunden. Das geht einfach nicht.
 
Nehmen diese polarisierenden Strömungen zu bzw. auch die radikale Haltung?
 
Ob diese Strömungen zunehmen, kann ich nicht beurteilen. Sie sind jedenfalls eine Folge dieser Blasen und der dubiosen Informationsquellen. Ich würde die Forderungshaltung auch nicht unbedingt als radikal bezeichnen, sondern als Uneinsichtigkeit, wo wenig Bereitschaft da ist, sich auf die Gegenseite einzulassen. Uneinsichtigkeit und Egozentrismus nehmen in unserer Gesellschaft leider tatsächlich zu.
 
 
Uneinsichtigkeit und Egozentrismus nehmen in unserer Gesellschaft leider tatsächlich zu.
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Josef Fulterer Di., 11.04.2023 - 07:03

Die aus der Ruhepause zwischen den Wahlkämpfen erwachten Mandatare, versuchen mit allerhand blah-, blah-, blah-Versprechungen die Wähler zu beeindrucken und mit den Fäusten in den Taschen "die sicheren vorderen Listenplätze zu erringen."

Di., 11.04.2023 - 07:03 Permalink
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rotaderga Di., 11.04.2023 - 07:48

Die Prognosen über die prozentuellen Stimmenzuteilungen mögen sich bewahrheiten. Die Zahl der Nichtwähler wird aber zum gesellschaftlichen Ausdruck der Geringschätzung für Politik und Ablehnung der Politiker*innen ansteigen.

Di., 11.04.2023 - 07:48 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Di., 11.04.2023 - 07:52

Wurden da nur Svp ler.innen befragt? Mir ist diese Umfrage eindeutig PRO SVP ausgelegt.Und übrigens wieviele wurden überhaupt ? Kann dieser Umfrage wenig abgewinnen,vonwegen 40% möglich,Wunschdenken!

Di., 11.04.2023 - 07:52 Permalink
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Peter Gasser Di., 11.04.2023 - 08:14

Eine Stimme der Sachlichkeit, eine Stimme der Vernunft.
Sie wird wohl nicht dort ankommen, wo sie sehr klar sieht:
bei Politik, bei Presse (ja, in Bezug auf den großen Raum für fake news auch bei Salto), bei den Menschen:

“Auch die klassischen Medien sollten nicht jenen zu viel Platz einräumen, die eindeutig Fake News verbreiten, sondern fundierte Informationen in den Vordergrund rücken und Falsches etwa durch durch Faktenchecks zurechtrücken. Die Wissenschaft verfügt über recht gute Mechanismen und kann zumindest ausschließen, was nicht belegbar ist. Diese Form der Berichterstattung ist aufwändig, aber möglich. Um auf die Corona-Pandemie zurückzukommen: Dort haben sich die extremen Skeptiker meistens auf eine einzige „wissenschaftliche“ Quelle berufen, der mehr Wahrheitsgehalt zugeschrieben wurde als allen anderen anderslautenden Befunden. Das geht einfach nicht”.
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Eine Stimme der Sachlichkeit, eine Stimme der Vernunft.
Eine Stimme die objektiv und klar auf die Menschen, die Gesellschaft zu schauen vermag.

Di., 11.04.2023 - 08:14 Permalink