Politik | Wahlen Österreich

Volkskanzler Kickl?

Die österreichische „Schicksalswahl“ ist geschlagen und hat einen Sieger hervorgebracht, mit dem niemand koalieren will. Ob Herbert Kickl tatsächlich zum Volkskanzler aufsteigen und das System zu Fall bringen kann?
Herbert Kickl
Foto: FPÖ
  • Österreich hat gewählt, und zwar rechts. Mit 28,8 % setzte sich Herbert Kickls FPÖ klar gegen die ÖVP (26,3 %) und die SPÖ (21 %) durch. Die Grünen wurden – so wie ihr bisheriger Koalitionspartner ÖVP – abgestraft. Dies das vorläufige Ergebnis. 

    Systemänderung, Wendepunkt, Kampf um die Demokratie – die österreichische Nationalratswahl 2024 wurde wie selten zuvor zur Schicksalswahl hochstilisiert. „Am Sonntag bringen wir das System zu Fall“, postete FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl noch einen Tag vor der Nationalratswahl. 

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  • Für Karl Nehammer, der als Kanzler-Kandidat für die ÖVP ins Rennen ging, war es eine Richtungsentscheidung. „Lassen wir nicht zu, dass die Radikalen Österreich und unsere Gesellschaft spalten. Ich stehe für Stabilität und eine Politik der Mitte“, lautete seine Botschaft an die Wähler. Werner Kogler von den Grünen stieß ins selbe Horn und erklärte, dass jede Stimme für die Grünen eine Stimme für Klimaschutz und gegen Rechtsextreme auf der Regierungsbank sei. In die „Gegen Rechts und gegen die FPÖ“-Strategie reihte sich auch Andreas Babler, Spitzenkandidat der SPÖ ein, als er sagte: „Es geht nicht nur um Kickl, es geht um die gesamte FPÖ. Mit einer solchen Partei ist kein demokratischer Staat zu machen. Die jüngsten Ereignisse zeigen das einmal mehr. ÖVP und Karl Nehammer machen sich mitschuldig, wenn sie mit der FPÖ packeln.“ Alle gegen Kickl und Kickl gegen alle. Zumindest bei der Auszählung genutzt hat es – wer am Ende regiert, ist eine andere Frage – dem „Verfemten“ selbst. Bereits kurz nach Schließung der Wahllokale wurde die erste Hochrechnung bekannt gegeben, welche die Umfrageergebnisse der letzten Wochen bestätigte und einen veritablen Sieg der FPÖ unter Spitzenkandidat Herbert Kickl prognostizierte. Um 23.30 Uhr lautete das vorläufige Ergebnis (die noch nicht ausgezählten Wahlkarten werden morgen und am Donnerstag ausgezählt):

  • Nationalratswahl 2024: Die FPÖ ging als klarer Sieger hervor. Foto: SALTO/Bundesministerium für Inneres
  • Die FPÖ erreichte 28,8 % der Stimmen und damit ein Plus von 12,6 % im Vergleich zu vor fünf Jahren. Laut Wählerstromanalysen dürften die Wahler massenhaft von der ÖVP zu den Blauen übergelaufen sein. Die ÖVP musste ein regelrechtes Debakel hinnehmen bzw. einen Verlust im zweistelligen Bereich (-11,2 %). Verloren haben auch die Grünen, die auf 8,3 % abgestürzt sind. Die Sitze halten konnte die SPÖ, die sich auf knapp über 21 % festgesetzt hat. Verbessern konnten sich die Neos, die auf 9,2 % (+1,1 %) kommen. 

  • Tirol ist türkis

    Während die Steiermark, Oberösterreich, Burgenland und Kärnten zu den Hochburgen der FPÖ zählen, hat in den westlichen Bundesländern, Vorarlberg, Salzburg und Tirol, die ÖVP die Nase vorne. In Tirol verliert die ÖVP zwar (-14,6 %) massiv, kann sich aber dennoch mit 31,2 % der Wählerstimmen an der Spitze behaupten. Die FPÖ erringt mit 29 % und einem satten Zugewinn von 14,3 % den zweiten Platz. Die Neos reihen sich mit 10,5 % hinter der SPÖ (15,3 %) und vor den Grünen (8 %) ein. 

    Foto: Bundesministerium für Inneres
  • Bastis Erbe

    Basti Fantasti vulgo Sebastian Kurz: Der Feschak-Kanzler stürzte die ÖVP in eine veritable Krise, von der sie sich bis heute nicht erholt hat. Foto: Oliver Oppitz

    Was wurde „Basti Fantasti“ vulgo Sebastian Kurz vor fünf Jahren nicht in den Himmel gelobt. Nach der Ibiza-Affäre, die der türkis-blauen Regierung unter Kanzler Kurz und seinem Vize Heinz-Christian Strache nach zwei Jahren ein jähes Ende bereitete, schien nicht nur die FPÖ ein Scherbenhaufen, sondern auch die ÖVP. Wie ein Phönix aus der Asche stürmte Spitzenkandidat Kurz jedoch mit 37,5 % bei der Nationalratswahl 2019 an die Spitze und strich ein sattes Plus von 6,0 % ein. Nur zwei Jahre später musste Kurz wegen Korruptionsermittlungen und auf Druck der Grünen seinen Sessel räumen und verschwand in der Versenkung. Es folgte ein kurzes Intermezzo mit Alexander Schallenberg als Kanzler, der im Dezember 2021 von Karl Nehammer abgelöst wurde. Langweilig war’s auch beim Koalitionspartner, den Grünen, nicht. Mit 13,9 % (+10 %) fuhren Werner Kogler und Co. 2019 ein Rekordergebnis ein und boten sich damit quasi auf dem Silbertablett als Regierungspartner an. Seither ist einiges passiert, angefangen mit der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg, wirtschaftlichen Turbulenzen und einer veritablen Energie-Krise. Der große Profiteur war am Ende Herbert Kickl, der einen Wahlkampf gegen die, wie er sie nennt, Systemparteien geführt hat, und mit den Themen Migration, Messerstechereien, Terrorismus, „Corona-Unterdrückung“ und soziale Ungerechtigkeit bei den Unzufriedenen punkten konnte.

  • Karl Nehammer: Der ÖVP-Kanzler hat eine Koalition mit einer FPÖ unter Herbert Kickl ausgeschlossen. Foto: Facebook/ Privat
  • Hochrechnung und Endergebnis

    6,3 Millionen Österreicher und Österreicher waren bei der Nationalratswahl 2024 aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Zur Schicksalswahl hochstilisiert rechnete man mit einer ähnlich hohen Wahlbeteiligung wie in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Thüringen und Sachsen, wo vor Kurzem Landtagswahlen abgehalten worden waren. Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2019 (75,59 %) laut aktueller Hochrechnungen mit 78,5 % deutlich höher.

    War die Auszählung bisher meistens gegen 21.00 Uhr bereits abgeschlossen, dauerte sie heute etwas länger. Der Grund dafür war die Wahlrechtsreform 2023, wonach der Großteil der Wahlkartenstimmen bereits am Wahltag ausgezählt wird. Jene Wahlkarten, die bis Freitag noch nicht in den Wahlsprengeln eingelangt waren, werden morgen ausgezählt und am kommenden Donnerstag. Zu diesem Zeitpunkt soll dann das vorläufige Endergebnis feststehen. 

  • Volkskanzler Kickl?

    Herbert Kickl hat die Freiheitlichen zwar an die Spitze geführt, eine Koalition mit den Blauen unter seiner Führung haben alle anderen Parteien aber bereits im Vorfeld ausgeschlossen. Auch die ÖVP, deren Wahlprogramm viele Übereinstimmungen mit jenem der Freiheitlichen bietet, „kann“ mit Kickl nicht, wie kürzlich der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier SALTO gegenüber bestätigte. Ob Kickl auf ein Regierungsamt verzichtet und ähnlich wie Jörg Haider im Jahr 2000 einen Schritt zurück macht, um der FPÖ die Möglichkeit zu eröffnen, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Rein rechnerisch würde sich – Stand derzeit – aber auch eine große Koalition aus ÖVP und SPÖ ausgehen: Gemeinsam kämen beide Parteien derzeit auf 93 Sitze – 92 braucht es für eine Mehrheit im 183 Sitze umfassenden Nationalrat. Das laut Polit-Experten wahrscheinlichste Szenario ist, dass die FPÖ als stärkste Partei trotz ihres Wahlerfolgs auf der Oppositionsbank Platz nehmen muss.

  • KEIN BIER

    Zur Nationalratswahl 2024 angetreten sind auch einige Kleinparteien wie die impfkritische MFG, die KPÖ, KEINE, GAZA, LMP, BGE und BIER. Mit Ergebnissen zwischen 0,0 % und 2,4 % scheiterten sie an der Vier-Prozent-Hürde. Ein Einzug ins Parlament bleibt ihnen somit verwehrt.