Gesellschaft | Jugendgericht

Fremdbetreuung im Visier

Schwere Vorwürfe an das Bozner Jugendgericht vom Forum Kinderrechte. Wann unternimmt die Politik endlich etwas gegen die Willkür des Kindesentzugs am Jugendgericht?

Über die Facebook-Gruppe „Stopp dem Kindesentzug und der Willkür am Jugendgericht Bozen“ oder eine Avaaz-Kampagne erhebt das Forum Kinderrecht bereits seit längerem schwere Vorwürfe gegen das Bozner Jugendgericht. Nun macht eine Mutter aus seinem Umfeld mit einem offenen Brief an Landeshauptmann Arno Kompatscher erneut auf das problematische Thema aufmerksam. Neben ihrer persönlichen Geschichte berichtet sie von Stimmen, die immer öfter gegen „einen nicht gerechtfertigten Kindesentzug durch das Jugendgericht laut werden“.

„Ich möchte Sie bitten für mein Kind und für alle anderen gewaltsam entzogenen Kinder zu kämpfen!  Bitte gehen Sie der Sache auf den Grund! Wir, die vielen betroffenen Eltern fragen uns schon lange: Wann unternimmt die Politik endlich etwas gegen diese belegten und bereits bekannten Missstände in den Sozialdiensten, bei den nicht objektiven Gutachern und natürlich vor allem gegen den Missstand und der Willkür des Kindesentzugs am Jugendgericht unter der Präsidentin Brunhilde Platzer.“

Rund 50 Fälle pro Jahr außerhalb der Provinz

Politisch aktiv geworden ist zu dem Thema bereits in der Vergangenheit vor allem der Landtagsabgeordnete Pius Leitner. In Landtagsanfragen zum Thema erfuhr der Freiheitliche  von der zuständigen Landesrätin Martha Stocker nicht nur, dass man „aus professioneller Sicht nicht von Kindesentzug, sondern von einer Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen spricht“. Vor allem legte Stocker konkrete Zahlen zu einer der „komplexesten und sensibelsten Maßnahmen zum Schutze von Kindern“ vor. Zwischen 60 und 115 Minderjährige seien zwischen 2009 und 2012 alljährlich innerhalb der Provinz fremduntergebracht worden. Außerhalb der Provinz bewegten sich die Zahlen in den vergangenen Jahren bei rund 50 Fällen pro Jahr. Die Kosten dafür beliefen sich innerhalb der Provinz 2012 auf 6,6 Millionen Euro pro Jahr. Für die Fremdunterbringung außerhalb der Provinz gab die öffentliche Hand 1,5 Millionen Euro aus.

Einer der bekanntesten Fälle, der im vergangenen Jahr für öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema gesorgt hatte, war jener eines 13-jährigen Jungen, der ohne das Einverständnis seiner Eltern in Fremdbetreuung in eine Therapieeinrichtung in Forlì überwiesen wurde. Beim Jungendgericht selbst war Präsidentin Brunhilde Platzer am Montag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Allerdings hatte es in der jüngeren Vergangenheit von Seiten des Gerichts bereits Informationstreffen mit Vertretern der Politik gegeben, um die öffentlichen Anschuldigungen des Forums zu entkräften.

"Kein Grund zur Alarmbereitschaft"

„Es gibt weder einen Anstieg von Fällen noch andere Gründe für eine Alarmbereitschaft“, sagt auch Benno Baumgartner, Koordinator der Sektion Bozen-Trient der Vereinigung der Jugendrichter Italiens. Klarerweise sei die Betreuung eines Kindes außerhalb seiner Familie ein hochemotionales Thema, das allerdings großteils im Einverständnis mit den Eltern stattfindet. „Eine solche Maßnahme wird von Fall zu Fall entschieden, und nie ohne eine umfassende vorhergehende Abklärung“, so Baumgartner. Die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer Familie werde nur verfügt, wenn alle anderen Maßnahmen zu keiner Verbesserung der Lage der Minderjährigen geführt haben oder wenn ein unmittelbarer Schutzbedarf in Gewalt- und Mißbrauchsituationen besteht."

Ob Arno Kompatscher solche Erklärungen ausreichen, wird sich noch zeigen. Pius Leitner kündigte bereits am Montag weitere Landtagsanfragen zum Thema an. Inhaltlich will sich der Freiheitliche zwar nicht äußern. „Doch die wenig transparente Art und Weise, wie man mit der Materie umgeht, finde ich schon sehr problematisch.“