Umwelt | Heile Welt?

"Dort hängen schöne Äpfel"

Ist wieder Ruhe eingekehrt im Pestizidstreit zwischen konventionellen Obstbauern und Biobauern? Kommt auf den Bauer an, sagt Urban Gluderer.

Es gibt Tage, an denen in Urban Gluderer der Zynismus hochkommt. Wie unlängst, als die Tageszeitung Dolomiten die Schlagzeile "Obstbauern spritzen wenig und nur gezielt" brachte. "Der Titel wurde wohl bewusst unter Anführungszeichen gestellt", meint der Bio-Kräuterbauer vom Kräuterschlössl in Goldrain. "Vielleicht eine Aussage von Obstbauern bei einem Glasl Wein?" Dass just über der Dolomiten-Schlagzeile der allbekannte Pumuckl sitzt und kräftig lacht, ist richtig passend, findet Urban Gluderer.

Die Titelseite der Tageszeitung Dolomiten von Donnerstag, 20. August 2015. Auf Seite 13 wird unter dem Titel "Obstbauern: 'Spritzen wenig und nur gezielt'" ein Artikel über die Umrüstung der Spritzgeräte im konventionellen Obstbau angekündigt.


Leben im Nebel

Ihm selbst ist das Lachen schon lange vergangen. Seit 1990 bewirtschaftet seine Familie die eigenen Kräuterfelder nach den Richtlinien des "Bund Alternative Anbauer". Seit fünf Jahren kämpfen die Gluderers nun aktiv dagegen, dass ihr Lebens- und Arbeitsraum mit Pestiziden belastetet wird. 30 bis 40 Prozent der geernteten Kräuter musste der Betrieb im Schnitt der vergangenen Jahre wegwerfen, weil bei den Proben Rückstände gefunden wurden. Was Urban Gluderer aber noch mehr Sorgen macht als die wirtschaftlichen Folgen des Pestizideinsatzes rund um  sein Grundstück, sind die gesundheitlichen Folgen für seine Familie. "Wir leben hier", sagt er."Meine Enkel spielen hier am Vormittag, während rundherum gespritzt wird."

Und  wie der Biobauer im heurigen Sommer mit Fotos und Videos festgehalten hat: Trotz Positiv-Schlagzeilen ist dabei die Abdrift immer noch ein großes Problem. Ob die medial verbreitete Zahl stimmt, wonach 75 bis 85 Prozent der Spritzgeräte auf abdriftmindernde Düsen umgeüstet wurden, will Gluderer nicht einmal in Frage stellen. Sichtbar war für ihn in diesem Sommer, dass die Sprühnebel beim Ausbringen der Pestizide die Baumkronen immer wieder bis zu 30 oder gar 40 Meter übersteigen."Diese bleiben dann nicht nur auf den Grundstücken der Ausbringer,  sondern werden kilometerweit verfrachtet und rieseln langsam über die ganze Talsohle nieder", so Gluderer.

"Meine Enkel spielen hier am Vormittag, während rundherum gespritzt wird."

Neben genereller Rücksichtslosigkeit macht er dafür auch den falschen Umgang mit den neuen Spritztechniken verantwortlich: "Die Spritztechnik ist nur so gut wie das  Fahrverhalten des Bauern beim Ausbringen der Pestizide – und da happert es noch gewaltig!" Denn  entgegen den Anforderungen der neuen Technik würden viele Bauern laut dem Biobauern immer noch viel zu sehr aufs Gas steigen. Mit der Folge, dass die Pestizidwolke weit über die Bäume hinuausgehe.


Unkontrollierbar?

Geahndet wird ein solches Verhalten nicht; kritisiert Urban Gluderer."Wenn ich zu schnell durchs Dorf fahre, wird das von einem Radar geblitzt", sagt er. "Und eine ähnliche Maßnahme müssten die Behörden auch fürs Spritzen einführen." Zwar beweisen laut Gluderer auch einige Nachbarn des Kräuterschlössl, dass Apfelbauern ihre Pestizide mit Verstand und Rücksicht ausbringen können. "Andere dagegen sagen: Jetzt haben wir 50 Jahre so gearbeitet, wieso sollen wir uns jetzt ändern." Ohne entsprechende Kontrollen könne in  solchen Fällen nur der Bürger selbst Anzeige erstatten. "Doch wer macht das schon", fragt der Kräuterbauer.

Ausbringung von Pestiziden, Vinschgau im Juli 2015.

Die Antwort darauf hat Urban Gluderer selbst am 22. Mai dieses Jahres gegeben. Damals hatte ein Nachbar hinter seinem Haus das umstrittene Pflanzenschutzmittel Chlorpyrifos gespritzt. "Dort steht direkt auf der Verpackung darauf: Kann das ungeborene Kind im Mutterleib schädigen." Mit vier kleinen Kindern im Haus und einer schwangeren Schwiegertochter zögert Gluderer nicht lange. Nachdem der Obstbauer es trotz direkter Aufforderung nicht unterlässt, das  Spritzen zu unterlassen, erstattet Gluderer bei den Carabinieri von Schlanders Anzeige. "Das war wohl die erste überhaupt", mutmaßt er. Die Folge: Der Apfelbauern erhielt eine Strafe von 500 Euro. "Gegen die er nun Rekurs einlegt, weil er nicht einsieht, dass er etwas falsch gemacht hat." Dabei kann es aus der Perspektive des Vinschger Teeproduzenten nicht falsch gewesen sein, dass auf dem betreffenden Grundstück seit Mitte Juni nicht mehr gespritzt wurde. Denn, wie Urban Gluderer meint: "Dort hängen sehr schöne Äpfel."