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Altbekannte und Neuernannte

Die WillkommenSerata der SAAV sah, nach Festworten von Rut Bernardi und Joanna Voss, sieben neue Mitglieder am Mikro sitzen. Es gibt Nachwuchs aus allen Generationen.
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Foto: Michael Denzer
  • Der erste im egalitär alphabetisch gereihten Reigen am vergangen Freitag sollte Georg Paul Aichner sein, Er las aus seinem Roman in Entstehung, „Allerseelenjahrhundert“, und dürfte dem einen oder der anderen von den Slam-Bühnen im Land bekannt vorkommen. Was im Historienprojekt - das mit dem Briefwechsel zwischen Kafka und Milena Jesenská, sowie deren Person, spannende Inspirationen vorab nennt - leider einfließt, ist eine Schlüpfrigkeit, die wir von Slam-Auftritten Aichners kennen. Dort lässt sich, auf maximal fünf Minuten begrenzt, das leichte Unwohlsein besser wegrationalisieren. Die fortwährende Sexualisierung der Hauptfigur sollte vor einer Veröffentlichung aber überdacht werden, trotz aller Blumigkeit mit der ausgeschmückt wird, wie etwa wenn es heißt: „Veronika gab sich gerade dem zittrig, sanften Schauer des mehr versiegenden, als verrinnenden Schweißtropfens hin, der in der gebräunten Bucht zwischen ihren Brüsten hing, als…“ Als Mann erlaube ich mir die Annahme, dass nur ein Mann diesen Satz hätte schreiben können. Eigentlich schade, lenken die Schweißtropfen eigentlich nur ab von einer spannenden Ausgangssituation. Wir schreiben das Jahr 1918, im österreichischen Arch am Gartensee, bevor dieses zu Italien kam und besser bekannt wurde als Arco am Gardasee. Noch bedauerlicher, dass die erstmalige Begegnung Veronikas mit Soldaten im Fronturlaub so stark von einem männlichen Eros geprägt ist.

    Martha Fuchs, Lehrerin in Unruhestand, verarbeitete Trauer und persönliche Kindheitserinnerungen zu einer dichten Collage aus psychologischer Ursache und (Nach)Wirkung von Schlüsselerinnerungen, die uns tiefe Sympathie mit den von Fuchs aus der Realität entnommenen Figuren verspüren lassen. Die gehörten Auszüge stammten ebenso aus einem Manuskript, „Dir zu liebe will ich nicht mehr klagen“ lautet derzeit der Titel. Nicht nur mit Marthas verstorbenen Sohn, der mit Ecken und Kanten (beide werden von der Mutter geschätzt oder angenommen) ein literarisches Nachleben erhält, sondern auch mit dessen Katze namens „Katze“. Auch aus den Zeilen herauszulesen ist ein Wille und Bestreben, die Gräben zwischen Generationen zu überbrücken, einen Schritt aufeinander zuzugehen und einander besser zu verstehen, auch in scheinbar unbedeutenden Dingen. So etwa, wenn sich Fuchs in einer amüsanten Passage über die Ausmaße der Obsession großer Teile des Internets geht, inklusive Kopfschütteln über das wirtschaftliche Potential der „reichsten Katzen“ im Internet.

    Helga Maria Gorfer, ebenfalls im Ruhestand, stimmte sanfte und ruhige Töne an. Die Seniorin schrieb 1985 erste Haikus, vertiefte ihre Liebe und Kenntnis für das japanische Kurzgedicht aus 5, 7 und 5 Moren oder Lauteinheiten dann aber noch einmal beträchtlich als sie während Corona über die Sprachstelle des SKI an das Thema herangeführt wird. Persönlich schätzte ich an Gorfers Lyrik und Vortrag, dass sie beidem Raum gab, der intrinsischen, nur durch eine Hand von Worten geleiteten Interpretation, bevor sie knapp sachlich Kontext liefert. Dabei erklärt sie einige der zahlreichen Regeln des Haikus, reflektiert die Geschichte des weiblichen Haikus in sogenannten Küchenhaikus (die Wanderschaft blieb lange Zeit männlichen Haiku-Dichtern vorbehalten) und erklärt, wo sie warum welche Regeln auch bewusst bricht. Etwa wenn etwas Umgangssprachliches ausnahmsweise den Weg in ihre in Fachkreisen bereits geschätzten Haikus findet, so wie hier:

     

    Gewitterfront -

    Stahlblau leuchten erste

    Donnerkugeln.

     

  • Laurenz Koler: Das Jungtalent ließ wegen seiner außergewöhnlich präzisen Sprache aufhorchen, am etwas gleichförmigen Vortrag darf noch gearbeitet werden. Foto: SALTO

    Der 18-jährige Laurenz Koler durfte den Altersschnitt des Abends anschließend senken. Er zeigte am Abend eine für sein junges Alter weit fortgeschrittene Sprachreife, die Lesesituation vor Publikum war ihm aber sichtlich noch nicht gänzlich vertraut. Seinen ersten Kurzroman, „Aufstehen“ im Gepäck, setzte sich Koler ans Mikrophon und meinte, die eher vagen thematischen Einleitungsworte von Voss würden wohl reichen. Wenngleich Information zu Kontext und Identität unserer Figuren fehlte, so entstand doch eine Anzahl sich häufender Motive und es zeigte sich die Präzision mit der Koler räumliche Konstellationen und Abläufe schildert. Wir würden dem jungen Talent dazu raten, die nächste Lesung nicht ganz „in medias res“ zu beginnen und sich erst ein bisschen Zeit mit dem Publikum zu nehmen, das gänzlich frisch an den Text kommt. Dennoch, Kolers Ausführungen zu Situationen, in denen ein rebellischer oder revolutionärer Gedanke immer wieder aufblitzt, aber nie umgesetzt wird, macht neugierig darauf, ob seine am Abend noch etwas nebligen Figuren das „Aufstehen“ am Ende wagen.

    Als fünfte von sieben durfte ein weiteres Gesicht aus der Südtiroler Poetry Slam Szene die Bücherwelten Bühne im Bozner Waltherhaus betreten. Irene Moroder hatte zwei Slamtexte dabei, ihren ersten auf einer Slambühne, eine Meditation in Text und Schnaufern am Mikro über das Atmen, das von einer beginnenden Panikattacke den Respekt für eine Oma findet, die immer da war, auch ohne Asthmaspray. Der zweite Text, „Il Rossetto“, war der sprichwörtliche Zweisprachigkeitstupfer bei den Texten des Abends, an dem es mal nicht für die von der SAAV angestrebten und vorangetriebenen „Mehrsprachigkeit“ reichen sollte. Besser als ihrem Kollegen Aichner gelingt es ihr, für das Bild eines Dorf-Casanovas namens Gianni, in die Rolle des anderen Geschlechts zu schlüpfen. Auch wenn Gianni sicher kein Aushängeschild an männlicher Tugend ist, zeigt er schließlich Verständnis dafür, dass Lippenstift oft auch nur ein Zeichen der eigenen Weiblichkeit sein kann und nicht eine Einladung.

  • Irene Moroder: Obwohl man sich dem Poetry Slam auch zu Verjüngungszwecken geöffnet hat, so war der Nachwuchs aus dieser Szene am Freitag nicht aus der Jugend, sondern aus der Mitte des Lebens. Foto: SALTO

    Patrizia Raffeiner, junge Weltenbummlerin in einem Haus auf vier Rädern versuchte Sinnlichkeit, Dankbarkeit und Achtsamkeit in ihren Texten zu vermitteln und auch, dass ein kindliches Staunen auch im Leben von Erwachsenen einen festen Platz haben kann. Die Schilderungen von Natur- und Tierstimmen waren für uns persönlich zu nah an dem, was mir persönlich als Kitsch erscheint. Zwischen Mutter Erde und himmlischem Kind wurde bei uns nicht der Zauber des Augenblicks, sondern mehr eine gewisse Naivität zum Ausdruck, sowie ein persönlicher Animismus, dem wir nicht folgen können. Die Autorin, wie einige Menschen im Saal, hat der Vortrag abgeholt und vielleicht einen Moment der Entspannung und Distanz geschenkt.

    Letzte neue SAAVlerin des Abends sollte Christine Wagner sein, die sich als Psychotherapeutin fachgemäß auch mit den Untiefen des Geistes im Menschsein, allein oder im Kollektiv befasst. Als Teil eines solchen, collectiva, schrieb sie auch ihren Textbeitrag des Abends. Ausgehend von einer Fotographie Bea Hintereggers, die nach dem Vortrag gezeigt werden sollte, schrieb Wagner die Kurzgeschichte „Gebrochen durch zwei“. Wir stochern nicht allzu lange im Dunkeln, bevor es von der Autorin explizit ausformuliert wird, und bemerken bald, dass die Rolle der Ich-Erzählung am Ende eine Doppelrolle ist. Unsere schizophrene Protagonistin Katja, beziehungsweise Madeleine wird besonders dann spannend, wenn es um den Kontakt zur Familie geht. Katjas Mann weiß von Madeleine und sucht, die Trennung zwischen Kindern und Madeleine aufrecht zu erhalten. Genau diese Trennung wird im für die Lesung gewählten Ausschnitt brüchig. Die erste Reaktion mag Skepsis sein, die Durchlässigkeit nach außen, dass nun Licht auf ins Dunkle gehaltene fällt, ermöglicht aber auch so etwas wie Hoffnung.

    110 Mitglieder zählt die SAAV mittlerweile, was auch als Symbol der Öffnung nach außen zu deuten ist. Vielleicht überlegt es sich jemand und man sieht sich auf einer WillkommenSerata in ein paar Jahren. Denn, je vielfältiger das Programm am Ende ist, umso kurzweiliger wird oft ein Leseabend.

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Salto User
Patrizia Raffeiner Mo., 19.02.2024 - 19:25

Herr Denzer, dass Sie als Journalist meine gefühlsbelastenden Wahrnehmungen eines Frühlingsnachmittags als Kitsch empfinden, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich finde es jedoch sehr schade, dass ich hier als "naiv" (ich schätze im negativen Sinne, korrigieren Sie mich, sei es nicht so) bezeichnet werde, weil ich eben die Natur anders und in der Tiefe wahrnehme, sowie die Fähigkeit habe, Schönheit in den kleinen Dingen zu erkennen. Ich persönlich nehme es als Kompliment naiv, ja gar kindlich naiv zu sein. Danke! Wussten Sie, schon Friedrich Schiller hat sich mit diesem Thema befasst: «Kindliche Naivität, hinter der man „ein Herz voll Unschuld und Wahrheit“ erkennt und die man als „eine höhere praktische [d.h. moralische] Stärke“ bewundert. Kindlich-naiv bedeutet „im Einklang mit der Natur“, „einig mit sich selbst und glücklich im Gefühl seiner Menschheit“.»
Was Sie als persönlichen Animismus verstehen, verstehe ich als allegorische Poesie. Sie und ich schreiben in unterschiedlichen Welten, und das ist vollkommen okay. Mehr Empathie und Verständnis im Journalismus fände ich ganz cool.
Würde die Natur so wahrgenommen werden wie ich es in "Das Glück des Seins" beschrieben habe, das teilweise auch symbolisch zu verstehen ist, dann wäre Natur- und Tierschutz eine Selbstverständlichkeit. In einem Baum mehr als ein Stück Holz zu erkennen, dazu will ich im besten Falle anstiften. Besonders in der aktuellen Zeit des Klimawandels ist das nicht verkehrt, denke ich.
Nichtsdestotrotz freut es mich, wenn ich "vielleicht" einen Moment der Entspannung schenken durfte. Momente der Entspannung sind in unserer turbulenten und stressbelastenden Welt so so wichtig.

Mo., 19.02.2024 - 19:25 Permalink
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Profil für Benutzer Georg Paul Aichner
Georg Paul Aichner Di., 20.02.2024 - 17:25

Lieber Michael Denzer,
danke für die fundierte journalistisch-germanistische Besprechung meines Lesebeitrags beim SAAV-Willkommensabend. Mir zu unterstellen, ich sei ein Mann, schmerzt mich aber doch sehr.

Herzlich
g.p. aichner

PS.: Für die durch meine häufigen Slam-Auftritte verursachten Übelkeitsanfälle möchte ich mich in aller Form entschuldigen.

Di., 20.02.2024 - 17:25 Permalink