Politik | Polizze

"Weder Privilegien noch Kaste"

Chiara Avanzo wehrt sich. Denn sie hat den Vorschlag für eine neue Lebensversicherung für Regionalratsabgeordnete abgesegnet. Diese sorgt für Aufruhr.

Chiara Avanzo hat es nicht leicht. Die Präsidentin des Regionalrats steht seit Tagen unter Beschuss. Im Fall der Politrenten für Standhaftigkeit und hartes Durchgreifen bei der Forderung nach Rückzahlungen bekannt, wird Avanzo nun vorgeworfen, anderswo neue Privilegien für die Regionalratsabgeordneten zu schaffen. Die Anfeindungen lässt sie nicht auf sich sitzen: “Ich habe mich seit Anfang meines Mandats dafür eingesetzt, Privilegien jeglicher Form abzuschaffen.” Doch worum geht es?


Die Zwei-Drittel-Versicherung

Ende Mai erreicht die Regionalratsabgeordneten eine Email. Das Präsidium lässt darin anfragen, ob die Abgeordneten Interesse hätten, eine Lebensversicherung abzuschließen. Zwei Drittel der jährlichen Beiträge würden der Regionalrat übernehmen, ebenso zwei Drittel der Gesamtkosten für die Prämien – insgesamt 150.000 Euro. Bezahlt mit öffentlichen Geldern, sprich, von den Steuerzahlern. Den restlichen Teil müssten die Abgeordneten selbst finanzieren.

Bis Mitte Juni hätte man Zeit, dem Absender Bescheid zu geben, ob man das Angebot in Anspruch nehmen möchte. Unterzeichnet ist das Schreiben von Regionalratspräsidentin Chiara Avanzo. “Ja, die Unterschrift ist meine”, gibt Avanzo nach Bekanntwerden des lukrativen Angebots an die Abgeordneten zu. Doch will sie unmissverständlich klar gestellt wissen: “Die Idee zu dieser Lebensversicherung kam nicht von mir. Den Vorschlag haben mehrere Regionalratsabgeordnete gemacht.”


Bestehende Polizze aufgestockt

So seien es die tragischen Todesfälle von Gianbattista Lenzi 2009 und ihres Vorgängers Diego Moltrer 2014 gewesen, die einige Abgeordnete veranlasst hätten, die Lebensversicherung auf den Tisch zu bringen, so Avanzo. Konkret geht es darum, eine bereits bestehende Polizze auszuweiten. Bisher ist es so, dass im Falle eines tödlichen Unfalls während seines Mandats, den Hinterbliebenen eines Regionalratsabgeordneten eine Versicherungsprämie von 500.000 Euro ausbezahlt wird. Die neue Versicherung soll laut Angaben der Regionalratspräsidentin nun auch bei Tod durch Krankheit oder höhere Gewalt – “in caso di morte cagionata da qualsiasi causa” (“bei jeglicher Art des frühzeitigen Ablebens”) – greifen. Und sieht wie erwähnt eine Prämie von 150.000 Euro vor. Dadurch würde die an die Hinterbliebenen ausgezahlte Versicherungssumme im Falle eines tödlichen Unfalls auf 650.000 Euro steigen.

In questo caso posso aver sbagliato, ma ho agito in buona fede, convinta di fare una cosa giusta, spinta dalla sensibilità nei confronti di quanto successo pochi mesi fa al collega Moltrer e non certo una scelta ‘di casta’.


“Keine Kaste”

Einstimmig hat das Regionalratspräsidium den Vorschlag zur neuen Lebensversicherung angenommen. “Ich selbst habe dafür gestimmt, weil ich in diesem Moment an die Folgen, die solch tragische Unfälle für die Familien haben, gedacht habe. Und nicht daran, dass diese Versicherung ein Privileg darstellen könnte”, so Avanzo. Im Gespräch mit der Tageszeitung L'Adige gesteht sie: “In diesem Fall habe ich wohl etwas falsch gemacht. Aber ich habe in gutem Glauben gehandelt und keine Entscheidung als Mitglied einer 'Kaste' getroffen”. Gleichzeitig unterstreicht Avanzo, dass die Unterzeichnung der Polizze auf freiwilliger Basis beruht und keinerlei zwingend sei. “Ich persönlich habe sie nicht unterschrieben und werde es auch nicht tun”, betont die Präsidentin.

Doch für viele Regionalratsabgeordnete ist der Vorstoß Avanzos nicht nachvollziehbar. Als “absurd” bezeichnet ihn etwa Claudio Cia, der für Civica Trentina im Regionalrat sitzt. Auch der Trentiner PD findet nur Kritik: “Der Regionalrat hat in den vergangenen Jahren viel gemacht, um die Gehälter und Vergütungen sowie andere Privilegien zurecht zu stutzen. Daher rügen wir diese Initiative und werden auf keinem Fall diese Versicherung unterschreiben.” Bis 18. Juni können es sich die 70 Abgeordneten überlegen, ob sie das Risiko eingehen wollen, erneut den Volkszorn auf sich zu ziehen.