Politik | Neue Opfer

Aschermontag in Athen

In der griechisch-orthodoxen Religion beginnt heute die Fastenzeit : nicht mit einem Aschermittwoch, sondern einem " reinigenden " Montag, einem Feiertag.

Beginn der Fastenzeit in Griechenland, dessen orthodoxe Bevölkerung sich bis zu Ostern aus Glaubensgründen Opfer beim Essen auferlegt.  Kein Fleisch mehr, auch keine Milch und keine Eier, sondern nur Gemüse, Hülsenfrüchte, Mehlspeisen aus Olivenöl und - wer es sich leisten kann - Fisch.  Essgewohnheiten, die in der  penetranten Krise , die Griechenland seit 6 Jahren durchlebt, ohnehin üblich sind.  

Alles ist geschlossen, auch die Athener Börse, deren Öffnung morgen mit besonderer Spannung verfolgt wird. Wenn die zuständigern EU-Organe in Brüssel dem vorgelegten Reformprogramm aus Athen gnädigerweise zustimmen, werden die Kurse stabil sein.  Andernfalls : grosse Verluste oder ein Prä-Crash, nachdem die griechischen Sparer in den letzten Wochen fünf Milliarden Euro von den Bankkonten  abgehoben haben.

Ich treffe einen befreundeten , wohlhabenden Kaufmann zu einem Kaffee in Plaka, wo er sein Geschäft hat. Georgios M. ist edel gekleidet, spricht mehrere Sprachen, ist weltgewandt und gebildet. Er  ist einer der radikalen Syriza-Anhänger. Ich frage, weshalb die Griechen, die ja eigentlich sehr patriotisch sind, ihre Banken so im Stich lassen. Die Antwort: die Banken hätten das griechisch-europäische Desaster mitzuverantworten, deshalb : keine Gnade. 

Deutschland, so Georgios, habe Griechenland den dritten Weltkrieg erklärt. Diesmal setzten die Deutschen nicht Waffen ein, sondern ihr Geld, ihre Industrie, ihre Banken. Die Griechen ihrerseits würden erneut erbitterten Widerstand leisten, wie im zweiten Weltrkrieg , ohne Rücksicht auf Verluste.

Zum Mittagessen bin ich mit einer Freundin bei einer Familie eingeladen, die von der Caritas unterstützt wird. Ein 56jähriger arbeitsloser Vater, die ebenfalls arbeitslose Mutter, die studierende Tochter und der 25jährige Sohn, begrüssen meine Freundin, die bei Caritas arbeitet und mich als zusätzlichen Gast.  Erhalten wird die Familie vom Sohn, der in einem Supermarkt arbeitet und  monatlich 750 Euro verdient. 

Weil ich leider noch kein neugriechisch spreche, lasse ich mich - gegen Bezahlung natürlich - von Theodoros begleiten, einem 23jährigen jungen Mann aus Athen. Er hat ein abgeschlossenes Jus-Studium vorzuweisen, spricht perfekt italienisch, deutsch und englisch. Sein TRaum: in Rom als Journalist zu arbeiten. Ich habe versucht, ihm diesen Traum auszureden, weil ich die Situation für angehende Journalisten in Rom nur zu gut kenne.

Theodoros arbeitet - gratis - für eine Internetzeitung. Das ist seine Leidenschaft. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Englischunterricht : sechs Euro pro Stunde - schwarz  -  wie er entschuldigend hinzufügt.  Er ist hellwach, hat  ein ungewöhnliches Auffassungsvermögen und ist immer gut gelaunt. Und das, obwohl seine Eltern geschieden und arbeitslos sind und ihn aus den jeweiligen Wohnungen hinausgeworfen haben, weil sie keinen Platz und kein Essen für ihn haben.  

Laut Caritas ist die Zahl der Armen in Griechland seit Einführung der von Europa auferlegten Austeritätspolitik auf 35,7 Prozent der Bevölkerung gestiegen.  Die Arbeitslosigkeit beträgt in Griechenland derzeit 27,3 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 58,3 Prozent. Immer häufiger kommt es vor, dass griechische Mütter ihre neugeborenen Kinder im Krankenhaus zurücklassen. Sie können sie nicht ernähren. 

Freiwillige und private Organisationen unterstützen die Schulausspeisungen, weil die Kinder ohne Frühstück in die Schule kommen und ausschliesslich auf das Mensa-Essen angewiesen sind. Im Gegensatz zu früher spenden die grossen Supermarktketten derzeit immer weniger. Auch sie sind von der Krise betroffen. Bis vor zwei Jahren wurden massiv  Lebensmittel mit überschrittenem Verfallsdatum an Schulen und Armen-Ausspeisungen verteilt .  Selbst diese verfallenen Lebensmittel seien jetzt knapp geworden.

Freiwillige Ärztegemeinschaften, die für Caritas arbeiten, bestätigen, dass es in den öffentlichen Spitälern keine Anti-Krebsmedikamente mehr gibt. Wer es sich leisten kann, fährt ins Ausland, kauft dort privat die meist teuren Medikamente und lässt sie sich in Griechenland verabreichen.

Die Krise in Griechenland ist so weit fortgeschritten, dass selbst die albanischen Gastarbeiter das Land verlassen und in die Heimat zurückkehren, wo es ihnen besser geht. 

Selbstverständlich gibt es auch Reiche und Superreiche in Athen. Bei einer Vertreterin dieser "Oberen Zehntausend" war ich zum Damen-KaffeKränzchen eingeladen.  Ich traf an, was ich erwartet hatte  : Super- Wohnung, tolle Bilder, feinstes Prozellan,  stilvolle Kleidung - und viel unnötigen Klatsch und Tratsch.

In den guten Athener Familien ist es üblich,  alles nur von der Abstammung der einzelnen Persönlichkeiten her zu interpretieren.  Zum Beispiel: Finanzminister Varoufakis , obwohl - oh  Schreck bei Syriza gelandet - ist gut. Denn er stammt aus einer angesehenen Familie, hat Privatschulen besucht usw...

Alexis Tsipras ist dagegen ein Nichts, ein Niemand. Sein Vater war "nur" Ingenieur und er habe, so wird hinter scheinbar vorgehaltener Hand getuschelt , während der Militärjunta öffentliche Aufträge erhalten. Mein mehrmals vorgebrachter Einwurf,  dass das  ja nichts mit dem Sohn zu tun habe, wurde beharrlich überhört. 

Ob die Damen lieber die neonazistische " Goldene Morgenröte" an der Regierung sähen, fragte ich. Das empörte, einstimmige "Nein" als Antwort war echt. Wie solls dann weitergehen? Eine Notstandsregierung aus allen Parteien werde es über kurz oder lang geben, sagte die Damenrunde voraus.  Eine interessante Prognose.   

      

 

 

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Frank Blumtritt Di., 24.02.2015 - 23:23

Das ständig auftauchende Wort "Strukturreformen" irritiert mich... was heißt denn das im Klartext? Nehmen wir an, alle Länder hätten genau dieselbe "Struktur" wie Deutschland. Wäre die Welt dann ein Paradies? Wohl kaum, denn das gängige Weltwirtschaftssystem braucht winner und loser, lokal und global, sonst ist es sinnlos.

Di., 24.02.2015 - 23:23 Permalink
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Martin Daniel Di., 03.03.2015 - 17:53

Antwort auf von Frank Blumtritt

Nun ja, auf alle Fälle wissen wir wie eine Struktur nicht aussehen soll, nämlich so, dass auf Dauer jährlich weit mehr ausgegeben wird als eingenommen. Und keiner dafür belangbar ist. Italien kennt das Problem, am Bsp. der Renten am besten zu sehen: Bis 1998 konnten gewisse Kategorien von Staatsangestellten so früh in Rente gehen, dass sie 2-3mal so viel erhielten als sie einbezahlt hatten. In Italien wurden bestimmte Privilegien angegangen, ebenso die Hinterziehung - wenn auch mit bescheidenen Erfolgen. So lange es in anderen Ländern polit. Kräfte gibt, die meinen, man muss Verantwortungslosigkeit aus sozialen Gründen immerfort belohnen, haben sie eh recht, die Griechen wenn sie auf die Reformen pfeifen.

Di., 03.03.2015 - 17:53 Permalink
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Frank Blumtritt Di., 03.03.2015 - 20:09

Antwort auf von Martin Daniel

Also noch mal: wenn Jemand mehr einnimmt als er ausgegeben hat (wie zB die Deutschen), dann hat er diese Einnahmen Jemand anderem weggenommen (zB Griechenland). Ist doch völlig logisch, dass nicht alle in der Welt nur verdienen können (weltweit sogar nur sehr wenige).
Bestimmte Länder haben nun mal historisch schon immer mehr Ressourcen und know-how gehabt (zB die USA und Deutschland) als andere (zB die Mittelmeerländer, Afrika...) und können es sich somit leisten den anderen Lektionen in "Verantwortungsbewusstsein" zu erteilen.

Di., 03.03.2015 - 20:09 Permalink