Gesellschaft | Ein Wagnis

Schreiben in der „anderen“ Sprache

Von der Angst, Fehler zu machen, oder warum wir das Sprechen und vor allem das Schreiben in der anderen Sprache nicht als kreativen Selbstausdruck nutzen wollen.

«In italiano scrivo senza stile, in modo primitivo. Sono sempre in dubbio. Ho soltanto l’intenzione, insieme a una fede cieca ma sincera, di essere capita e di capire me stessa» (Jhumpa Lahiri)

Vor kurzem habe ich ein Buch gelesen, das mich tief beeindruckt und begeistert hat. Das Buch wurde von einer amerikanischen Autorin geschrieben, Jhumpa Lahiri ihr Name, in italienischer Sprache. Sonderbar, denn Jhumpa Lahiri ist bengalischer Herkunft und schreibt normalerweise auf Englisch. Wieso sie dann ein ganzes Buch auf Italienisch geschrieben hat, erklärt sie im Text selbst. Daher erspare ich mir eine Zusammenfassung, in der Hoffnung, dass auch ihr das Buch lesen werdet. Meinen Eindruck möchte ich aber trotzdem mit einem Bild verdeutlichen. Es ist, als ob die Schriftstellerin allmählich in ein vertrautes Land eindringt und dort – gerade und endlich angekommen – eine kleine Steinskulptur errichten würde, wenn wir davon ausgehen dass Steine ihre Worte sind und die Skulptur ihr Buch, welche für sie nicht nur eine sprachliche Errungenschaft bedeutet, sondern der Beginn eines neuen Lebens in ihrem kreativen Prozess. Dafür verwendet Lahiri eine sehr aufschlussreiche Formel. Während Bengalisch ihre Muttersprache ist und Englisch eine Art Stiefmuttersprache, wird Italienisch ihre „Tochtersprache“: Ein zerbrechliches Medium ihrer Vorstellungen, die aber – da neu zu schaffen ist – nur ganz ihr gehören kann. Liebevoll und taktvoll verfolgt sie dann die ersten Schritte ihrer neuen Kreatur durch eine Welt, die jetzt langsam und immer besser geformt werden kann, bis das Werk vollendet ist und das neue Geborene allein gehen kann.

Während ich das Buch las, habe ich mich oft gefragt: Wieso eigentlich schreibe ich nie auf Deutsch? Auch meine Geschichte mit der deutschen Sprache ist eine Liebesgeschichte. Angefangen hat diese Geschichte, als ich siebzehn Jahre alt war und in meiner Heimatstadt Livorno lebte. Es waren zunächst Bücher – Franz Kafka, Thomas Bernhard, Robert Musil – die mir die Welt der deutschen Sprache eröffnet haben. Oder Filme, Werke von Regisseuren wie Werner Herzog, Wim Wenders, Margarethe von Trotta. Ich erinnere mich als ich „Der Himmel über Berlin“ gesehen habe. Nach der Vorführung blieb ich im Kino sitzen und wollte mir den Film sofort noch mal anschauen. Die Entscheidung Deutsch zu lernen, war schon getroffen. Dann habe ich Philosophie (damals war dies die einzige mögliche Schreibweise des Wortes) studiert. Deutsch lernen war fast unumgänglich, wenn man bestimmte Autoren näher kennenlernen wollte. Ich spezialisierte mich auf die Philosophie Heideggers. Nach einem Jahr Aufenthalt in Bremen konnte ich ihn in der Originalsprache lesen. Und dann bin ich nach Südtirol gezogen. Theoretisch ein idealer Ort, um Deutsch und Italienisch zu sprechen, das Beste beider Kulturen zu genießen. Aber nur theoretisch, in der Tat. Die lebendige Sprache, zu der auch die Schrift gehört, blieb irgendwie auf der Strecke, der Mut mich auch schriftlich auszudrücken, war weitgehend ausgelöscht, verloren.

Gewiss, ich konnte mich mit meinen deutschsprachigen Mitbürgern durchaus verständigen. Ich konnte immer alles verstehen, mehr oder minder auch im Dialekt. Aber der notwendige Prozess einer vollkommenen Sprachidentifikation konnte sich nie entfalten. Deutsch war nicht meine Sprache, und sie hätte es nie sein können. Einerseits die Angst Fehler zu machen, auch kleine, korrigierbare Fehler, die aber immer wieder bestätigten, dass ich nicht wirklich „dazugehörte“ und „dazugehören hätte können“; Anderseits die Bequemlichkeit, diese schreckliche und gemütliche Faulheit zugleich, genährt von der Gewissheit, die mich (fast) zu resignieren überzeugt hat: Hier gibt es keine Notwendigkeit, keine wirkliche Notwendigkeit, sich sprachlich weiter zu entwickeln. Die einfache Überwindung der Zweisprachigkeitsprüfung - eine Prüfung, die man sogar nur einmal im Leben ablegen kann! – schloss den engen, agoraphobischen Kreis. Für viele Südtiroler, besonders italienischer Muttersprache, ist das Zweisprachigkeitszertifikat das Ende ihres sprachlichen Lernprozesses: Danach kann man ruhig wieder einsprachig bleiben.

Wie lässt sich so ein Kreis brechen? Wie können wir die Hindernisse wegräumen, die uns den Weg zu einem aktiveren Umgang mit der „fremden“ Sprache versperren? Wo sind die kommunikativen Räume in denen die Lust und der Sinn für eine zwangsfreie Notwendigkeit, sich in der Sprache der Anderen auch schriftlich zu erproben, tatsächlich erweckt werden können? In seiner tiefsinnigen und bedeutenden Schrift Culture, barriere, vincoli (Scritti sudtirolesi, Weger 2004), hat Professor Hans Drumbl an ein Zitat des englischen Dichters John Donne erinnert, den schon Franz Tumler in seiner Erzählung Wie entsteht Prosa erwähnt hatte: „To find out what you cannot do, then go and do it: There lies the golden rule“. Im Grunde genommen das, was ich gerade gemacht habe. Aus einer goldenen Regel eine Gewohnheit entwickeln, das ist die Aufgabe die wir uns stellen sollten.

P.S. Ohne die Hilfe von Christine Helfer hätte ich nicht den Mut gehabt diesen Text zu veröffentlichen. Ich danke ihr herzlichst.      

Grande, grandissimo Gabriele, come sempre!
E anche la "propria" lingua è sempre un'"altra" lingua, ma le "altre" lingue - ancor di più - ci regalano quel senso di ESTRANIAMENTO che è la vera essenza dell'essere su questo oggetto rotondo il quale circola attorno un'altro oggetto rotondo ben più caldo, ma alla fine non si sa bene PERCHÈ. Poi forse arriviamo a intuire che non ci sono cose proprie o altre, ma solo cose più o meno vicine, e tutte PASSEGGERE, STRANE e BELLE. E ogni lingua sarà CONVULSA, o non sarà affatto. Grazie Gabriele!

Mi., 15.04.2015 - 22:05 Permalink

liebster gdl, du bist der erste in diesem engen dolomitengehege mir bekannte italiener der einen beitrag in deutscher sprache zu einem so hochrangigen thema schreibt. gut gemacht! gut getan. meine aufrichtige bewunderung. du themenzeichner, du.

Mi., 15.04.2015 - 22:35 Permalink

Auch wenn Sander, Ganz, Handke und Wenders die Messlatte sehr hoch legten, lass uns die Himmel über Bozen bekommen. Vom Mut, in der Zweit/Dritt-Sprache wissentlich nichtperfekt öffentlich zu schreiben, weil Symbolik und Dialog eben höhere Güter sind als Eitelkeit und Vermeidung von Peinlichkeit, bin ich bekannterweise auch nicht verschont geblieben. Mi associo con il commento di Benno Simma.

Mi., 15.04.2015 - 23:05 Permalink

Caro gadilu,

mi augurerei di poter, una volta nella mia vita, scrivere un cosí bell' italiano, com tu lo hai fatto qua con il tedesco.
Grazie per l' impegno.

Jonny

Do., 16.04.2015 - 13:55 Permalink

Ich habe erst kürzlich einen historischen Beitrag, den ich in italienischer Sprache verfasst hatte, in die deutsche übersetzen müssen, und dabei festgestellt, dass dies gar nicht so einfach war. Ich finde es jedenfalls bequemer, jeweils in der gefragten Sprache zu schreiben, als sich mit Übersetzungen abzuplagen.

Fr., 17.04.2015 - 00:48 Permalink