Gesellschaft | Flüchtlinge

"Die Begleitmusik beunruhigt mich"

Ist es in Ordnung, wenn Bezirkspräsidenten Flüchtlingsunterkünfte als Kelch sehen, der an ihnen vorübergehen soll? Betrachtungen rund um den Bozner Flüchtlingsgipfel.

50 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Eine Million wartet auf die Überfahrt über das Mittelmeer. Direkt betroffen, wenn auch in unterschiedlicher Art sind davon Südtirol, Tirol und Bayern, wurde beim Bozner Gipfel zwischen den drei zuständigen Landesrätinnen Martha Stocker, Christine Baur und der bayerischen Ministerin Emilia Müller am Mittwoch klar. Im bevölkerungsstarken Bayern mit seinen 12,6 Millionen Einwohnern sind derzeit 60.000 Asylantragsteller untergebracht, in diesem Jahr wird mit weiteren 70.000 Neuaufnahmen gerechnet. In Österreich werden derzeit insgesamt 40.000 asylsuchende Menschen gezählt. Rund 2800 davon sind in Tirol untergebracht, wo Landesrätin Baur bis Jahresende jedoch mit einem steilen Anstieg auf 4200 Menschen rechnet. Südtirol bleibt bei solchen Zahlen mit derzeit 472 Asylantragstellern eindeutig hinten. Hier liegt die Herausforderung derzeit vielmehr in der Bewältigung der Situation der Flüchtlinge auf der Durchreise an den Bahnhöfen von Bozen und am Brenner, erklärte Stocker beim Bozner Flüchtlingsgipfel.

Einig waren sich die drei Politikerinnen dort vor allem über die Notwendigkeit, die Herausforderung gemeinsam anzugehen. Einstimmig begrüßt wurde auch die geplante Quotenregelung, die Martha Stocker als „Frage der Solidarität und Solidargemeinschaft in Europa bezeichnete“. „Es kann nicht sein, dass nur fünf Länder in Europa Flüchtlinge aufnehmen, und alle anderen ducken sich weg“, erklärte auch die bayerische Sozialministerin Müller. Dennoch zeichnet sich immer deutlicher der Widerstand einiger Staaten gegen den nun präsentierten Vorschlag der EU-Kommission für eine Quotenreglung ab. Demnach sollen in den nächsten zwei Jahren 40.000 Syrer und Eritreer nach fixen Quoten auf alle EU-Mitglieder verteilt werden – mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Dänemark. Den größten Anteil würden mit 22% die Deutschen tragen, gefolgt von Frankreich mit 17% sowie Spanien und Polen. Ob der EU-Rat der Regelung zustimmt, mit der vor allem Italien und Griechenland entlastet werden sollen, scheint allerdings derzeit äußerst fraglich.

Flüchtlinge am Innsbrucker Uni-Campus

„Diese Begleitmusik aus Auseinanderdividieren, Diskriminieren und Angstmacherei beunruhigt mich", erklärte die Tiroler Soziallandesrätin Baur am Mittwoch in Bozen. „Das muss aufhören, sonst ist die Herausforderung schwer zu meistern." Ob die Grüne Politikerin zu dieser Begleitmusik auch schon einen am Donnerstags erschienenen Artikel der Tageszeitung Dolomiten zählen würde? „Derfrogg und gfunds“, wird dort die Spekulation über die künftigen Standorte neuer Südtiroler Flüchtlingsunterkünfte übertitelt. Ein Thema, das der Landeshauptmann zuerst mit den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden angehen will. Doch schon davor beginnt die Polemik wieder zu köcheln. Macht man es der Bevölkerung leichter, die Aufnahme von Flüchtlingen als Pflicht zu akzeptieren, wenn Bezirkspräsidenten schon vorab erklären, dass der Kelch hoffentlich an ihnen vorübergeht, wie Albin Kofler von der Bezirksgemeinschaft Salten-Schlern? „Das haben die Eppaner schon lange befürchtet“, meint auch Oswald Schiefer gegenüber den Dolomiten zu Spekulationen um die Eppaner Mercanti-Kaserne. 

Wie es auch anders geht, wird einmal mehr in Tirol demonstriert. „In gesellschaftspolitischen Fragen muss eine Universität eine klare Meinung vertreten und auch danach handeln“, begründet das Rektorat der Universität Innsbruck seine Zustimmung, eine bei Umbauarbeiten entstandene Containersiedlung am Technik-Campus für ein Aufnahmezentrum zur Verfügung zu stellen. Rund 200 Flüchtlinge sollen dort vorübergehend untergebracht werden, bis eine feste Unterkunft für sie gefunden wird. Also ebenso viele Plätze, wie nun in Südtirol mit sieben neuen Strukturen geschaffen werden sollen. 

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Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Do., 28.05.2015 - 21:33

"Flüchtlings- und Migrationsbewegungen sind kein Problem das gelöst werden kann, sondern eine Realität mit der man umzugehen lernen muss" (vor kurzem im ORF, den Name habe ich mir leider nicht gemerkt).

Do., 28.05.2015 - 21:33 Permalink