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Foto: Andy Odierno/SALTO
Politik | Fritto Misto

Orgia per Giorgia

Meloni kommt nach Bozen und bringt das Blut in Wallung.
  • Die schöne Helena galt einem englischen Dichter als „the face that launched a thousand ships“. Nicht tausend Schiffe, aber gut a thousand Haxen setzte Giorgia Meloni kürzlich bei ihrem Besuch in Bozen in Bewegung: Zahlreiche Politiker*innen, Wirtschaftstreibende, Medienleute, Ordnungskräfte fanden sich ein, um weniger ihrem Gesicht als ihrem Geldkoffer zu huldigen. Schließlich ging es um 82 Millionen Euro, die investiert werden wollen, und da kann man schon mal vergessen, woran die Protestierenden ein paar hundert Meter weiter erinnerten: der Bonus Mamme ein Bluff, der Klimaschutz mit Füßen getreten, die Rechte von LGBTQ+ beschnitten. Kein Grund also, euphorisch zu werden, aber die kritischen Stimmen konnten dem kollektiven Freudentaumel im NOI Techpark offenbar nichts anhaben: Man erhob sich für stehende Ovationen, noch bevor il presidente überhaupt ein Wort gesprochen hatte, vorauseilende Ehrungen für die bloße physische Präsenz sozusagen. Giorgia launchte nicht nur die Haxn, sie launchte auch eine geradezu orgiastische Begeisterung, denken Sie an die Beatles in den 60ern. Landeshauptmann Kompatscher sank zwar nicht, von Hysterie überwältigt, kreischend am Rednerpult zusammen, hatte sich aber für den feierlichen Anlass offensichtlich extra eine neue Haarlege zugelegt: Mit keckem Schopf (der am folgenden Tag im Regionalrat schon deutlich geplättet war) hieß er Meloni willkommen, und wer eifrig Frauenzeitschriften liest, der weiß: Eine neue Frisur ist nie bloß eine neue Frisur – sie ist ein Statement.

     

    Giorgia launchte nicht nur die Haxn, sie launchte auch eine geradezu orgiastische Begeisterung, denken Sie an die Beatles in den 60ern.

  • Arno Kompatscher: Mit Schlafzimmerblick und neuer Sturmfrisur setzte der Landeshauptmann auf einen ausgewählten Look um die Ministerpräsidentin zu bezirzen. Foto: Andy Odierno/SALTO

    Das haarige Statement des LH, kunstvoll nach oben geföhnt, es könnte als liebevolle Hommage an die heiße Luft, die die Regierung produziert, gelesen werden. Es könnte aber auch eine perfide Einschüchterungsgeste der klein gewachsenen Meloni gegenüber sein, indem es den ohnehin schon großen Kompatscher nochmal mindestens vier Zentimeter streckte. In eine ganz andere Richtung gedacht und psychologisch noch gewiefter könnte man die für den funktionalen LH doch sehr untypische ästhetische Spielerei mit der Hornsubstanz als amouröse Anbiederung verstehen, ruft man sich Melonis Ex Giambruno und dessen bemerkenswerte Haartolle in Erinnerung. Aber wecken wir keine schlafenden Hunde, setzen wir Ockhams Rasiermesser an der Haarpracht an und nehmen stattdessen ganz nüchtern an, Kompatscher habe im Vorfeld einfach schlecht geschlafen: Wenn man sich nächstens im Bett hin und her wälzt, weil man nicht abschätzen kann, ob Marco der Parteichefin den Galateo mit Küsschen, inbrünstiger Serenade oder gar Fußwaschung machen wird, da kann schon mal die Frisur drunter leiden. Galateo entschied sich schlussendlich für eine innige Umarmung; an so viel Körperkontakt wagte sich LH-Stellvertreterin Rosmarie Pamer nicht heran, was aber nicht an einer gesunden kritischen Distanz der Soziallandesrätin zur Rechtspolitikerin liegen dürfte, wie ihr WhatsApp-Status verriet: Dort postete Pamer im Fangirl-Wahn ein Bild mit der wesentlich gechillteren Meloni und versah es mit ganzen elf „100 Punkte“-Emojis. Ob die Hunderter sich auf ihren Blutdruck in Anwesenheit der Ministerpräsidentin bezogen oder doch bloß die Millionen beziffern sollten, die sie sich für ihr Ressort wünscht, man weiß es nicht.

     

    (...) wie ihr WhatsApp-Status verriet: Dort postete Pamer im Fangirl-Wahn ein Bild mit der wesentlich gechillteren Meloni und versah es mit ganzen elf „100 Punkte“-Emojis. 

     

    “Io sono Giorgia, sono una donna, sono una madre, sono italiana, sono cristiana“, dieses Sprüchlein musste Meloni in Bozen nicht aufsagen, denn man feierte sie für die Moneten, die sie im Gepäck hatte – man wäre ihr auch zu Füßen gelegen, wenn sie verkündet hätte, ein Echsenmensch zu sein. Mit „E‘ lui quello con i soldi“ und einem Wink auf PNRR-Minister Fitto ließ sie auch keinen Zweifel daran, dass ihr klar war, weshalb dieses ganze Theater aufgeführt wurde und wohl kaum jemand wagte, sich beim abschließenden Gruppenfoto mit Verweis auf ein dringendes Bedürfnis oder plötzlicher Übelkeit zu absentieren: Mehr oder minder strahlend, einige Exponenten zugegeben mit Händen schützend vor den Weichteilen und leicht verzagtem Gesichtsausdruck eine zumindest symbolische (Brand-)Mauer vor dem nationalistischen Freistoß bildend, stehen sie da, belastende Prinzipien großteils über Bord geworfen. Dass Meloni wenig vorher die Autonomie sehr verquer mit künstlicher Intelligenz verglichen hatte, die große Chancen, aber auch Risiken berge, scheint auf dieser Titanic keine Alarmglocken ausgelöst zu haben.