Politik | Kommentar

Los von Borniertheit!

Wie verblödet Südtirols Gesellschaft inzwischen ist, zeigen die Polemiken um den Maturaball auf Schloss Sigmundskron.

Eine Streitfrage, die die Historiker seit Jahrzehnten beschäftigt, ist jetzt endlich entschieden.

Es waren nicht Silvius Magnago und seine Mitstreiter in der SVP, die Südtirol die Autonomie gebracht haben. Ebenso wenig waren es die Mannen um Sepp Kerschbaumer und der BAS, die Südtirol zum zweiten Autonomiestatut gebombt haben.
Südtirol hatte unheimliches Glück. Das „Los von Trient“ und in Folge das zweite Autonomiestatut konnten nur deshalb erreicht werden, weil es in den fünfziger und sechziger Jahren noch keine paragraphenreitenden Beamten gab. Und vor allem keine Überwachungskommission für öffentliche Veranstaltungen.
Stellen Sie sich vor: 35.000 Menschen strömten am 17. November 1957 nach Schloss Sigmundskron um die Reden von Silvius Magnago & Co anzuhören. Man drängte sich im Schlosshof zusammen und die Menschen standen auf den Mauern. Es war ein historischer Tag, der Südtirols Geschichte nachhaltig verändert hat.
Und das alles ohne, dass es einen Notausgang gibt. Ohne Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen. Weder ohrbestöpselte Security war vorhanden, noch hatte man das Sicherheitsformular 7b unterschrieben. Natürlich hatte man auch vergessen, die Gemeindekommission für Sicherheitsfragen oder öffentliche Veranstaltungen vorab zu informieren. Denn diese hätte nach einem Lokalaugenschein sicher ein negatives Gutachten abgegeben.
Die SVP und Magnago hätten das „Los von Trient“ kurzerhand absagen müssen. Der Ruf nach Autonomie oder Selbstbestimmung Südtirols muss wegen fehlender Notausgänge und Sicherheitsbedenken der Beamten leider aufgeschoben werden.

Was so absurd klingt, ist ein Stück Südtiroler Realität. Die Klasse 5A des Bozner Realgymnasiums hat vergangenes Wochenende auf Schloss Sigmundskron ihren Maturaball abgehalten. Seit Wochen gibt es eine öffentliche Polemik um diese unscheinbare Feier. Der Grund: Die zuständige Gemeindekommission hat ein negatives Gutachten abgegeben. Die Begründung: Sicherheitsbedenken und fehlende Notausgänge.
Weil die Diktatur der Beamtenschaft, die Oberherrschaft der Polizei und das unverrückbare Dogma der Verwaltungs- und Sicherheitsbibel längst das öffentliche Leben in diesem Land bestimmen und nicht der Hausverstand oder das Verantwortungsbewusstsein der Bürger, sollte damit das letzte Wort gesprochen sein.
Doch der zuständige Stadtrat und Bozner Vizebürgermeister Klaus Ladinser hat sich erlaubt, den Maturaball doch noch zu genehmigen. Jetzt herrscht Empörung. Man habe eine unzumutbaren Präzedenzfall geschaffen. Dieser präpotente Politiker, der sich über das Gutachten der Fachleute hinwegsetzt... ecc.
Allein die Diskussion ist zum Schämen und zeugt von kaum zumutbarer Blödheit. Unsere Maturanten dürfen in der Schule das „Los von Trient“ lernen. Sehen die Bilder des großen Tages, die Großeltern und die Politiker erzählen mit geschwelter Brust von den 35.000 Menschen im Schlossrund, die friedlich Südtirols Geschichte änderten.
Und dann sollen 1.500 oder 2.000 jungen, tanzende und feiernde Menschen eine Gefahr sein. Ein Sicherheitsrisiko. Sie feiern keine Orgie oder keinen Kiffer-Evening, sondern es ist ein ganz normaler Maturaball. Der einzige Unterschied: Der Ball findet nicht in einem der stickigen Kulturhäuser, sondern unter freiem Himmel statt und es spielt nicht das „Schlernsextett“ auf, sondern DJ Ralph Cieli und die Band „Peppi & die Haislraggler“.

Die SVP und Magnago hätten das „Los von Trient“ kurzerhand absagen müssen. Der Ruf nach Autonomie oder Selbstbestimmung Südtirols muss wegen fehlender Notausgänge und Sicherheitsbedenken der Beamten leider aufgeschoben werden.

Es darf in Südtirol aber anscheinend nichts geben, was nicht in das bornierte Weltbild der Paragraphenreiter passt. Einen Open-Air-Ball gab es bisher nicht. Jetzt hat man einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, der Südtirols Gesellschaft in seinen Grundfesten erschüttern könnte.
Dazu kommt noch eine von Neid getriebene gesellschaftliche Paranoia. Denn seit Wochen kursiert eine besondere Erklärung für diesen Fall. In der Maturaklasse 5A sitzt auch ein Sohn von Landeshauptmann Arno Kompatscher. Nur deshalb habe man den Maturaball erlaubt. Also wieder einmal eine politische Intrige und reinste Freundlerwirtschaft.
Ich jedenfalls kann verstehen, warum viele junge Menschen den Respekt vor dieser Gesellschaft verlieren.