Ich halte mich derzeit für einige Tage in Rom auf und geniesse Stadt, Klima, Museen und Kirchen. Heute war ich in meiner Lieblingskirche Santa Maria Sopra Minerva, die der klugen Schutzpatronin Italiens geweiht ist, der Heiligen Katharina. In der Kirche gibt es neben Skulpturen von Michelangelo und Bernini wunderbare Freskos von Fra Angelico, an denen ich mich nicht sattsehen kann. Strahlende Pastellfarben, Gold, Sonne, Licht! Und das in einer Kirche, die obendrein ein blau-goldenes Sternenhimmel-Gewölbe hat.
Beim Hinausgehen fiel mein Blick auf die Anzeigetafel. Und zwar auf ein gelbes Plakat auf dem sinnegmäss zu lesen steht: Wir dürfen nicht wegschauen von dem, was derzeit im Irak und in Syrien passiert. Nicht nur die Jesiden, sondern auch Tausende von Christen werden dort verfolgt. Sie werden vertrieben, ihr Besitz beschlagnahmt. Ihre Frauen und Kinder werden geraubt und als Sklaven verkauft. Auf ihre Häuser malen die einfallenden Terror-Milizen die Buchstaben NUN (Christen). Diese Markierung dient dazu, Haus und Besitz als Kriegsbeute freizugeben. Auf dem gelben Plakat steht abschliessend: Malen auch wir aus Solidarität mit den verfolgten Glaubensbüdern auf unsere Wohnungstüren die Buchstaben NUN, um auf diese Tragödie aufmerksam zu machen.
Dieser Aufruf hat mich betroffen gemacht, denn über die anhaltende Christenverfolgung im ehemaligen Mesopotamien durch die ISIS-Terrormilizen wird sehr wenig gesprochen und geschrieben. So, als ob man sich nicht trauen würde, dieses Thema anzugehen, weil der Verdacht entstehen könnte, man wäre antiislamisch eingestellt.
Diese Meinung wird vor allem in linken Kreisen geteilt, die ja auch der Auffassung sind, dass Muslime ihre Frauen durchaus verprügeln können, weil es in ihrer Religion und Tradition erlaubt ist...
Genau diese verdrängten Diskussionen treiben dann Tausende von Menschen zu Pegida-Protesten auf die Strasse. Nicht von ungefähr sind es die einzig wirklich liberalen, weltoffenen und laizitischen deutschen Medien, die stressfrei über dieses Thema berichten und diskutieren und denen ich mich anschliesse. Nämlich: das Wochenblatt "Die Zeit" und "Der Spiegel".
Im "Spiegel" wird, wenn auch mit einer kritischen Anmerkung über die Verlässlichkeit der Zahlen des christlichen Hilfswerks Open Doors, der Weltverfolgungsindex 2015 veröffentlicht. Er enthält ein Ranking von Staaten, in denen die Christen am meisten diskriminiert werden. Demnach werden weltweit geschätzte 100 Millionen Christen angefeindet, diskriminiert, vertrieben, verfolgt oder getötet. Der "Spiegel" beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf das amerikanische Forschungszentrum PEW, das zum Schluss kommt, dass derzeit Christen und Muslime am meisten angefeindet werden.
Dass Muslime sozialen Anfeindungen ausgesetzt sind, habe ich gewusst. Dass es ebensoviele Christen sind, die damit zu kämpfen haben, war mir neu und beweist die Einseitigkeit der "Verfolgungsdebatte". Die Ergebnisse der Open Doors Studie: an erster Stelle des Christenverfolgungs-Index steht Nordkorea, wo Christen aufgrund ihrer Religion zum Tode verurteilt werden können. 70.000 Christen, die als Feinde des Regimes eingestuft werden, befinden sich in Arbeitslagern.
An zweiter Stelle steht Somalia, wo Christen verfolgt und getötet werden. An dritter und vierter Stelle befinden sich der Irak und Syrien. "Durch das Kalifat des Islamischen Staates mit Mord, Vertreibung und Sklaverei ist ein Allzeit-Tief erreicht", heisst es in der Studie. Die christliche Gemeinschaft in der irakischen Ninive-Ebene nordwestlich von Mossul sei komplett verschwunden. Von den 1,2 Millionen Christen, die Anfang der 90iger Jahre im Irak lebten seien nur 300.000 übrig.
Im Terrorstaat zwischen Irak und Syrien werden Christen auch wieder gekreuzigt, wie es vor einigen Jahrtausenden üblich war. Doch nicht nur Christen landen am Kreuz, sondern auch ganz einfache Diebe. Homosexuelle werden von einem Dach in den Tod gestossen, ehebrecherische Frauen gesteinigt - alles geschehen in den letzten Tagen und fein säuberlich von ISIS-Milizen dokumentiert, um zu beweisen, dass die Gesetze der Scharia auch tatsächlich angewandt werden.