Gesellschaft | Ärztekammer

„Bürokratie abbauen, Jungärzte fördern“

Astrid Marsoner, die neue Präsidentin der Südtiroler Ärztekammer über die Wahl, den Ärztemangel, Impfungen und die Digitalisierung und Endbürokratisierung.
Hausärztin, Niederdorf
Foto: Praxis Marsoner/AuerLukasPhotography
  • SALTO: Frau Marsoner, Ihre Liste hat die Wahl der Ärztekammer gewonnen und bildet somit den neuen Vorstand. Hätten Sie damit gerechnet?

    Astrid Marsoner: Wissen kann man es immer erst im Nachhinein. Trotzdem haben wird natürlich gehofft und alles darangesetzt, dass wir gewinnen. Zugleich waren wir aber zuversichtlich, da sowohl die größten Gewerkschaften, in meinem Fall SNAMI, als auch ärztliche Vertreter aller Bereiche in unserer Liste vereint sind. Trotzdem war das Ergebnis natürlich offen, wie bei jeder demokratischen Wahl.

    Nun muss Vorstands intern ein Präsident gefunden werden…

    Das ist bereits gestern Abend geschehen. Im Rahmen einer konstituierenden Sitzung wurde ich zur Präsidentin, Edoardo Bonsante zum Stellvertreter, Silvia Baumgartner zur Sekretärin und Claudia Pellegrini zur Schatzmeisterin gewählt.

    Der letzte Präsident der Kammer, Claudio Volanti, befindet sich auch wieder im Vorstand. Ein großer Vorteil für das Organ?

    Wenn Vertreter des Vorgängervorstands wieder Teil sind, ist das immer ein Zeichen von Kontinuität. Sie werden ihre Erfahrungen bestimmt einbringen. Besonders positiv im neuen Vorstand finde ich aber die Mischung zwischen neuen und erfahrenen Mitgliedern. Letztere bringen einerseits viel Erfahrung mit, andererseits kann Gewohnheit verhindern, Dinge auch mal anders anzugehen, Neugewählte bringen da einen frischen Wind hinein. 

     

    „Was die Bürokratisierung betrifft, muss politisch etwas passieren.“

     

    In einem vorherigen Interview mit SALTO haben Sie die Digitalisierung und die Entbürokratisierung als große Herausforderungen der kommenden Jahre beschrieben. Wie können sie angegangen werden?

    Beim Thema Digitalisierung bin ich der Meinung, dass wir endlich einen eigenen Ansprechpartner bei der Südtiroler Informatik AG brauchen, um unsere Probleme direkt dort deponieren zu können. Generell brauchen wir eine solche Ansprechperson bei allen Firmen, die uns Softwares und Arbeitsprogramme liefern. Deshalb wird es Zeit, sich an einen Tisch zu setzen und dafür zu sorgen, dass alle Programme reibungslos laufen und dass im Falle von Problemen sofort Lösungen gefunden werden können. Was die Bürokratisierung betrifft, muss einerseits politisch etwas passieren, beziehungsweise nicht mehr geschehen, dass nämlich immer neue Zettel dazukommen. Es kann nicht sein, dass wir zum Beispiel bei der Grippeimpfung nach Jahrzehnten der Tätigkeit plötzlich eine Einverständniserklärung in Papierform von jedem Patienten einholen und ablegen müssen. Solche Tendenzen müssen einfach verhindert werden.

    Die bei den Wahlen angetretene impfkritische Liste „hippokratische Ärzte/medici ippocratici“, bemängelt, dass die Entscheidungsfreiheit der Ärzteschaft in den letzten Jahren, vor allem zu Coronazeiten, nicht mehr respektiert wurde. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

    Zunächst müssen in einem demokratischen Diskurs alle Meinungen Platz haben. Trotzdem ist festzuhalten, dass auch wir Ärzte dem Gesetz unterliegen, das eine Pflichtimpfungsliste beinhaltet. Nichtsdestotrotz ist es vollkommen legitim, sich mit einzelnen Impfungen kritisch auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren, wie zum Beispiel bei der Covidimpfung. Vorausgeschickt dass es in Fachkreisen unstrittig ist, dass die Impfung den Tod vieler alter und fragiler Menschen verhindert hat, gibt es rückblickend trotzdem einige Punkte, die man für die Zukunft kritisch beleuchten kann. Etwa die Empfehlung der Impfung für Kinder, obwohl man wusste, dass sie nicht vor Infektionen und Übertragung schützt , sondern vor einem schweren Verlauf, für welchen wiederum die Kinder nicht zur Risikogruppe zählten. Die Impfung war sozusagen ein Helm, kein Regenschirm. Ich bin absolut für Impfungen, finde einen kritischen Diskurs jedoch in der wissenschaftlichen Diskussion wichtig.

  • Astrid Marsoner: Seit gestern die neue Präsidentin der Ärztekammer Südtirol. Foto: Privat
  • Stichwort Ärztemangel: Was muss die Ärztekammer hier in den nächsten Jahren tun?

    Im vergangenen November habe ich gemeinsam mit Dr. Schumacher, dem Chef in der Chirurgie in Brixen und Sterzing, eine Umfrage zu den Auswahlkriterien des zukünftigen Arbeitsplatzes unter Medizinstudenten im Ausland gestartet. Dabei kam heraus, dass die Entlohnung nicht das oberste Kriterium ist, sondern dass es mehr auf eine Reihe von weichen Faktoren wie Wertschätzung, Entwicklungsmöglichkeiten und Work-Life-Balance ankommt. Den jungen Ärzten ist Spaß an der Arbeit wichtig, was auch gut ist, denn schließlich verbringt man einen Großteil des Lebens mit Arbeit. Deshalb sind ein guter Umgang sowie flache Hierarchien und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz wesentlich. Wenn wir Studenten zurückholen möchten, ist es wichtig, dass wir uns um das Gesamtpaket kümmern, wie es uns andere Länder schon vormachen. Genau hier könnte die Ärztekammer ansetzen, die jungen Ärzte und Ärztinnen an die Hand nehmen, durch den bürokratischen Dschungel führen und ihnen bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Kinderbetreuungsplatz helfen. Des Weiteren muss man die angehenden Ärzte schon viel früher für den Standort Südtirol überzeugen, zum Beispiel während der Famulatur und dem Klinisch-Praktischen Jahr und nicht erst, wenn es sich um ausgebildete Fachärzte handelt.

    Der Kammer wird häufig eine gewisse Distanz zu ihren Mitgliedern vorgeworfen. Wie kann ein gutes Verhältnis geschaffen werden?

    Der erste Schritt wurde hier mit der Möglichkeit der Onlinewahl des Vorstands schon gemacht. Trotzdem müssen noch weitere Schritte, vor allem im Sinne der Sichtbarkeit, eingeleitet werden. Als ich gefragt wurde, ob ich für dieses Amt kandidieren möchte, wusste ich nicht einmal, was die Ärztekammer eigentlich so macht, das muss sich ändern. Wichtig finde ich den Einbezug der Mitglieder in Entscheidungsprozesse. Des Weiteren fände ich eine eigene Zeitung, wie es viele Kammern in anderen Ländern bereits haben, und häufigere Treffen der Mitglieder nicht schlecht.

     

    „Wir müssen als Vertretung aller Ärzte gestärkt dastehen.“

     

    Wo soll die Kammer in Ihren Augen am Ende dieser Amtsperiode, also 2028, stehen?

    Wir müssen als Vertretung aller Ärzte gestärkt dastehen. Wenn die Ärzte am Ende dieser Amtszeit der Meinung sind, dass sie wissen, was in der Kammer geschieht, sie sich angehört und vertreten fühlen, bin ich zufrieden mit unserer Tätigkeit.

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Salto User
Oliver Hopfgartner Di., 07.01.2025 - 17:01

Wer im Jahr 2024/2025 noch neue Papierformulare einführt, hat nicht viel verstanden.

Meiner Meinung nach scheitert die Digitalisierung oft auch daran, dass man Dinge, die man "bisher immer schon so gemacht hat" eins zu eins in Software übernimmt, indem man z.B. einfach ein Formular digitalisiert, welches dann am PC oder Tablet ausgefüllt werden soll, anstatt auf Papier.

Dabei läge die Stärke der Informatik eigentlich darin, Prozesse grundlegend zu hinterfragen und womöglich komplett neu aufzusetzen.

In Österreich hat z.B. die Digitalisierung des Impfpass sehr gut funktioniert. Das Eintragen in den E-Impfpass geht mit drei bis vier Klicks, man hat nicht das Theater mit den Chargennr.-Stickern für den Impfpass und muss nicht mehr händisch Datum und Unterschrift/Stempel eintragen. Der gesamte Prozess ist somit deutlich leichter. Viele Softwares haben auch automatische Erinnerungsfunktionen für etwaige Auffrischimpfungen.

Die Attraktivität Südtirols für Ärzte ist ein kompliziertes Thema. Mich stört in erster Linie die völlig absurde 240.000 € Umsatzgrenze. Nachdem ich gesehen habe, dass man fleißigen Ärzte seggiert und sie selbst nach der Pensionierung dazu drängt, 5stellige Eurobeträge zurückzuzahlen, weil sie zu viel gearbeitet haben, dann frage ich mich schon, ob es Sinn macht, irgendwo zu arbeiten, wo man ein Depp ist, wenn man viel Leistungen erbringt. Im Vergleich dazu betrug der durchschnittliche Umsatz eines österreichischen Hausarztes 327.000 €, wobei auch Millionenumsätze möglich sind. Deswegen ist es in Österreich üblich, dass die meisten Hausärzte mehrere Angestellte, Laborgeräte, EKG, Ultraschall und Ähnliches haben und eine entsprechend breite Primärversorgung erbringen können.

Ich bin es z.B. gewohnt, dass Patienten in meiner Ordination jeden Tag Blut abnehmen können, ein Kurier die Blutproben täglich ins Labor bringt und ich die meisten Laborwerte am selben Tag bekomme. Wir bieten auch Eiseninfusionen, Schmerzmittelinfusionen etc an. Gewisse Ergebnisse können wir auch im hauseigenen Labor auswerten, z.B Entzündungswerte um so ggf unnötige, voreilige Antibiotikaverschreibungen zu vermeiden. Das geht aber nur, weil wir das entsprechende Personal haben.

In Südtirol ist das alles nicht möglich, weil die Vergütung eines Hausarztes den selben Regeln folgt, wie die Vergütung eines Gemeindesekretärs oder eines Primars, die aber selbst keine Personalkosten und Betriebskosten tragen müssen.

Sicher kann man die Situation schön reden und sagen, es hätte auch Vorteile, dass vom Südtiroler Hausarzt gar nicht erwartet wird, apparative Diagnostik, Blutabnahmen und Infusionen anzubieten und er sich so auf die Basics (Zuhören, Anamnese, klinische Untersuchung, Case Management) fokussieren könne. Ich glaube aber, dass das nicht mehr zeitgemäß ist.

Di., 07.01.2025 - 17:01 Permalink