Gesellschaft | Kirchenaustritt

Hubert Sparer: "Ich bin froh, dass ich weg bin"

Hubert Sparer ist 2013 aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. "Ich hoffe viele andere Menschen treten auch bald aus", sagt er im salto.bz Interview

 

Herr Sparer, Sie gehören der katholischen Kirche nicht mehr an? Warum?

Ich bin jetzt 66 Jahre alt und etwa vor einem Jahr aus der römisch katholischen Kirche ausgetreten. Ich bin zum Eppaner Pfarrer gegangen und hab schriftlich um die Streichung aus dem Taufregister ersucht. Bemerkenswert ist, dass der Pfarrer  gesagt hat, dass er beim Begräbnis nicht mehr dabei sein wird. Das war seine erste Reaktion. Dann hatten wir eigentlich ganz ein nettes Gespräch.

Ein Austritt in diesem Alter, das ist in Südtirol wohl eher ungewöhnlich. Haben Sie sich für eine neue Glaubensgemeinschaft entschieden?

Nein, das war überhaupt keine Option. Ich denke und fühle nicht religiös. Eigentlich hätte ich vor vierzig Jahren austreten können, aber ich hab es damals nicht so dringend genommen. Einmal das, und zum anderen wollte ich einfach familiär Rücksicht nehmen. Unsere zwei Kinder, die mittlerweile 31 und 24 Jahre alt sind, hätten dann vielleicht nicht an der Erstkommunion teilnehmen können. Und ich wollte nicht, dass meine Kinder leiden, nur weil ich eine Außenseiterposition einnehme.

Das heißt, Sie haben sich angepasst?

Ja. Ich habe auch kirchlich geheiratet, da war ich 31 Jahre alt. Nicht aus Überzeugung hab ich geheiratet, sondern mehr aus Verpflichtung. Durchaus auch gegenüber meinen Eltern. Denn das wäre ja damals ein Skandal gewesen. Nur in der Gemeinde zu heiraten.

Ich bin geblieben. Aus Respekt - auch meinen Kindern gegenüber.

In der Familie hat es keine Widerstände gegeben bevor Sie vor einem Jahr ausgetreten sind?

Mit meiner Frau hab ich natürlich im Vorfeld darüber gesprochen, auch mit meinen Kindern, aber die Entscheidung hab ich für mich getroffen. Eine große Diskussion zwischen meiner Frau und mir war das nicht. Sie hat mich weder unterstützt, aber sie hat mich auch nicht kritisiert.

Und Ihre Kritik an der römisch-katholischen Kirche?

Ich hole etwas aus, denn in erster Linie überzeugen mich die Buchreligionen nicht. Judentum, Christentum, Islam – überall gibt es Texte, die 4.000 Jahre alt sein sollen, oder 2.000 Jahre – egal. Und diese Texte werden interpretiert. Jede Interpretation ist möglich, geschichtlich gesehen. Ich denke, dass Bücher, die von Religionen verwendet werden, schädlich sind. Sie können von Herrschen instrumentalisiert werden. Denken wir doch nur an die enormen Konflikte, an die schlimmen Dinge in der Geschichte, für die die Religionen hergehalten haben und immer noch herhalten. Herrschende berufen sich auf die Religion und führen Völker in den Krieg. Religion ist nicht Toleranz.

Ich bin vor vierzig Jahren nicht ausgetreten. Damals standesamtlich zu heiraten war ja eine Schande.

Sie misstrauen der Kirche also, ist es das?

Das würde ich so nicht sagen. Meine acht Promille bei der Steuererklärung bekommt beispielsweise die lutherische Kirche Italiens. Am meisten Vertrauen hab ich aber zur Diözesecaritas. Ich bin mit einigen Priester, oder ehemaligen Priestern sehr gut befreundet und ich schätze sie sehr. Das, worum es mir geht ist, dass der Katholizismus auf Prinzipien fußt. Auf einer Theorie. Einerseits. Und andererseits gibt es dann das richtige Leben.

Das mit der Theorie wenig zu tun hat.

Richtig. Wenn wir von einer Theorie reden, dann muss es auch eine Anleitung für die Praxis geben. Nehmen wir das Thema Sexualität: Man kann nicht sexuelle oder sittliche Regeln zeitlos vorgeben auch wenn die Realität längst ganz anders ausschaut und sich niemand an die Vorgaben der Kirche hält.

Herrschende berufen sich auf die Religion und führen Völker in den Krieg. Religion ist nicht Toleranz.

Sie bemängeln die Realitätsferne der katholischen Kirche?

Ja, aber eine Realitätsferne, mit der man sich arrangiert. Und das ist unglaubwürdig. An die Theorie glaube ich schon lange nicht mehr, und jetzt hab ich beschlossen, dass ich damit einfach nichts mehr zu tun haben will.

Sind wir verlogen, ist die Kirche verlogen?

Die katholische Grundhaltung ist verlogen. Man lässt sich auf Dinge ein, die eigentlich unanwendbar sind. Nehmen wir doch den Zölibat her. Das ist etwas, das wider die Natur geht. Und wahrscheinlich durchlebt den Zölibat nur eine Minderheit der Priester. Viele leben es nicht, verständlicherweise. Aber offiziell existiert diese Realität gar nicht.
Die Verlogenheit kommt für mich in der Sexualmoral am stärksten zum Ausdruck. Ich bin in den 50er Jahren aufgewachsen, mit Eltern, die am Land geboren und im Geist des 19. Jahrhunderts aufgewachsen sind. Da hat es nichts gegeben, Sexualität war durch und durch verpönt. Darüber zu reden – nicht zu denken. Es war eigentlich eine richtig radikale Sexfeindlichkeit. Jeder war immer in der Schuld, denn alle hatten Sex. Und jedem ist ein schlechtes Gewissen eingeredet worden.

Endlich einmal ehrlich sein, ein Befreiungsschlag. War ihr Austritt auch das?

Ja, auf jeden Fall. Ich war mir das nach so vielen Jahren einfach schuldig.

Die Verlogenheit kommt für mich in der Sexualmoral am stärksten zum Ausdruck

In Südtirol gibt es jährlich zehn Kirchenaustritte. Kein Grund zur Sorge meint Leo Haas, Kanzler der Diözese.

Die Gesellschaft wird immer sekulärer. Die Kirche verliert stark an Einfluss: auf das Gefühl der Menschen, auf das Denken der Menschen. Die Kirche ist den Menschen gleichgültig und in Südtirol drückt keine Kirchensteuer, anders als in Österreich oder Deutschland.

Ich war es mir einfach schuldig, ja es war eine Befreiung

Und womit kann die Kirche heute noch punkten?
Die Rituale, die von der Kirche angeboten werden, sind sehr stark. Heirat, Taufe, Erstkommunion, Firmung. Rituale sind für Menschen enorm wichtig. Und es  wäre schade, wenn diese Dinge einfach verloren gingen, das wäre ja eine graue Welt. Und diese Rituale sind für viele natürlich ein starker Grund, in der Kirche zu bleiben. Das ist ein kulturelles Beiwerk, das durchaus geschätzt wird.

Rituale, die allerdings auch oft standardisiert ablaufen.

Ich hab das bei einer Freundin erlebt, die nicht religiös war. Sie hat in ihrem Testament akribisch genau vermerkt, wie sie ihre Beerdigung haben will. Welche Sätze wer wann sagt, das war sehr ergreifend und geht darüber hinaus, was uns die Kirche anbietet. Aber ja, das ist mir auch wichtig. Bei meiner Beerdigung soll es ohne kirchliche Rituale feierlich sein. Auch wenn ich nicht mehr Mitglied der katholischen Kirche bin ist mir das wichtig.

Was bräuchte die katholische Kirche um sich zu erneuern? Könnte sie mit der Aufgabe des Zölibats verlorene Schäfchen zurückholen?

Es wäre sicher ein wichtiges Zeichen, wenn Priester heiraten dürften. Wenn sie endlich normal ihre Sexualität leben könnten, und das auch zeigen könnten. Das ganze Thema Sexualität ist wesentlich, auch die Diskussion um die Homosexualität ist längst überholt. Trotzdem – in die Kirche eintreten würde ich nicht mehr. Mich interessieren die Veränderung in der Kirche nur sofern, als sie sich auf die Gesellschaft auswirken.

Ich bin froh, dass ich weg bin und hoffe, dass bald auch bei uns viele andere Menschen austreten. Anstatt einfach zu sagen, ich halt mich an nichts, glaube auch nichts und bleibe trotzdem in der Kirche.