Politik | Massenproteste

Türkische Frauen auf den Barrikaden

Die brutale Ermordung einer 20jährigen Studentin in Mersin war von Medien und Politik zunächst als tragischer Einzelfall abgetan worden. Das war eine Fehleinschätzung.

Bereits am vergangenen 11. Februar war in der türkischen Stadt Mersin die Psychologiestudentin Aslan Özgecan auf dem Nachhauseweg von der Universät auf grausame Weise ermordet worden. Sie war die letzte und somit die einzige, die sich im Kleinbus befand, als sie vom Chauffeur vergewaltigt und - weil sie sich wehrte - umgebracht wurde. Der Täter hackte ihr die Hände ab, dann rief er seinen Vater und einen Freund zu Hilfe. Sie transportierten die Leiche in die Nähe eines Flussbettes, um sie dort zu verbrennen.

Seitdem brechen die Proteste gegen männliche und häusliche Gewalt nicht mehr ab. Nicht nur die "liberalen" Frauen beteiligen sich an den Demonstrationen in allen Städten des Landes. Noch nie sah man soviele verschleierte Frauen, die ihrer Wut gegen die zunehmende Gewalt Luft machen.

15.000 Menschen gingen gestern, Mittwoch, 18. Februar in Mersin auf die Straße, darunter auch viele Männer.  Zuvor hatte die Beerdigung stattgefunden. Nur Frauen trugen den Sarg, und nur Frauen schaufelten das Grab und hoben den Sarg in die Erde. Damit signalisierten sie, dass Aslan auf ihrer letzten Reise nur von Frauen umgeben sein sollte.

Staatspräsident Erdogan hatte einige Tage abgewartet, bevor er seine Betroffenheit äußerte. Die vielen Proteste hatten ihn dazu veranlasst, denn normalerweise ist seine AKP-Partei der Auffassung, Frauen seien selbst daran Schuld, wenn sie vergewaltigt würden. Sie hätten sich gefälligst nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds auf der Straße zu zeigen. Ansonsten wäre es besser, sie blieben ganz einfach zuhause.

Entsprechend schockierend: die Vorschläge von AKP-Mitgliedern, wie Vergewaltigungen einzudämmen seien. So forderte der Anwalt Yavuz Balkan in einer Anfrage an die Regierung, dass jedem ledigen Mann in der Türkei ein wöchentliches Taschengeld von 75 Türkischen Lira für einen  Bordellbesuch ausgezahlt werde. Auf diese Weise würden Vergewaltigungen und Morde zurückgehen.

Seitdem die konservativ-islamische Partei in der Türkei die Macht übernommen hat, sind die Gewalttaten gegen Frauen um 400 Prozent in die Höhe geschnellt. Allein 2013 wurde eine Zunahme von Frauenmorden um knapp 40 Prozent verzeichnet.  

Der Tod von Aslan hat die türkischen Frauen endlich wachgerüttelt.  Für das Wochenende ist in Istanbul eine Demonstration geplant, an der Frauen in schwarzen Kleidern und Männer in Miniröcken teilnehmen.  

Neue, dramatische Aktualität erhalten die Proteste durch einen weiteren Frauenmord in Istanbul, der heute (Donnerstag, 19.02. Anm.d.Red.) bekannt wurde. Demnach hat ein Ehemann seine Frau zerstückelt und in den Abfall geworfen.

Der Hashtag #OezgecanAslan hat Millionen von Tweets verzeichnet. Unter #sendeanlat# (Erzähle auch Du)  berichten Frauen von ihren persönlichen Erfahrungen mit sexueller Gewalt.  

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Sylvia Rier Do., 19.02.2015 - 09:47

Ganz besonders schockiert - oder besser: Noch einmal ganz besonders schockiert - hat mich an dem Bericht über den Mord an Aslan Özgecan, dass der Täter seinen Vater (!) und einen Freund anrief, um sich bei der "Entsorgung" der Leiche helfen (!) zu lassen. Ganz beiläufig, als sei es gar nichts (Besonderes), eine Frau geschändet, ermordet, zerstückelt zu haben.

Dass die Frauen in der Türkei jetzt auf die Barrikaden gehen, ist ein kleiner, aber immerhin ein Trost.

Do., 19.02.2015 - 09:47 Permalink