Politik | Volksabstimmung

"Politik sollte Mut zu Entscheidungen haben"

Das Volk mischt auf in diesen Wochen. Zum Gefallen des Landeshauptmanns? Arno Kompatscher über qualifizierte Mehrheiten, Mächte des Bösen und die Angst vor dem Neuen.

Herr Kompatscher, drei Volksabstimmungen und überall stimmt das Volk gegen die Interessen der Wirtschaftstreibenden. Beunruhigt Sie das als Wirtschaftslandesrat?
A
rno Kompatscher: Wenn das kontinuierlich so weiter gehen würde, könnte es natürlich Sorgen machen – oder man müsste zumindest die Frage stellen, ob die Vorschläge nicht überzeugend genug waren. Allerdings ist es jetzt zu früh, um zu sagen, Volksbefragungen sind wirtschaftsfeindlich. Tatsache ist, dass bei solchen Abstimmungen weltweit die Vorschläge der Regierungen bzw. der politischen Mehrheiten in der Regel unterliegen. Selbst in der Schweiz, wo Mehrheit und Opposition verfassungsmäßig gemeinsam reagieren.

Es gibt Wirtschaftsvertreter, die generell von einem wirtschafts- und investitionsfeindlichen Klima im Land sprechen – weil Projekte so lange und breit diskutiert werden, bis sie irgendwann ihre Berechtigung verlieren.
Es scheint letzthin manchmal schon so zu sein, dass etwas Neues a priori als schlecht, gefährlich und brisant beurteilt wird. Aber diesbezüglich gibt es auch außerhalb von Südtirol die Beobachtung, dass Menschen in Wahlkabinen eher konservative Entscheidungen treffen, also tendenziell nicht für das Neue und den Wechsel sind. Die Frage muss deshalb sein, wie man mit solchen Instrumenten umgeht.  Ich glaube nicht, dass man in Südtirol das Kind mit dem Bade ausschütten sollte und jede Entscheidung delegiert, weil man sich nicht mehr traut, selbst zu entscheiden.

Meine Aufgabe ist es, ein Konzept für den Flughafen zu formulieren, das so überzeugend ist, dass es vielleicht überhaupt nicht zur Sammlung von Unterschriften kommt.

Also kein Zuviel an Direkter Demokratie?
Grundsätzlich bin ich immer noch der Meinung, dass die Politik auch den Mut haben sollte, Entscheidungen zu treffen. Die Instrumente der Direkten Demokratie sind eine wichtige Ergänzung, ein Korrektiv zur repräsentativen Demokratie. Damit schafft man die Möglichkeit, politische Entscheidungen  in Frage zu stellen und zu korrigieren, wenn es dafür keinen weitgehenden Konsens gibt. Wichtig wäre dabei allerdings auch in der Argumentation nicht ideologisch zu werden. Das muss man in Zukunft noch besser lernen, nicht immer gleich die Mächte des Bösen hinter jedem Argument zu vermuten, ob im Pro- oder Contra-Lager solcher Abstimmungen. Hier würde ich mir mehr Sachlichkeit und Abwiegen der Argumente in den Diskussionen wünschen.

Hätten sie in Mals, Brixen oder Meransen gewünscht, dass die Politik statt dem Volk entscheidet?
Das waren alles Entscheidungen auf Gemeindeebene, und mir ist wichtig, dass die Gemeinden selbst entscheiden, in welcher Form die demokratische Willensbildung stattfindet. 

In Mals hat dagegen die Gemeinde darüber hinaus entschieden, über eine Frage abstimmen zu lassen,  für die ihr von vielen Seiten die Kompetenz abgesprochen wird. Sehen Sie Defizite bei der Zulassung von Instrumenten der Direkten Demokratie?
Die Landesregierung hat seinerzeit die zuständige Kommission in Mals aufgefordert, noch einmal zu prüfen, inwiefern die Fragestellung in der Form tatsächlich zulässig ist, weil es eben erhebliche Zweifel in Sachen Kompetenz  gab. Und das hat nichts mit Sympathien für ein Ja oder ein Nein zu tun. Wir haben nun einmal eine Rechtsordnung, die vorsieht, dass immer auf der Ebene des zuständigen Gesetzgebungsorgans abgestimmt wird. Es ist deshalb schon verwunderlich, dass die Kommission in Mals zum Ergebnis kam, dass sie diese Frage nicht interessiert. Die Verantwortung dafür wird nun sie tragen müssen. Ich schließe mich in jedem Fall 100-prozentig der Auffassung von Arnold Schuler an, dass wir bei diesen Grundregeln und Aufgaben der Kommissionen mehr Klarheit schaffen sollten. Vor allem im Interesse der BürgerInnen, die an den Volksbefragungen teilnehmen.

Ich glaube nicht, dass man in Südtirol das Kind mit dem Bade ausschütten sollte und jede Entscheidung delegiert, weil man sich nicht mehr traut, selbst zu entscheiden.

Also hätte Mals nicht über den Pestizideinsatz abstimmen dürfen?
Doch, aber wenn dieser Punkt berücksichtigt worden wäre, hätte man die Frage zum Beispiel mit einem „im Rahmen ihrer Zuständigkeiten“ ergänzt. Wahrscheinlich wäre das Ergebnis genauso ausgefallen, aber dann wäre die Botschaft auch klar gewesen, und man hätte den Leuten nichts vorgemacht.

Trauen Sie es Bürgermeister Ulrich Veith zu, die Frage doch im Rahmen der Zuständigkeiten der Gemeinde zu regeln?
Ich denke der Bürgermeister hat die entsprechende Botschaft klar vernommen, und ich gehe davon aus, dass er seine politische wie gesetzliche Verantwortung wahrnehmen wird.

Auch die Südtiroler Volkspartei war heuer bereits Verlierer eines Referendums. Nach dem Versenken ihres Gesetzes zur Bürgerbeteiligung müssen sie diese nun neu regeln. Haben Sie nach den Erfahrungen der drei Volksabstimmungen bzw. befragungen noch mehr Klarheit in welche Richtung es gehen soll?
Es wird nun darum gehen, in einer breiten Diskussion auszuloten, wie ein Gesetz zur Direkten Demokratie ausschauen kann, dass zu Land und Leuten passt. Das heißt natürlich auch zu den Erwartungshaltungen der BürgerInnen – aber nicht nur jener die sehr engagiert sind, sondern auch solcher, die Entscheidungen lieber der repräsentativen Demokratie überlassen. Wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt und mehr Mitbestimmung haben möchte. Doch auf der anderen Seite sind auch klare Entscheidungen gefragt, damit etwas weitergeht im Land. Und ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus.

In Zukunft muss man noch besser lernen, nicht immer gleich die Mächte des Bösen hinter jedem Argument zu vermuten, ob im Pro- oder Contra-Lager solcher Abstimmungen.

Damit werden Sie wieder bei der heiklen Frage der Zugangshürden landen, die wesentlich zum Fall des letzten Gesetzes zur Bürgerbeteiligung beigetragen hat.
Dieser Diskussion möchte ich nicht vorgreifen, dafür sind jetzt die Arbeitsgruppen zuständig. Ich kann nur sagen, dass Völs in meiner Zeit als Bürgermeister zu einer der ersten Gemeinden Südtirols gehört hat, die kein Quorum bei Referenden verlangt haben. Und ich halte es auch für sehr unsympathisch, wenn bei Referenden dafür geworben wird, am besten nicht hinzugehen. Doch wir müssen gleichzeitig sicherstellen, dass es qualifizierte Mehrheiten gibt, und nicht wenige Stimmen darüber entscheiden, ob es in die eine oder andere Richtung geht. Ich denke aber, dass auch viel von den Fragestellungen abhängt, an denen muss noch viel genauer gearbeitet werden.

Dann könnten Sie sich auch eine Fragestellungen zum möglichen nächsten Referendums-Kandidaten Flughafen vorstellen, die dazu beiträgt, dass eine Entscheidung in Ihrem Sinne ausgeht?
Es wird sicher nicht an der Regierung liegen, hier eine Fragestellung vorzugeben. Die wird wenn überhaupt von den Promotoren eines Referendums kommen. Meine Aufgabe liegt vielmehr darin, ein Konzept für den Flughafen zu formulieren, das so überzeugend ist, dass es vielleicht überhaupt nicht zur Sammlung von Unterschriften kommt. Doch sollte dies der Fall sein, werden wir versuchen so zu überzeugen, dass wir die Abstimmung auch gewinnen. 

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Profil für Benutzer Riccardo Dello Sbarba
Riccardo Dello… Di., 23.09.2014 - 09:31

Sull'aeroporto ha cambiato posizione. In campagna elettorale aveva detto: "L'aeroporto così non va. Elaboreremo un nuovo concetto e lo sottoporremo al referendum". Ora il referendum lo devono convocare gli altri.

Di., 23.09.2014 - 09:31 Permalink
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Hans P. Di., 23.09.2014 - 18:47

Es ist einfach nur tragisch, Achammer redet von Öffnung der Partei, Pahl will sein Geld nicht zurückgeben, Schuler und Kompatscher müssen die direkte Demokratie neu erfinden. Das Volk wird einfach ignoriert - siehe Mals - !! Und nun wundert sich die SVP über bis zu 30% Mitgliederschwund - wacht endlich auf!

Di., 23.09.2014 - 18:47 Permalink