Politik | ESF

"Ins offene juridische Messer rennen lassen"

Welche Schlüsse zieht Andreas Pöder aus dem ESF-Untersuchungsausschuss? Zum Beispiel, dass Luis Durnwalder nicht so unschuldig ist wie es Elena Artioli behauptet.

„Luis Durnwalder ist unschuldig“, verkündete die Vorsitzende des ESF-Untersuchungsausschusses Elena Artioli am vergangenen Wochenende in großen Lettern in der Neuen Südtiroler Tageszeitung. Zu ganz anderen Schlüssen im Millionen-Schlamassel um die Gelder des Europäischen Sozialfonds kommt dagegen Ausschussmitglied Andreas Pöder, der am Mittwoch seinen Minderheitenbericht vorlegte. Sein Fazit:

„Die frühere Landesregierung hat durch lockere juridische und verwaltungstechnische Handhabung, unklare Kriterien für die Projektträger, schwache bis regelwidrige Kontrollinstanzen die vielen Projektträger quasi ins offene juridische Messer der EU-Kontrolleure rennen lassen und ist politisch verantwortlich für die heutige Misere.“

Während seine Landtagskollegin Artioli im Tageszeitung-Interview die frühere Amtsdiektorin Judith Notdurfter und den ehemaligen Direktor der zuständigen Abteilung Thomas Mathà als Hauptschuldige des ESF-Debakels bezeichnet, belässt Pöder die Verantwortung nicht nur bei Luis Durnwalder und seinem ehemaligen Regierungsteam. Auch die aktuelle Landesregierung sei mit der Abarbeitung von mittlerweile rund 500 offenen ESF-Projekten und mit der Neuorganisation schlichtweg überfordert: „Weder die von Landeshauptmann Kompatscher versprochene Rettung der vielen Projektträger durch zügige Abwicklung der Projekte, noch das von Kompatscher versprochene "Stillhalten" der Banken, bei welchen Projektträger Überbrückungskredite aufnehmen haben müssen noch ein klares neues Regelwerk für neue Projekte sind im versprochenen Ausmaß eingetreten“, urteilt Pöder.

In seinem 16-seitigen Bericht zeichnet der Abgeordnete der BürgerUnion der BürgerUnion das von ihm konstatierte Versagen der ehemaligen und aktuellen Landesregierung in Sachen ESF aber weniger anhand der Anhörungen der vergangenen Monate, sondern vielmehr auf Basis von Zitaten in Medien und Antworten auf eigene Landtagsanfragen der vergangenen Jahre nach. In einer davon meint Landeshauptmann Arno Kompatscher  etwa, dass man von keiner wirklichen Blockade bei den ESF-Projekten sprechen könne. Eine Aussage, der Pöder in seinem Minderheitenbericht dezidiert widerspricht:

„Bei über 400 noch nicht abgewickelten Projekten und bei der Geschwindigkeit, mit der derzeit Projekte behandelt und kontrolliert werde,  kann man sehr wohl von einer faktischen Blockade sprechen. Dabei ist nicht das Amt selbst schuld an der Situation, sondern die niedrige Prioritätenstufe, mit welcher die Landesregierung und die höchsten Stellen der Landesverwaltung die Lösung der Thematik in Angriff nehmen.“

Noch weit härter geht Pöder allerdings mit den Vorgängern der Regierung Kompatscher ins Gericht. Aus Durwalders Antworten auf Anfragen zum ESF-Fonds folgert Pöder zum Beispiel, dass die frühere Landesregierung selbst die beanstandeten internen Kontrollen der Projekte „als externe Kontrolle betrachtet habe“. Die vielfach erst später entdeckten Unregelmäßigkeiten bei manchen Projekten einiger Verbände bzw. Projektträgern sind laut Pöders Bericht „teils auf systemische Mängel der gesamten Vergabepraxis, teils auf fehlende klare Anleitungen und Anweisungen durch das Amt, teils aber auch auf vorsätzliche falsche oder fehlende Angaben einiger Projektträger zurückzuführen.“

Zwei der am häufigsten festgestellten Unregelmäßigkeiten sind dabei die unkorrekte Abrechnung der Teilnahmegebühren bzw. Einnahmen sowie die Weitergabe an Subunternehmen. Bei ersterem wurden eingehobene Kursgebühren weder vom Projektträger noch vom Amt wie vorgeschrieben von den Brüsseler Beiträgen abgezogen. Auch sei es in manchen Bereichen gängige Praxis gewesen, Weiterbildungsprojekte an Subunternehmen weiterzugeben, obwohl dies prinzipiell nicht erlaubt war. Auch hier zeichnet Pöder anhand von Landtagsanfragen nach, dass die frühere Landesregierung sehr wohl über solche Unregelmäßigkeiten unterrichtet war – diese jedoch weder von der Politik noch der Verwaltung von vornherein unterbunden wurden. „Wo kein Kläger, da kein Richter – so das saloppe Fazit der früheren Landesregierung“, lautet seine Schlussfolgerung.

Eine Philosophie, die jedoch spätestens mit der Veränderung der Rahmenbedingungen gefährlich wurde. Denn mit der Wirtschaftskrise wurden bereits ab dem Jahr 2008 die Kriterien bei der Vergabe der EU-Fördermittel verschärft – und Brüssel drohte zunehmend zum Kläger zu werden. Der, wie Pöder einräumt, bei einigen Projekten Mängel feststellte, die vielfach nicht auf vorsätzliche Falschangaben oder Handlungen der Projektträger zurückzuführen seien, sondern auf systemische Fehler,  fehlende Vorgaben des Amtes oder die Weigerung, gängige Praxis durchzuführen. 

„Die Art der Kontrolltätigkeit und die plötzlich rückwirkend angewendeten Kriterien und auch die neue Handhabung der Kontrollen und Abrechnungen nach dem Führungswechsel in der Abteilung und im Amt haben viele Projektträger vor große Herausforderungen gestellt. Seitdem ist man im Amt vor allem darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Im Zweifelsfalle werden rigorose Kriterien angewandt. Auch der Personalwechsel im Amt hat zu Verzögerungen geführt. Seitdem verzögern sich insgesamt Projekte und deren Abnahme bzw. Kontrolle sowie die Auszahlung der Gelder. Projektträger kommen in ungeahnte finanzielle Schwierigkeiten, manche stehen vor dem Aus.“

Das Ergebnis ist weniger spektakulär, als es sich viele im Untersuchungsausschuss erhofften, beurteilte das Wochenmagazin ff den Abschlussbericht der Mehrheit. Die Minderheit trägt nun zumindest zu einem differenzierteren Bild bei als es Elena Artioli öffentlich zeichnet. Wir wollen mehr!

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Michael Bockhorni Mi., 03.06.2015 - 22:26

Spektakulär ist es, dass trotz einer vergleichsweise geringen Anzahl von Arbeitslosigkeit Betroffener, für Menschen mit Suchtproblemen, nach der Haft, in Wohnung- bzw. Obdachlosigkeit, etc. nicht ausreichend ESF geförderte Plätze zur Arbeitsintegration gegeben hat und gibt, sondern fast das gesamte Geldes in Weiterbildungsprojekte für „normale“ Arbeitnehmer_innen geflossen ist. Übrigens, das Einnahmen wie z.B. Teilnahmegebühren abgezogen werden müssen, gilt auch bei der Förderung von Vereinen in Meran.

Mi., 03.06.2015 - 22:26 Permalink